wörtlich Kants Erklärung gleich hinter der Aufzählung der Kategorien.
Um desto mehr hätte Kant Ursache gehabt, wenig- stens die erste der Aristotelischen Kategorien unverrückt an ihrem Platze zu lassen, nämlich das Ding, die Sache (ousia). Denn das gerade ist die einzige gemeinschaft- liche Voraussetzung, wovon er mit dem Aristoteles aus- gehn konnte: es solle von Erkenntniss -- Begriffen (gleichviel ob in Bezug auf wahre oder bloss schein- bare Erkenntniss) die Rede seyn; sonst hätte Aristo- teles eben so gut die sogenannten Prädicabilien, welche in die Logik gehören, oder die allgemeinsten Klassenbe- griffe der Aesthetik, Schön, Hässlich, Gut, Böse, mit unter die Zahl der Kategorien versetzen können; da sie allerdings zu den allgemeinsten Bestimmungen des Vorgestellten zu rechnen sind.
Damit nun gleich die erste Kategorie das anzeige, wovon hier überhaupt die Rede ist: stelle ich mit Ari- stoteles die ousia an die Spitze; auf Deutsch, das Ding überhaupt; denn von Substanz im metaphysischen Sinne wissen wir hier noch nicht das Geringste, und es ist einer von Kants stärksten Misgriffen, in diesem Puncte der gemeinen falschen Uebersetzung des Worts ousia nachgegangen zu seyn. Das Wort sagt nichts weiter als: das Wirkliche; und damit man ja nicht etwa sich hier, am unrechten Orte, in tiefsinnige Meta- physik verirre, sagt Aristoteles recht deutlich: seine ersten ousiai seyen zum Beyspiele dieser bestimmte Mensch, dieses bestimmte Pferd; die zweyten ousiai aber seyen Arten und Gattungen, wie Mensch, Pferd, Thier. Ganz so muss die Sache genommen werden, wenn von der ur- sprünglichen Bildung unserer Erfahrung, von den ersten, gemeinen Begriffen der sinnlichen Objecte die Rede ist. Nur freylich ist der Weg von hier bis zur Kritik der Vernunft etwas weiter, als ihn Kant sich gemacht hat.
Die andern hieher gehörigen Kategorien sind nun bloss in so fern Kategorien, als sie im Dienste der er-
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wörtlich Kants Erklärung gleich hinter der Aufzählung der Kategorien.
Um desto mehr hätte Kant Ursache gehabt, wenig- stens die erste der Aristotelischen Kategorien unverrückt an ihrem Platze zu lassen, nämlich das Ding, die Sache (οὐσία). Denn das gerade ist die einzige gemeinschaft- liche Voraussetzung, wovon er mit dem Aristoteles aus- gehn konnte: es solle von Erkenntniſs — Begriffen (gleichviel ob in Bezug auf wahre oder bloſs schein- bare Erkenntniſs) die Rede seyn; sonst hätte Aristo- teles eben so gut die sogenannten Prädicabilien, welche in die Logik gehören, oder die allgemeinsten Klassenbe- griffe der Aesthetik, Schön, Häſslich, Gut, Böse, mit unter die Zahl der Kategorien versetzen können; da sie allerdings zu den allgemeinsten Bestimmungen des Vorgestellten zu rechnen sind.
Damit nun gleich die erste Kategorie das anzeige, wovon hier überhaupt die Rede ist: stelle ich mit Ari- stoteles die οὐσία an die Spitze; auf Deutsch, das Ding überhaupt; denn von Substanz im metaphysischen Sinne wissen wir hier noch nicht das Geringste, und es ist einer von Kants stärksten Misgriffen, in diesem Puncte der gemeinen falschen Uebersetzung des Worts οὐσία nachgegangen zu seyn. Das Wort sagt nichts weiter als: das Wirkliche; und damit man ja nicht etwa sich hier, am unrechten Orte, in tiefsinnige Meta- physik verirre, sagt Aristoteles recht deutlich: seine ersten οὐσίαι seyen zum Beyspiele dieser bestimmte Mensch, dieses bestimmte Pferd; die zweyten οὐσίαι aber seyen Arten und Gattungen, wie Mensch, Pferd, Thier. Ganz so muſs die Sache genommen werden, wenn von der ur- sprünglichen Bildung unserer Erfahrung, von den ersten, gemeinen Begriffen der sinnlichen Objecte die Rede ist. Nur freylich ist der Weg von hier bis zur Kritik der Vernunft etwas weiter, als ihn Kant sich gemacht hat.
Die andern hieher gehörigen Kategorien sind nun bloſs in so fern Kategorien, als sie im Dienste der er-
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wörtlich Kants Erklärung gleich hinter der Aufzählung
der Kategorien.
Um desto mehr hätte Kant Ursache gehabt, wenig-
stens die erste der Aristotelischen Kategorien unverrückt
an ihrem Platze zu lassen, nämlich das Ding, die Sache
(οὐσία). Denn das gerade ist die einzige gemeinschaft-
liche Voraussetzung, wovon er mit dem Aristoteles aus-
gehn konnte: es solle von Erkenntniſs — Begriffen
(gleichviel ob in Bezug auf wahre oder bloſs schein-
bare Erkenntniſs) die Rede seyn; sonst hätte Aristo-
teles eben so gut die sogenannten Prädicabilien, welche
in die Logik gehören, oder die allgemeinsten Klassenbe-
griffe der Aesthetik, Schön, Häſslich, Gut, Böse,
mit unter die Zahl der Kategorien versetzen können; da
sie allerdings zu den allgemeinsten Bestimmungen des
Vorgestellten zu rechnen sind.
Damit nun gleich die erste Kategorie das anzeige,
wovon hier überhaupt die Rede ist: stelle ich mit Ari-
stoteles die οὐσία an die Spitze; auf Deutsch, das
Ding überhaupt; denn von Substanz im metaphysischen
Sinne wissen wir hier noch nicht das Geringste, und es
ist einer von Kants stärksten Misgriffen, in diesem
Puncte der gemeinen falschen Uebersetzung des Worts
οὐσία nachgegangen zu seyn. Das Wort sagt nichts
weiter als: das Wirkliche; und damit man ja nicht
etwa sich hier, am unrechten Orte, in tiefsinnige Meta-
physik verirre, sagt Aristoteles recht deutlich: seine
ersten οὐσίαι seyen zum Beyspiele dieser bestimmte Mensch,
dieses bestimmte Pferd; die zweyten οὐσίαι aber seyen
Arten und Gattungen, wie Mensch, Pferd, Thier. Ganz
so muſs die Sache genommen werden, wenn von der ur-
sprünglichen Bildung unserer Erfahrung, von den ersten,
gemeinen Begriffen der sinnlichen Objecte die Rede ist.
Nur freylich ist der Weg von hier bis zur Kritik der
Vernunft etwas weiter, als ihn Kant sich gemacht hat.
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/230>, abgerufen am 25.11.2024.
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