es denn für sie keine Verschmelzung vor der Hem- mung geben? -- Man hat wohl von Farbenklavieren gehört; und es hat demnach gewiss Menschen gegeben, welche den Farben-Contrast, der in der Malerey so un- streitig wirksam ist, nach Analogie der Tonkunst benut- zen wollten. Warum das nicht gelingen konnte, liegt am Tage. Das Farbenklavier musste irgend welche ge- färbte Figuren abwechselnd dem Auge darbieten. Aber die Wahl dieser Figuren war in jedem Falle wichtiger als die Wahl der Farben; wegen der ästhetischen Be- urtheilung des Räumlichen, welcher man nicht auswei- chen konnte, und doch hätte ausweichen müssen, wenn die Farben hätten die Rolle der Töne in der Musik übernehmen sollen.
Also ist es die fremdartige Einmischung eines an- dern Aesthetischen, welches die, aus der Verschmelzung vor der Hemmung sonst entspringende, ästhetische Be- urtheilung, im Gebiete der Farben verdunkelt; da man niemals Farben ohne Formen wahrzunehmen im Stande ist. Hiezu kommt nun allerdings noch der eigenthüm- liche Unterschied der Tonlinie, die nach zwey Seiten ins Unendliche geht, und der Farben, die nur ein begränz- tes, obwohl flächenförmiges, und in so fern grösseres Continuum bilden; doch hieraus allein würde man die Unbedeutsamkeit der Farbenspiele im Vergleich mit den Tonspielen um so weniger begreifen, da ja auch die Musik eigentlich nur der Octave bedarf, innerhalb wel- cher sie alle ihre Verhältnisse beysammen findet. --
Wir müssen aber unsern Weg noch weiter fort- setzen. Denn es giebt ausser den Tönen und den Far- ben noch unzählig viele andre Empfindungen. Nur nicht einfache Empfindungen! wird man sagen, und dies gerade ist der Punct, auf den wir zielten. Geruch und Geschmack vermögen schon nicht mehr, die Em- pfindungen gesondert darzubringen; aus Essig und Zucker, aus dem Duste der Lilie und Nelke, wird ein Mittleres für die Zunge und die Nase. Es ist also die Frage, ob
es denn für sie keine Verschmelzung vor der Hem- mung geben? — Man hat wohl von Farbenklavieren gehört; und es hat demnach gewiſs Menschen gegeben, welche den Farben-Contrast, der in der Malerey so un- streitig wirksam ist, nach Analogie der Tonkunst benut- zen wollten. Warum das nicht gelingen konnte, liegt am Tage. Das Farbenklavier muſste irgend welche ge- färbte Figuren abwechselnd dem Auge darbieten. Aber die Wahl dieser Figuren war in jedem Falle wichtiger als die Wahl der Farben; wegen der ästhetischen Be- urtheilung des Räumlichen, welcher man nicht auswei- chen konnte, und doch hätte ausweichen müssen, wenn die Farben hätten die Rolle der Töne in der Musik übernehmen sollen.
Also ist es die fremdartige Einmischung eines an- dern Aesthetischen, welches die, aus der Verschmelzung vor der Hemmung sonst entspringende, ästhetische Be- urtheilung, im Gebiete der Farben verdunkelt; da man niemals Farben ohne Formen wahrzunehmen im Stande ist. Hiezu kommt nun allerdings noch der eigenthüm- liche Unterschied der Tonlinie, die nach zwey Seiten ins Unendliche geht, und der Farben, die nur ein begränz- tes, obwohl flächenförmiges, und in so fern gröſseres Continuum bilden; doch hieraus allein würde man die Unbedeutsamkeit der Farbenspiele im Vergleich mit den Tonspielen um so weniger begreifen, da ja auch die Musik eigentlich nur der Octave bedarf, innerhalb wel- cher sie alle ihre Verhältnisse beysammen findet. —
Wir müssen aber unsern Weg noch weiter fort- setzen. Denn es giebt auſser den Tönen und den Far- ben noch unzählig viele andre Empfindungen. Nur nicht einfache Empfindungen! wird man sagen, und dies gerade ist der Punct, auf den wir zielten. Geruch und Geschmack vermögen schon nicht mehr, die Em- pfindungen gesondert darzubringen; aus Essig und Zucker, aus dem Duſte der Lilie und Nelke, wird ein Mittleres für die Zunge und die Nase. Es ist also die Frage, ob
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es denn für sie keine Verschmelzung vor der Hem-
mung geben? — Man hat wohl von Farbenklavieren
gehört; und es hat demnach gewiſs Menschen gegeben,
welche den Farben-Contrast, der in der Malerey so un-
streitig wirksam ist, nach Analogie der Tonkunst benut-
zen wollten. Warum das nicht gelingen konnte, liegt
am Tage. Das Farbenklavier muſste irgend welche ge-
färbte Figuren abwechselnd dem Auge darbieten. Aber
die Wahl dieser Figuren war in jedem Falle wichtiger
als die Wahl der Farben; wegen der ästhetischen Be-
urtheilung des Räumlichen, welcher man nicht auswei-
chen konnte, und doch hätte ausweichen müssen, wenn
die Farben hätten die Rolle der Töne in der Musik
übernehmen sollen.
Also ist es die fremdartige Einmischung eines an-
dern Aesthetischen, welches die, aus der Verschmelzung
vor der Hemmung sonst entspringende, ästhetische Be-
urtheilung, im Gebiete der Farben verdunkelt; da man
niemals Farben ohne Formen wahrzunehmen im Stande
ist. Hiezu kommt nun allerdings noch der eigenthüm-
liche Unterschied der Tonlinie, die nach zwey Seiten ins
Unendliche geht, und der Farben, die nur ein begränz-
tes, obwohl flächenförmiges, und in so fern gröſseres
Continuum bilden; doch hieraus allein würde man die
Unbedeutsamkeit der Farbenspiele im Vergleich mit den
Tonspielen um so weniger begreifen, da ja auch die
Musik eigentlich nur der Octave bedarf, innerhalb wel-
cher sie alle ihre Verhältnisse beysammen findet. —
Wir müssen aber unsern Weg noch weiter fort-
setzen. Denn es giebt auſser den Tönen und den Far-
ben noch unzählig viele andre Empfindungen. Nur
nicht einfache Empfindungen! wird man sagen, und
dies gerade ist der Punct, auf den wir zielten. Geruch
und Geschmack vermögen schon nicht mehr, die Em-
pfindungen gesondert darzubringen; aus Essig und Zucker,
aus dem Duſte der Lilie und Nelke, wird ein Mittleres
für die Zunge und die Nase. Es ist also die Frage, ob
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/126>, abgerufen am 21.11.2024.
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