Contracte in die Staaten kommen, nachdem sie schon stehen.
Etwas schwerer mag die Frage von der Wirkung der Sprache seyn; doch hat man auch hievon zu viel Aufhebens gemacht. Dass man vermittelst der Sprache denke, ist ganz unrichtig. Man kann nicht ohne die Worte denken, nachdem die Vorstellung der letztern mit den Begriffen complicirt ist, weil der psychologische Me- chanismus an die Complication gebunden ist, und voll- kommne Complicationen unter gar keinen Umständen können getrennt werden; so, dass mit Sicherheit aus der Trennung auf die Unvollkommenheit der Verbindung zu schliessen ist. Die Summe aber, oder der Grad des Vor- stellens, oder die Innigkeit der Verbindung unter den Merkmalen eines Begriffs, dies alles, worauf die Wirk- samkeit unserer Vorstellungen beruht, wächst nicht im geringsten durch das angeheftete Zeichen. Eine Täu- schung, als ob ein Ding ohne Namen nur unvollständig erkannt wäre, kann daher entstehn, weil, nachdem alle andere Dinge den Ballast eines Worts an sich tragen, dem Namenlosen ein Zusatz zu fehlen scheint, wenn es mit jenen ins Gleichgewicht treten soll. So bildet sich wohl auch Einer, der eine fremde Sprache, noch ausser der Muttersprache gelernt hat, ein, es fehle ihm etwas an der Kenntniss des Gegenstandes, den er in die fremde Zunge nicht übersetzen kann!
Aller Vortheil der Sprache beruhet auf dem geselli- gen, gemeinsamen Gebrauch; auf der Verlängerung und Berichtigung der eignen Gedanken durch die der Andern. Aber für den Einzelnen ist das Anheften der Gedanken an die Sprache sogar nachtheilig. Denn hiedurch treten für ihn die mehr und die minder verstandenen Worte, -- diejenigen, die für ihn mehr und weniger Sinn haben, -- scheinbar in Einen Rang. Daher so viel thörichter Wortkram, und so viel Eitelkeit, Unlauterkeit, falsche Schätzung des Wissens, Dreistigkeit des sinnlosen Plau- derns!
Contracte in die Staaten kommen, nachdem sie schon stehen.
Etwas schwerer mag die Frage von der Wirkung der Sprache seyn; doch hat man auch hievon zu viel Aufhebens gemacht. Daſs man vermittelst der Sprache denke, ist ganz unrichtig. Man kann nicht ohne die Worte denken, nachdem die Vorstellung der letztern mit den Begriffen complicirt ist, weil der psychologische Me- chanismus an die Complication gebunden ist, und voll- kommne Complicationen unter gar keinen Umständen können getrennt werden; so, daſs mit Sicherheit aus der Trennung auf die Unvollkommenheit der Verbindung zu schlieſsen ist. Die Summe aber, oder der Grad des Vor- stellens, oder die Innigkeit der Verbindung unter den Merkmalen eines Begriffs, dies alles, worauf die Wirk- samkeit unserer Vorstellungen beruht, wächst nicht im geringsten durch das angeheftete Zeichen. Eine Täu- schung, als ob ein Ding ohne Namen nur unvollständig erkannt wäre, kann daher entstehn, weil, nachdem alle andere Dinge den Ballast eines Worts an sich tragen, dem Namenlosen ein Zusatz zu fehlen scheint, wenn es mit jenen ins Gleichgewicht treten soll. So bildet sich wohl auch Einer, der eine fremde Sprache, noch auſser der Muttersprache gelernt hat, ein, es fehle ihm etwas an der Kenntniſs des Gegenstandes, den er in die fremde Zunge nicht übersetzen kann!
Aller Vortheil der Sprache beruhet auf dem geselli- gen, gemeinsamen Gebrauch; auf der Verlängerung und Berichtigung der eignen Gedanken durch die der Andern. Aber für den Einzelnen ist das Anheften der Gedanken an die Sprache sogar nachtheilig. Denn hiedurch treten für ihn die mehr und die minder verstandenen Worte, — diejenigen, die für ihn mehr und weniger Sinn haben, — scheinbar in Einen Rang. Daher so viel thörichter Wortkram, und so viel Eitelkeit, Unlauterkeit, falsche Schätzung des Wissens, Dreistigkeit des sinnlosen Plau- derns!
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0280"n="245"/>
Contracte in die Staaten kommen, nachdem sie schon<lb/>
stehen.</p><lb/><p>Etwas schwerer mag die Frage von der Wirkung<lb/>
der Sprache seyn; doch hat man auch hievon zu viel<lb/>
Aufhebens gemacht. Daſs man <hirendition="#g">vermittelst</hi> der Sprache<lb/><hirendition="#g">denke</hi>, ist ganz unrichtig. Man kann nicht <hirendition="#g">ohne</hi> die<lb/>
Worte denken, nachdem die Vorstellung der letztern mit<lb/>
den Begriffen complicirt ist, weil der psychologische Me-<lb/>
chanismus an die Complication gebunden ist, und voll-<lb/>
kommne Complicationen unter gar keinen Umständen<lb/>
können getrennt werden; so, daſs mit Sicherheit aus der<lb/>
Trennung auf die Unvollkommenheit der Verbindung zu<lb/>
schlieſsen ist. Die Summe aber, oder der Grad des Vor-<lb/>
stellens, oder die Innigkeit der Verbindung unter den<lb/>
Merkmalen eines Begriffs, dies alles, worauf die Wirk-<lb/>
samkeit unserer Vorstellungen beruht, wächst nicht im<lb/>
geringsten durch das angeheftete Zeichen. Eine Täu-<lb/>
schung, als ob ein Ding ohne Namen nur unvollständig<lb/>
erkannt wäre, kann daher entstehn, weil, nachdem alle<lb/>
andere Dinge den Ballast eines Worts an sich tragen,<lb/>
dem Namenlosen ein Zusatz zu fehlen scheint, wenn es<lb/>
mit jenen ins Gleichgewicht treten soll. So bildet sich<lb/>
wohl auch Einer, der eine fremde Sprache, noch auſser<lb/>
der Muttersprache gelernt hat, ein, es fehle ihm etwas<lb/>
an der Kenntniſs des Gegenstandes, den er in die fremde<lb/>
Zunge nicht übersetzen kann!</p><lb/><p>Aller Vortheil der Sprache beruhet auf dem geselli-<lb/>
gen, gemeinsamen Gebrauch; auf der Verlängerung und<lb/>
Berichtigung der eignen Gedanken durch die der Andern.<lb/>
Aber für den Einzelnen ist das Anheften der Gedanken<lb/>
an die Sprache sogar nachtheilig. Denn hiedurch treten<lb/>
für ihn die mehr und die minder verstandenen Worte, —<lb/>
diejenigen, die für ihn mehr und weniger Sinn haben, —<lb/>
scheinbar in Einen Rang. Daher so viel thörichter<lb/>
Wortkram, und so viel Eitelkeit, Unlauterkeit, falsche<lb/>
Schätzung des Wissens, Dreistigkeit des sinnlosen Plau-<lb/>
derns!</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[245/0280]
Contracte in die Staaten kommen, nachdem sie schon
stehen.
Etwas schwerer mag die Frage von der Wirkung
der Sprache seyn; doch hat man auch hievon zu viel
Aufhebens gemacht. Daſs man vermittelst der Sprache
denke, ist ganz unrichtig. Man kann nicht ohne die
Worte denken, nachdem die Vorstellung der letztern mit
den Begriffen complicirt ist, weil der psychologische Me-
chanismus an die Complication gebunden ist, und voll-
kommne Complicationen unter gar keinen Umständen
können getrennt werden; so, daſs mit Sicherheit aus der
Trennung auf die Unvollkommenheit der Verbindung zu
schlieſsen ist. Die Summe aber, oder der Grad des Vor-
stellens, oder die Innigkeit der Verbindung unter den
Merkmalen eines Begriffs, dies alles, worauf die Wirk-
samkeit unserer Vorstellungen beruht, wächst nicht im
geringsten durch das angeheftete Zeichen. Eine Täu-
schung, als ob ein Ding ohne Namen nur unvollständig
erkannt wäre, kann daher entstehn, weil, nachdem alle
andere Dinge den Ballast eines Worts an sich tragen,
dem Namenlosen ein Zusatz zu fehlen scheint, wenn es
mit jenen ins Gleichgewicht treten soll. So bildet sich
wohl auch Einer, der eine fremde Sprache, noch auſser
der Muttersprache gelernt hat, ein, es fehle ihm etwas
an der Kenntniſs des Gegenstandes, den er in die fremde
Zunge nicht übersetzen kann!
Aller Vortheil der Sprache beruhet auf dem geselli-
gen, gemeinsamen Gebrauch; auf der Verlängerung und
Berichtigung der eignen Gedanken durch die der Andern.
Aber für den Einzelnen ist das Anheften der Gedanken
an die Sprache sogar nachtheilig. Denn hiedurch treten
für ihn die mehr und die minder verstandenen Worte, —
diejenigen, die für ihn mehr und weniger Sinn haben, —
scheinbar in Einen Rang. Daher so viel thörichter
Wortkram, und so viel Eitelkeit, Unlauterkeit, falsche
Schätzung des Wissens, Dreistigkeit des sinnlosen Plau-
derns!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/280>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.