hinzugedacht seyn, auf eine Weise, die wir im fol- genden Capitel im Allgemeinen erläutern werden. Den- noch aber bleibt das Ich, die eigentliche, immer gleiche, Identität des Vorstellenden und Vorgestellten. Dieses Ich erscheint als ein Gegebenes, als die sicherste, unbe- streitbarste Thatsache des Bewusstseyns; selbst nach Ab- sonderung des Individuellen, was die innere Wahrneh- mung darbot. Dafür wird eine eigne Art der Erkenntniss erfunden; ein reines, intellectuelles Vermögen, (wie bey Kant und Fichte; siehe §. 26.). Fragt man aber, was denn das sey, das die intellectuelle An- schauung anschaue, so kommt die Ungereimtheit in dem, vom Individuellen losgerissenen Begriffe des Ich zum Vor- schein, die wir im §. 27. u. s. w. erwogen, und in ihren Folgen untersucht haben.
§. 138.
Aus allem bisher Vorgetragenen muss nun offenbar werden, sowohl worin die Täuschung bestehe, der wir in Ansehung des Ich beym Anfange der Untersuchung unterworfen waren, als auch, durch welche endliche Be- richtigung des Begriffs vom Ich wir der Täuschung uns entledigen sollen.
Wie bey allen Begriffen, denen ein wesentliches Er- gänzungsstück fehlt, auf das sie sich beziehen, ohne es zu enthalten und unmittelbar anzuzeigen: so liegt auch beym Ich die Täuschung darin, dass man diesen Begriff für denkbar hält, nach Absonderung von allem Indivi- duellen. Wer, wie Kant, das Ich für die ärmste und gehaltloseste aller Vorstellungen ansieht, wer ihr ein ab- gesondertes Geistesvermögen anweis't, durch das sie ohne Beziehung, ohne nothwendigen Zusammenhang mit un- sern übrigen Vorstellungen, für sich allein dastehn, sich erst hintennach an die übrigen gleichsam anlegen, oder dieselben in ihren Schooss aufnehmen soll: -- der ist mitten in der Täuschung befangen.
Die Täuschung führt nun in Widersprüche, welche Anfangs nicht vollkommen entwickelt werden; sie führt
auf
hinzugedacht seyn, auf eine Weise, die wir im fol- genden Capitel im Allgemeinen erläutern werden. Den- noch aber bleibt das Ich, die eigentliche, immer gleiche, Identität des Vorstellenden und Vorgestellten. Dieses Ich erscheint als ein Gegebenes, als die sicherste, unbe- streitbarste Thatsache des Bewuſstseyns; selbst nach Ab- sonderung des Individuellen, was die innere Wahrneh- mung darbot. Dafür wird eine eigne Art der Erkenntniſs erfunden; ein reines, intellectuelles Vermögen, (wie bey Kant und Fichte; siehe §. 26.). Fragt man aber, was denn das sey, das die intellectuelle An- schauung anschaue, so kommt die Ungereimtheit in dem, vom Individuellen losgerissenen Begriffe des Ich zum Vor- schein, die wir im §. 27. u. s. w. erwogen, und in ihren Folgen untersucht haben.
§. 138.
Aus allem bisher Vorgetragenen muſs nun offenbar werden, sowohl worin die Täuschung bestehe, der wir in Ansehung des Ich beym Anfange der Untersuchung unterworfen waren, als auch, durch welche endliche Be- richtigung des Begriffs vom Ich wir der Täuschung uns entledigen sollen.
Wie bey allen Begriffen, denen ein wesentliches Er- gänzungsstück fehlt, auf das sie sich beziehen, ohne es zu enthalten und unmittelbar anzuzeigen: so liegt auch beym Ich die Täuschung darin, daſs man diesen Begriff für denkbar hält, nach Absonderung von allem Indivi- duellen. Wer, wie Kant, das Ich für die ärmste und gehaltloseste aller Vorstellungen ansieht, wer ihr ein ab- gesondertes Geistesvermögen anweis’t, durch das sie ohne Beziehung, ohne nothwendigen Zusammenhang mit un- sern übrigen Vorstellungen, für sich allein dastehn, sich erst hintennach an die übrigen gleichsam anlegen, oder dieselben in ihren Schooſs aufnehmen soll: — der ist mitten in der Täuschung befangen.
Die Täuschung führt nun in Widersprüche, welche Anfangs nicht vollkommen entwickelt werden; sie führt
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hinzugedacht seyn, auf eine Weise, die wir im fol-
genden Capitel im Allgemeinen erläutern werden. Den-
noch aber bleibt das Ich, die eigentliche, immer gleiche,
Identität des Vorstellenden und Vorgestellten. Dieses
Ich erscheint als ein Gegebenes, als die sicherste, unbe-
streitbarste Thatsache des Bewuſstseyns; selbst nach Ab-
sonderung des Individuellen, was die innere Wahrneh-
mung darbot. Dafür wird eine eigne Art der Erkenntniſs
erfunden; ein reines, intellectuelles Vermögen,
(wie bey Kant und Fichte; siehe §. 26.). Fragt man
aber, was denn das sey, das die intellectuelle An-
schauung anschaue, so kommt die Ungereimtheit in dem,
vom Individuellen losgerissenen Begriffe des Ich zum Vor-
schein, die wir im §. 27. u. s. w. erwogen, und in ihren
Folgen untersucht haben.
§. 138.
Aus allem bisher Vorgetragenen muſs nun offenbar
werden, sowohl worin die Täuschung bestehe, der wir
in Ansehung des Ich beym Anfange der Untersuchung
unterworfen waren, als auch, durch welche endliche Be-
richtigung des Begriffs vom Ich wir der Täuschung uns
entledigen sollen.
Wie bey allen Begriffen, denen ein wesentliches Er-
gänzungsstück fehlt, auf das sie sich beziehen, ohne es
zu enthalten und unmittelbar anzuzeigen: so liegt auch
beym Ich die Täuschung darin, daſs man diesen Begriff
für denkbar hält, nach Absonderung von allem Indivi-
duellen. Wer, wie Kant, das Ich für die ärmste und
gehaltloseste aller Vorstellungen ansieht, wer ihr ein ab-
gesondertes Geistesvermögen anweis’t, durch das sie ohne
Beziehung, ohne nothwendigen Zusammenhang mit un-
sern übrigen Vorstellungen, für sich allein dastehn, sich
erst hintennach an die übrigen gleichsam anlegen, oder
dieselben in ihren Schooſs aufnehmen soll: — der ist
mitten in der Täuschung befangen.
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/323>, abgerufen am 22.11.2024.
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