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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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Dieser Nachtheil, worin die Bildung von Begriffen
dessen was bloss innerlich vorgeht, sich gegen die der
Aussendinge befindet, ist so offenbar, und zugleich so
fühlbar, wenn wir unsre Gedanken absichtlich bearbeiten
wollen: dass ein sehr grosser Unterschied eintreten muss,
wenn in einem Falle besondere Hülfsmittel vorhanden
sind, um die Verschmelzung zu begünstigen, während
in andern Fällen dieselben mangeln.

Wenn nun der Mensch durch die Werke seiner
Hand, und noch weit mehr im Gespräch, veranlasst wird,
sich solche Zustände, da Vorstellungen ursprünglich von
innen heraus thätig waren und sind, länger gegenwärtig
zu erhalten, und durch Beschäfftigung mit dem Abwe-
senden und Vergangenen öfter zurückzurufen, so muss
er dadurch einen ausserordentlichen Vorzug in Hinsicht
der Begriffe von innern Ereignissen, vor andern leben-
den Wesen erlangen, welchen die erwähnten Veranlas-
sungen fehlen. Und so finden wir es wirklich. Wir
haben keine deutlichen Zeichen, dass die Thiere sich
von dem, was in ihnen vorgeht, Gesammt-Eindrücke bil-
deten; vielmehr überwiegt bey ihnen die Auffassung der
Aussendinge, wie es zu erwarten war. Aber beym Men-
schen, selbst auf niedern Culturstufen, ist Beschäfftigung
mit innern Ereignissen das Vorherrschende des ganzen
Gedankenkreises; denn Jeder sucht die Gesinnungen
der Andern zu erkennen; ihr Empfinden, Streben und
Wirken giebt ihm mehr zu denken als Steine und Bäume;
er lebt gesellig, freundlich oder feindlich; und das könnte
er nicht ohne Begriffe von innern Zuständen.

Aus den verschmolzenen Reihen, die sich in ihm er-
zeugten, sind mächtige Vorstellungsmassen gebildet; in
diesen liegt nun die appercipirende Kraft, womit er beob-
achtet und deutet, sowohl was in ihm selber fernerhin
sich ereignet, als auch was die Andern neben ihm thun,
und was in ihnen vorgeht.

Sollen nun die allgemeinsten Begriffe, die zur Ap-
perception dienen, Kategorien heissen, -- und das sind

Dieser Nachtheil, worin die Bildung von Begriffen
dessen was bloſs innerlich vorgeht, sich gegen die der
Auſsendinge befindet, ist so offenbar, und zugleich so
fühlbar, wenn wir unsre Gedanken absichtlich bearbeiten
wollen: daſs ein sehr groſser Unterschied eintreten muſs,
wenn in einem Falle besondere Hülfsmittel vorhanden
sind, um die Verschmelzung zu begünstigen, während
in andern Fällen dieselben mangeln.

Wenn nun der Mensch durch die Werke seiner
Hand, und noch weit mehr im Gespräch, veranlaſst wird,
sich solche Zustände, da Vorstellungen ursprünglich von
innen heraus thätig waren und sind, länger gegenwärtig
zu erhalten, und durch Beschäfftigung mit dem Abwe-
senden und Vergangenen öfter zurückzurufen, so muſs
er dadurch einen auſserordentlichen Vorzug in Hinsicht
der Begriffe von innern Ereignissen, vor andern leben-
den Wesen erlangen, welchen die erwähnten Veranlas-
sungen fehlen. Und so finden wir es wirklich. Wir
haben keine deutlichen Zeichen, daſs die Thiere sich
von dem, was in ihnen vorgeht, Gesammt-Eindrücke bil-
deten; vielmehr überwiegt bey ihnen die Auffassung der
Auſsendinge, wie es zu erwarten war. Aber beym Men-
schen, selbst auf niedern Culturstufen, ist Beschäfftigung
mit innern Ereignissen das Vorherrschende des ganzen
Gedankenkreises; denn Jeder sucht die Gesinnungen
der Andern zu erkennen; ihr Empfinden, Streben und
Wirken giebt ihm mehr zu denken als Steine und Bäume;
er lebt gesellig, freundlich oder feindlich; und das könnte
er nicht ohne Begriffe von innern Zuständen.

Aus den verschmolzenen Reihen, die sich in ihm er-
zeugten, sind mächtige Vorstellungsmassen gebildet; in
diesen liegt nun die appercipirende Kraft, womit er beob-
achtet und deutet, sowohl was in ihm selber fernerhin
sich ereignet, als auch was die Andern neben ihm thun,
und was in ihnen vorgeht.

Sollen nun die allgemeinsten Begriffe, die zur Ap-
perception dienen, Kategorien heiſsen, — und das sind

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[250/0285] Dieser Nachtheil, worin die Bildung von Begriffen dessen was bloſs innerlich vorgeht, sich gegen die der Auſsendinge befindet, ist so offenbar, und zugleich so fühlbar, wenn wir unsre Gedanken absichtlich bearbeiten wollen: daſs ein sehr groſser Unterschied eintreten muſs, wenn in einem Falle besondere Hülfsmittel vorhanden sind, um die Verschmelzung zu begünstigen, während in andern Fällen dieselben mangeln. Wenn nun der Mensch durch die Werke seiner Hand, und noch weit mehr im Gespräch, veranlaſst wird, sich solche Zustände, da Vorstellungen ursprünglich von innen heraus thätig waren und sind, länger gegenwärtig zu erhalten, und durch Beschäfftigung mit dem Abwe- senden und Vergangenen öfter zurückzurufen, so muſs er dadurch einen auſserordentlichen Vorzug in Hinsicht der Begriffe von innern Ereignissen, vor andern leben- den Wesen erlangen, welchen die erwähnten Veranlas- sungen fehlen. Und so finden wir es wirklich. Wir haben keine deutlichen Zeichen, daſs die Thiere sich von dem, was in ihnen vorgeht, Gesammt-Eindrücke bil- deten; vielmehr überwiegt bey ihnen die Auffassung der Auſsendinge, wie es zu erwarten war. Aber beym Men- schen, selbst auf niedern Culturstufen, ist Beschäfftigung mit innern Ereignissen das Vorherrschende des ganzen Gedankenkreises; denn Jeder sucht die Gesinnungen der Andern zu erkennen; ihr Empfinden, Streben und Wirken giebt ihm mehr zu denken als Steine und Bäume; er lebt gesellig, freundlich oder feindlich; und das könnte er nicht ohne Begriffe von innern Zuständen. Aus den verschmolzenen Reihen, die sich in ihm er- zeugten, sind mächtige Vorstellungsmassen gebildet; in diesen liegt nun die appercipirende Kraft, womit er beob- achtet und deutet, sowohl was in ihm selber fernerhin sich ereignet, als auch was die Andern neben ihm thun, und was in ihnen vorgeht. Sollen nun die allgemeinsten Begriffe, die zur Ap- perception dienen, Kategorien heiſsen, — und das sind

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/285>, abgerufen am 22.11.2024.