haupt zu sprechen, um Sich zu finden; mit Recht also bezeichnet es den Sprechenden der eignen Rede mit dem Worte Ich. Später erst, wenn aus Vorsicht das Meiste, was über die Lippen unwillkührlich zu gleiten im Begriff war, zurückgehalten wird, tritt das stille, innerliche Spre- chen an die Stelle der lauten Rede; vorher war Ich Der, welcher von Sich sprach; jetzt wird es Der, welcher sich selbst denkt. Denn die Gedanken machen sich am leich- testen kenntlich als zurückgehaltene Worte.
§. 137.
In der Gesellschaft, und in der Mitte der Natur- Ordnung, bekommt in mancherley Hinsicht das Ich eine andre Färbung.
Weit entfernt, als ein wundervolles Räthsel, mit nothwendiger Beziehung als ein zufälliges, sich selbst aufhebendes, Mannigfaltiges anerkannt zu seyn, gilt es gerade umgekehrt für den bekanntesten aller Ge- genstände, für das einzig unmittelbar Gewusste und Durch- schaute; für selbstständig und absolut Eins.
Denn die geheim gehaltenen Worte scheinen inner- lich zu sagen, was Andre erst durch die laute Rede er- fahren. Eine zusammenhängende Folge von Empfinden, Denken und Handeln liegt der innern Apperception vor Augen; während Andre, so lange sie nicht sprechen, es ungewiss lassen, welches bey ihnen der Uebergang seyn werde von dem Empfinden zum Handeln durch das in ihnen verborgene Denken. Die Andern sind schon für das Kind beständige Räthsel; es fragt sie, so oft es darf. Es wird auch gefragt, und merkt nur zu gut, dass es etwas verhehlen kann. -- Die äussern Gegenstände schei- nen alle mancherley zu verbergen; ihre Oberfläche um- giebt das Innere; ihre Merkmale kommen erst beym Be- sehen, Herumwenden, Oeffnen, Probiren, allmählig zum Vorschein; auch muss erst ein Raum durchlaufen wer- den, um sie finden, betrachten, untersuchen zu können. Das Ich ist sich immer gegenwärtig. Es bewegt sich um- her in ihrer Mitte, und entfernt sich frey von jedem, des-
haupt zu sprechen, um Sich zu finden; mit Recht also bezeichnet es den Sprechenden der eignen Rede mit dem Worte Ich. Später erst, wenn aus Vorsicht das Meiste, was über die Lippen unwillkührlich zu gleiten im Begriff war, zurückgehalten wird, tritt das stille, innerliche Spre- chen an die Stelle der lauten Rede; vorher war Ich Der, welcher von Sich sprach; jetzt wird es Der, welcher sich selbst denkt. Denn die Gedanken machen sich am leich- testen kenntlich als zurückgehaltene Worte.
§. 137.
In der Gesellschaft, und in der Mitte der Natur- Ordnung, bekommt in mancherley Hinsicht das Ich eine andre Färbung.
Weit entfernt, als ein wundervolles Räthsel, mit nothwendiger Beziehung als ein zufälliges, sich selbst aufhebendes, Mannigfaltiges anerkannt zu seyn, gilt es gerade umgekehrt für den bekanntesten aller Ge- genstände, für das einzig unmittelbar Gewuſste und Durch- schaute; für selbstständig und absolut Eins.
Denn die geheim gehaltenen Worte scheinen inner- lich zu sagen, was Andre erst durch die laute Rede er- fahren. Eine zusammenhängende Folge von Empfinden, Denken und Handeln liegt der innern Apperception vor Augen; während Andre, so lange sie nicht sprechen, es ungewiſs lassen, welches bey ihnen der Uebergang seyn werde von dem Empfinden zum Handeln durch das in ihnen verborgene Denken. Die Andern sind schon für das Kind beständige Räthsel; es fragt sie, so oft es darf. Es wird auch gefragt, und merkt nur zu gut, daſs es etwas verhehlen kann. — Die äuſsern Gegenstände schei- nen alle mancherley zu verbergen; ihre Oberfläche um- giebt das Innere; ihre Merkmale kommen erst beym Be- sehen, Herumwenden, Oeffnen, Probiren, allmählig zum Vorschein; auch muſs erst ein Raum durchlaufen wer- den, um sie finden, betrachten, untersuchen zu können. Das Ich ist sich immer gegenwärtig. Es bewegt sich um- her in ihrer Mitte, und entfernt sich frey von jedem, des-
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haupt zu sprechen, um Sich zu finden; mit Recht also
bezeichnet es den Sprechenden der eignen Rede mit dem
Worte Ich. Später erst, wenn aus Vorsicht das Meiste,
was über die Lippen unwillkührlich zu gleiten im Begriff
war, zurückgehalten wird, tritt das stille, innerliche Spre-
chen an die Stelle der lauten Rede; vorher war Ich Der,
welcher von Sich sprach; jetzt wird es Der, welcher sich
selbst denkt. Denn die Gedanken machen sich am leich-
testen kenntlich als zurückgehaltene Worte.
§. 137.
In der Gesellschaft, und in der Mitte der Natur-
Ordnung, bekommt in mancherley Hinsicht das Ich eine
andre Färbung.
Weit entfernt, als ein wundervolles Räthsel, mit
nothwendiger Beziehung als ein zufälliges, sich
selbst aufhebendes, Mannigfaltiges anerkannt zu seyn,
gilt es gerade umgekehrt für den bekanntesten aller Ge-
genstände, für das einzig unmittelbar Gewuſste und Durch-
schaute; für selbstständig und absolut Eins.
Denn die geheim gehaltenen Worte scheinen inner-
lich zu sagen, was Andre erst durch die laute Rede er-
fahren. Eine zusammenhängende Folge von Empfinden,
Denken und Handeln liegt der innern Apperception vor
Augen; während Andre, so lange sie nicht sprechen, es
ungewiſs lassen, welches bey ihnen der Uebergang seyn
werde von dem Empfinden zum Handeln durch das in
ihnen verborgene Denken. Die Andern sind schon für
das Kind beständige Räthsel; es fragt sie, so oft es darf.
Es wird auch gefragt, und merkt nur zu gut, daſs es
etwas verhehlen kann. — Die äuſsern Gegenstände schei-
nen alle mancherley zu verbergen; ihre Oberfläche um-
giebt das Innere; ihre Merkmale kommen erst beym Be-
sehen, Herumwenden, Oeffnen, Probiren, allmählig zum
Vorschein; auch muſs erst ein Raum durchlaufen wer-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/319>, abgerufen am 22.11.2024.
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