hinzu, welches der Wahrnehmung die räumliche Form giebt. Aber dieses Etwas ist nicht ein Seelenvermögen: sondern es sind die schon vorhandenen Vorstellungen, welche in ihrem Wieder-Hervortreten ein gewisses Ge- setz befolgen; ein Gesetz der Ordnung, nach welchem jede auf das Hervortreten der Mit-Verbundenen wirkt. Sofern nun die augenblickliche Wahrnehmung mit diesen schon geordneten Vorstellungen verschmilzt, wird sie selbst geordnet; und ist daher allerdings die fortdauernde Wahrnehmung in einem beständigen Uebergange zur räumlichen Form begriffen.
Man kann nun das Auge und den Finger aus der Voraussetzung weglassen: so bleibt übrig, dass die Seele auf irgend eine Weise, (wenn man will, bloss aus sich selbst,) Vorstellungen erzeuge, die auf die nämliche Weise, wie jene, mit einander zuvörderst verschmelzen; worin noch nichts Räumliches liegt; dass alsdann andere und wieder andere Vorstellungen eintreten, während jene, nun auch verschmelzend mit den hinzukommenden, im Bewusstseyn sinken, (statt der vorigen Annahme, das Auge bewege sich vorwärts;) dass die Seele noch einmal neue, aber den erstern völlig gleichartige, Vorstellungen erzeuge, (vorhin: dass das Auge rückwärts gehe;) woraus denn folgt, dass die Gesunkenen wieder hervortreten. Wenn man nun alle Umstände so annimmt, dass die Verschmelzung die nämliche werde, wie unter Voraus- setzung des sehenden Auges und des tastenden Fingers: so wird der Erfolg ebenfalls der nämliche seyn müssen; indem jede Regung einer Vorstellung in ihrem eignen Hervortreten zugleich alle, von ihr ausgehenden, Ver- schmelzungshülfen anregt. -- Diese Erklärung kann also auch der Idealist und der Leibnitzianer gebrauchen; aber die besondere angeborne Anlage, nach welcher die mensch- liche Seele nun einmal eigensinniger Weise soll genö- thigt worden seyn, sich alles räumlich vorzustellen, was ihr Sichtbares und Fühlbares vorkommt, diese muss er weglassen.
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hinzu, welches der Wahrnehmung die räumliche Form giebt. Aber dieses Etwas ist nicht ein Seelenvermögen: sondern es sind die schon vorhandenen Vorstellungen, welche in ihrem Wieder-Hervortreten ein gewisses Ge- setz befolgen; ein Gesetz der Ordnung, nach welchem jede auf das Hervortreten der Mit-Verbundenen wirkt. Sofern nun die augenblickliche Wahrnehmung mit diesen schon geordneten Vorstellungen verschmilzt, wird sie selbst geordnet; und ist daher allerdings die fortdauernde Wahrnehmung in einem beständigen Uebergange zur räumlichen Form begriffen.
Man kann nun das Auge und den Finger aus der Voraussetzung weglassen: so bleibt übrig, daſs die Seele auf irgend eine Weise, (wenn man will, bloſs aus sich selbst,) Vorstellungen erzeuge, die auf die nämliche Weise, wie jene, mit einander zuvörderst verschmelzen; worin noch nichts Räumliches liegt; daſs alsdann andere und wieder andere Vorstellungen eintreten, während jene, nun auch verschmelzend mit den hinzukommenden, im Bewuſstseyn sinken, (statt der vorigen Annahme, das Auge bewege sich vorwärts;) daſs die Seele noch einmal neue, aber den erstern völlig gleichartige, Vorstellungen erzeuge, (vorhin: daſs das Auge rückwärts gehe;) woraus denn folgt, daſs die Gesunkenen wieder hervortreten. Wenn man nun alle Umstände so annimmt, daſs die Verschmelzung die nämliche werde, wie unter Voraus- setzung des sehenden Auges und des tastenden Fingers: so wird der Erfolg ebenfalls der nämliche seyn müssen; indem jede Regung einer Vorstellung in ihrem eignen Hervortreten zugleich alle, von ihr ausgehenden, Ver- schmelzungshülfen anregt. — Diese Erklärung kann also auch der Idealist und der Leibnitzianer gebrauchen; aber die besondere angeborne Anlage, nach welcher die mensch- liche Seele nun einmal eigensinniger Weise soll genö- thigt worden seyn, sich alles räumlich vorzustellen, was ihr Sichtbares und Fühlbares vorkommt, diese muſs er weglassen.
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hinzu, welches der Wahrnehmung die räumliche Form
giebt. Aber dieses Etwas ist nicht ein Seelenvermögen:
sondern es sind die schon vorhandenen Vorstellungen,
welche in ihrem Wieder-Hervortreten ein gewisses Ge-
setz befolgen; ein Gesetz der Ordnung, nach welchem
jede auf das Hervortreten der Mit-Verbundenen wirkt.
Sofern nun die augenblickliche Wahrnehmung mit diesen
schon geordneten Vorstellungen verschmilzt, wird sie
selbst geordnet; und ist daher allerdings die fortdauernde
Wahrnehmung in einem beständigen Uebergange zur
räumlichen Form begriffen.
Man kann nun das Auge und den Finger aus der
Voraussetzung weglassen: so bleibt übrig, daſs die Seele
auf irgend eine Weise, (wenn man will, bloſs aus sich
selbst,) Vorstellungen erzeuge, die auf die nämliche
Weise, wie jene, mit einander zuvörderst verschmelzen;
worin noch nichts Räumliches liegt; daſs alsdann andere
und wieder andere Vorstellungen eintreten, während jene,
nun auch verschmelzend mit den hinzukommenden, im
Bewuſstseyn sinken, (statt der vorigen Annahme, das
Auge bewege sich vorwärts;) daſs die Seele noch einmal
neue, aber den erstern völlig gleichartige, Vorstellungen
erzeuge, (vorhin: daſs das Auge rückwärts gehe;) woraus
denn folgt, daſs die Gesunkenen wieder hervortreten.
Wenn man nun alle Umstände so annimmt, daſs die
Verschmelzung die nämliche werde, wie unter Voraus-
setzung des sehenden Auges und des tastenden Fingers:
so wird der Erfolg ebenfalls der nämliche seyn müssen;
indem jede Regung einer Vorstellung in ihrem eignen
Hervortreten zugleich alle, von ihr ausgehenden, Ver-
schmelzungshülfen anregt. — Diese Erklärung kann also
auch der Idealist und der Leibnitzianer gebrauchen; aber
die besondere angeborne Anlage, nach welcher die mensch-
liche Seele nun einmal eigensinniger Weise soll genö-
thigt worden seyn, sich alles räumlich vorzustellen, was
ihr Sichtbares und Fühlbares vorkommt, diese muſs er
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/163>, abgerufen am 24.11.2024.
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