Ferner, das Aussereinander erfordert gleichmässi- ges Vorstellen beyder, aussereinander gelegenen Puncte. Denn es seyen a und f die beyden Puncte: so ist nicht minder f ausser a, als a ausser f; beyde tra- gen gleichviel bey zu dem Aussereinander; und dasselbe schliesst die Vorstellung beyder in gleichem Grade in sich.
Es kann scheinen, als würde dieser letzte Umstand sich aus den erwähnten Reproductionsgesetzen nicht hin- reichend erklären lassen. Denn das beschriebene succes- sive Vorstellen reproducirt zwar von jedem Puncte aus die übrigen, näheren und entfernteren, in ihrer Ordnung; aber dabey ist die Vorstellung Eines Punctes die repro- ducirende, diejenige also auch, welche vor allen andern lebhaft hervortritt, während da, wo wir zweyer Puncte Entfernung auffassen, unserer Meinung nach keiner von beyden vorherrschend soll aufgefasst werden.
Dennoch gebe man Acht auf sich selbst, was da vorgehe, wo man die Entfernung zweyer Puncte mit den Augen messen will. Man wird wohl wahrnehmen, dass es Mühe kostet, den einen Punct nicht mehr noch we- niger als den andern zu sehen, und einen ruhigen Blick auf beyde gleichmässig zu vertheilen. Man wird sich leicht überzeugen, dass ursprünglich das Auge zwischen beyden hin und hergeht, dass es die Entfernung vorwärts und rückwärts durchläuft; dass dadurch zwey Repro- ductionsgesetze gebildet werden, indem jeder von beyden Puncten, erst das Mittlere, Zwischenliegende, und dann den andern Punct reproducirt. Man wird ein- sehn, dass erst nachdem das hiemit verbundene zwie- fache successive Vorstellen sich ins Gleichgewicht ge- setzt hat, erst nachdem beyde entgegengesetzte Reproductionen wider einander zu laufen be- ginnen, jene gleichmässige Vorstellung des Ausserein- ander möglich wird; die also noch weiter von der ur- sprünglichen, gegebenen Empfindung absteht, als das erste Auseinandertreten, die erste räumliche Ausbreitung des Wahrgenommenen. Daher würde man das eigent-
Ferner, das Auſsereinander erfordert gleichmäſsi- ges Vorstellen beyder, auſsereinander gelegenen Puncte. Denn es seyen a und f die beyden Puncte: so ist nicht minder f auſser a, als a auſser f; beyde tra- gen gleichviel bey zu dem Auſsereinander; und dasselbe schlieſst die Vorstellung beyder in gleichem Grade in sich.
Es kann scheinen, als würde dieser letzte Umstand sich aus den erwähnten Reproductionsgesetzen nicht hin- reichend erklären lassen. Denn das beschriebene succes- sive Vorstellen reproducirt zwar von jedem Puncte aus die übrigen, näheren und entfernteren, in ihrer Ordnung; aber dabey ist die Vorstellung Eines Punctes die repro- ducirende, diejenige also auch, welche vor allen andern lebhaft hervortritt, während da, wo wir zweyer Puncte Entfernung auffassen, unserer Meinung nach keiner von beyden vorherrschend soll aufgefaſst werden.
Dennoch gebe man Acht auf sich selbst, was da vorgehe, wo man die Entfernung zweyer Puncte mit den Augen messen will. Man wird wohl wahrnehmen, daſs es Mühe kostet, den einen Punct nicht mehr noch we- niger als den andern zu sehen, und einen ruhigen Blick auf beyde gleichmäſsig zu vertheilen. Man wird sich leicht überzeugen, daſs ursprünglich das Auge zwischen beyden hin und hergeht, daſs es die Entfernung vorwärts und rückwärts durchläuft; daſs dadurch zwey Repro- ductionsgesetze gebildet werden, indem jeder von beyden Puncten, erst das Mittlere, Zwischenliegende, und dann den andern Punct reproducirt. Man wird ein- sehn, daſs erst nachdem das hiemit verbundene zwie- fache successive Vorstellen sich ins Gleichgewicht ge- setzt hat, erst nachdem beyde entgegengesetzte Reproductionen wider einander zu laufen be- ginnen, jene gleichmäſsige Vorstellung des Auſserein- ander möglich wird; die also noch weiter von der ur- sprünglichen, gegebenen Empfindung absteht, als das erste Auseinandertreten, die erste räumliche Ausbreitung des Wahrgenommenen. Daher würde man das eigent-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0170"n="135"/><p>Ferner, das Auſsereinander erfordert <hirendition="#g">gleichmäſsi-<lb/>
ges Vorstellen beyder</hi>, auſsereinander gelegenen<lb/>
Puncte. Denn es seyen <hirendition="#i">a</hi> und <hirendition="#i">f</hi> die beyden Puncte:<lb/>
so ist nicht minder <hirendition="#i">f</hi> auſser <hirendition="#i">a</hi>, als <hirendition="#i">a</hi> auſser <hirendition="#i">f;</hi> beyde tra-<lb/>
gen gleichviel bey zu dem Auſsereinander; und dasselbe<lb/>
schlieſst die Vorstellung beyder in gleichem Grade in sich.</p><lb/><p>Es kann scheinen, als würde dieser letzte Umstand<lb/>
sich aus den erwähnten Reproductionsgesetzen nicht hin-<lb/>
reichend erklären lassen. Denn das beschriebene succes-<lb/>
sive Vorstellen reproducirt zwar von jedem Puncte aus<lb/>
die übrigen, näheren und entfernteren, in ihrer Ordnung;<lb/>
aber dabey ist die Vorstellung Eines Punctes die repro-<lb/>
ducirende, diejenige also auch, welche vor allen andern<lb/>
lebhaft hervortritt, während da, wo wir zweyer Puncte<lb/>
Entfernung auffassen, unserer Meinung nach keiner von<lb/>
beyden vorherrschend soll aufgefaſst werden.</p><lb/><p>Dennoch gebe man Acht auf sich selbst, was da<lb/>
vorgehe, wo man die Entfernung zweyer Puncte mit den<lb/>
Augen messen will. Man wird wohl wahrnehmen, daſs<lb/>
es Mühe kostet, den einen Punct nicht mehr noch we-<lb/>
niger als den andern zu sehen, und einen ruhigen Blick<lb/>
auf beyde gleichmäſsig zu vertheilen. Man wird sich<lb/>
leicht überzeugen, daſs ursprünglich das Auge zwischen<lb/>
beyden hin und hergeht, daſs es die Entfernung vorwärts<lb/>
und rückwärts durchläuft; daſs dadurch <hirendition="#g">zwey Repro-<lb/>
ductionsgesetze</hi> gebildet werden, indem <hirendition="#g">jeder von<lb/>
beyden Puncten</hi>, erst das Mittlere, Zwischenliegende,<lb/>
und dann den andern Punct reproducirt. Man wird ein-<lb/>
sehn, daſs erst nachdem das hiemit verbundene <hirendition="#g">zwie-<lb/>
fache</hi> successive Vorstellen sich ins Gleichgewicht ge-<lb/>
setzt hat, erst <hirendition="#g">nachdem beyde entgegengesetzte<lb/>
Reproductionen wider einander zu laufen be-<lb/>
ginnen</hi>, jene gleichmäſsige Vorstellung des Auſserein-<lb/>
ander möglich wird; die also noch weiter von der ur-<lb/>
sprünglichen, gegebenen Empfindung absteht, als das<lb/>
erste Auseinandertreten, die erste räumliche Ausbreitung<lb/>
des Wahrgenommenen. Daher würde man das eigent-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[135/0170]
Ferner, das Auſsereinander erfordert gleichmäſsi-
ges Vorstellen beyder, auſsereinander gelegenen
Puncte. Denn es seyen a und f die beyden Puncte:
so ist nicht minder f auſser a, als a auſser f; beyde tra-
gen gleichviel bey zu dem Auſsereinander; und dasselbe
schlieſst die Vorstellung beyder in gleichem Grade in sich.
Es kann scheinen, als würde dieser letzte Umstand
sich aus den erwähnten Reproductionsgesetzen nicht hin-
reichend erklären lassen. Denn das beschriebene succes-
sive Vorstellen reproducirt zwar von jedem Puncte aus
die übrigen, näheren und entfernteren, in ihrer Ordnung;
aber dabey ist die Vorstellung Eines Punctes die repro-
ducirende, diejenige also auch, welche vor allen andern
lebhaft hervortritt, während da, wo wir zweyer Puncte
Entfernung auffassen, unserer Meinung nach keiner von
beyden vorherrschend soll aufgefaſst werden.
Dennoch gebe man Acht auf sich selbst, was da
vorgehe, wo man die Entfernung zweyer Puncte mit den
Augen messen will. Man wird wohl wahrnehmen, daſs
es Mühe kostet, den einen Punct nicht mehr noch we-
niger als den andern zu sehen, und einen ruhigen Blick
auf beyde gleichmäſsig zu vertheilen. Man wird sich
leicht überzeugen, daſs ursprünglich das Auge zwischen
beyden hin und hergeht, daſs es die Entfernung vorwärts
und rückwärts durchläuft; daſs dadurch zwey Repro-
ductionsgesetze gebildet werden, indem jeder von
beyden Puncten, erst das Mittlere, Zwischenliegende,
und dann den andern Punct reproducirt. Man wird ein-
sehn, daſs erst nachdem das hiemit verbundene zwie-
fache successive Vorstellen sich ins Gleichgewicht ge-
setzt hat, erst nachdem beyde entgegengesetzte
Reproductionen wider einander zu laufen be-
ginnen, jene gleichmäſsige Vorstellung des Auſserein-
ander möglich wird; die also noch weiter von der ur-
sprünglichen, gegebenen Empfindung absteht, als das
erste Auseinandertreten, die erste räumliche Ausbreitung
des Wahrgenommenen. Daher würde man das eigent-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/170>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.