Ich weis't sie uns an, zu suchen nach einer Identität des Vorstellenden mit einem, noch zu bestimmenden, Zusam- men mehrerer Objecte. Sollen wir nun das Problem für aufgelös't erkennen, so muss klar werden, erstlich wer der Vorstellende, zweytens was das Zusammen der meh- rern Objecte, drittens, dass dies Zusammen und jener Vorstellende identisch seyen. Die Erläuterung dieser drey Puncte müssen wir an die Grundsätze der allgemeinen Metaphysik anknüpfen, denn wir sollen jetzt nicht mehr ein Gegebenes analysiren, sondern ein Resultat wissen- schaftlich veststellen.
Wir gehen also zurück auf die Voraussetzung un- serer ganzen psychologischen Untersuchung, wir nehmen aus der allgemeinen Metaphysik als bekannt an, dass die Seele ein streng einfaches, ursprünglich nicht vorstel- lendes Wesen ist, dessen Selbsterhaltungen aber gegen mannigfaltige Störungen durch andre Wesen, Acte des Vorstellens ergeben. (Man vergleiche §. 31--35.) Die Seele an sich, in ihrer einfachen, übrigens unbekannten, Qualität, -- die nicht vorstellende, -- kann nicht Subject noch Object des Bewusstseyns werden. Aber die Seele in Hinsicht auf alle ihre Selbsterhaltungen, welche Vorstellungen sind, ist das wahre Subject, das Eine, ungetheilte, aber höchst mannigfaltig thätige, des gesammten Bewusstseyns. Wie dieses Subject sich be- trachten lässt als Vorstellendes zu jedem Vorgestellten, so auch in dem besondern Falle, da das Vorgestellte ihm selbst identisch seyn soll.
Was die Objecte anlangt, so hängt deren Mannig- faltigkeit ab von äusseren Störungen; dennoch empfängt zu ihnen die Seele keinen Stoff von aussen; vielmehr sind sie nur vervielfachte Ausdrücke für die innere, eigne Qualität der Seele; in ihrem Beysammenseyn ist die Seele mit sich selbst zusammen, daher auch ohne alle weitere Vermittelung das gleichartige und gleichzeitige Vorstel- len Eine Totalkraft ergibt, das entgegengesetzte aber sich ausschliesst oder sich hemmt. Die nähern Bestim-
Ich weis’t sie uns an, zu suchen nach einer Identität des Vorstellenden mit einem, noch zu bestimmenden, Zusam- men mehrerer Objecte. Sollen wir nun das Problem für aufgelös’t erkennen, so muſs klar werden, erstlich wer der Vorstellende, zweytens was das Zusammen der meh- rern Objecte, drittens, daſs dies Zusammen und jener Vorstellende identisch seyen. Die Erläuterung dieser drey Puncte müssen wir an die Grundsätze der allgemeinen Metaphysik anknüpfen, denn wir sollen jetzt nicht mehr ein Gegebenes analysiren, sondern ein Resultat wissen- schaftlich veststellen.
Wir gehen also zurück auf die Voraussetzung un- serer ganzen psychologischen Untersuchung, wir nehmen aus der allgemeinen Metaphysik als bekannt an, daſs die Seele ein streng einfaches, ursprünglich nicht vorstel- lendes Wesen ist, dessen Selbsterhaltungen aber gegen mannigfaltige Störungen durch andre Wesen, Acte des Vorstellens ergeben. (Man vergleiche §. 31—35.) Die Seele an sich, in ihrer einfachen, übrigens unbekannten, Qualität, — die nicht vorstellende, — kann nicht Subject noch Object des Bewuſstseyns werden. Aber die Seele in Hinsicht auf alle ihre Selbsterhaltungen, welche Vorstellungen sind, ist das wahre Subject, das Eine, ungetheilte, aber höchst mannigfaltig thätige, des gesammten Bewuſstseyns. Wie dieses Subject sich be- trachten läſst als Vorstellendes zu jedem Vorgestellten, so auch in dem besondern Falle, da das Vorgestellte ihm selbst identisch seyn soll.
Was die Objecte anlangt, so hängt deren Mannig- faltigkeit ab von äuſseren Störungen; dennoch empfängt zu ihnen die Seele keinen Stoff von auſsen; vielmehr sind sie nur vervielfachte Ausdrücke für die innere, eigne Qualität der Seele; in ihrem Beysammenseyn ist die Seele mit sich selbst zusammen, daher auch ohne alle weitere Vermittelung das gleichartige und gleichzeitige Vorstel- len Eine Totalkraft ergibt, das entgegengesetzte aber sich ausschlieſst oder sich hemmt. Die nähern Bestim-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0330"n="295"/>
Ich weis’t sie uns an, zu suchen nach einer Identität des<lb/>
Vorstellenden mit einem, noch zu bestimmenden, Zusam-<lb/>
men mehrerer Objecte. Sollen wir nun das Problem für<lb/>
aufgelös’t erkennen, so muſs klar werden, erstlich wer<lb/>
der Vorstellende, zweytens was das Zusammen der meh-<lb/>
rern Objecte, drittens, daſs dies Zusammen und jener<lb/>
Vorstellende identisch seyen. Die Erläuterung dieser drey<lb/>
Puncte müssen wir an die Grundsätze der allgemeinen<lb/>
Metaphysik anknüpfen, denn wir sollen jetzt nicht mehr<lb/>
ein Gegebenes analysiren, sondern ein Resultat wissen-<lb/>
schaftlich veststellen.</p><lb/><p>Wir gehen also zurück auf die Voraussetzung un-<lb/>
serer ganzen psychologischen Untersuchung, wir nehmen<lb/>
aus der allgemeinen Metaphysik als bekannt an, daſs die<lb/>
Seele ein streng einfaches, ursprünglich <hirendition="#g">nicht</hi> vorstel-<lb/>
lendes Wesen ist, dessen Selbsterhaltungen aber gegen<lb/>
mannigfaltige Störungen durch andre Wesen, Acte des<lb/>
Vorstellens ergeben. (Man vergleiche §. 31—35.) Die<lb/>
Seele an sich, in ihrer einfachen, übrigens unbekannten,<lb/>
Qualität, — die <hirendition="#g">nicht vorstellende</hi>, — kann nicht<lb/>
Subject noch Object des Bewuſstseyns werden. Aber<lb/>
die Seele in Hinsicht auf alle ihre Selbsterhaltungen,<lb/>
welche Vorstellungen sind, ist das wahre Subject, das<lb/>
Eine, ungetheilte, aber höchst mannigfaltig thätige, des<lb/>
gesammten Bewuſstseyns. Wie dieses Subject sich be-<lb/>
trachten läſst als Vorstellendes zu jedem Vorgestellten,<lb/>
so auch in dem besondern Falle, da das Vorgestellte<lb/>
ihm selbst identisch seyn soll.</p><lb/><p>Was die Objecte anlangt, so hängt deren Mannig-<lb/>
faltigkeit ab von äuſseren Störungen; dennoch empfängt<lb/>
zu ihnen die Seele keinen Stoff von auſsen; vielmehr<lb/>
sind sie nur vervielfachte Ausdrücke für die innere, eigne<lb/>
Qualität der Seele; in ihrem Beysammenseyn ist die Seele<lb/>
mit sich selbst zusammen, daher auch ohne alle weitere<lb/>
Vermittelung das gleichartige und gleichzeitige Vorstel-<lb/>
len Eine Totalkraft ergibt, das entgegengesetzte aber<lb/>
sich ausschlieſst oder sich hemmt. Die nähern Bestim-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[295/0330]
Ich weis’t sie uns an, zu suchen nach einer Identität des
Vorstellenden mit einem, noch zu bestimmenden, Zusam-
men mehrerer Objecte. Sollen wir nun das Problem für
aufgelös’t erkennen, so muſs klar werden, erstlich wer
der Vorstellende, zweytens was das Zusammen der meh-
rern Objecte, drittens, daſs dies Zusammen und jener
Vorstellende identisch seyen. Die Erläuterung dieser drey
Puncte müssen wir an die Grundsätze der allgemeinen
Metaphysik anknüpfen, denn wir sollen jetzt nicht mehr
ein Gegebenes analysiren, sondern ein Resultat wissen-
schaftlich veststellen.
Wir gehen also zurück auf die Voraussetzung un-
serer ganzen psychologischen Untersuchung, wir nehmen
aus der allgemeinen Metaphysik als bekannt an, daſs die
Seele ein streng einfaches, ursprünglich nicht vorstel-
lendes Wesen ist, dessen Selbsterhaltungen aber gegen
mannigfaltige Störungen durch andre Wesen, Acte des
Vorstellens ergeben. (Man vergleiche §. 31—35.) Die
Seele an sich, in ihrer einfachen, übrigens unbekannten,
Qualität, — die nicht vorstellende, — kann nicht
Subject noch Object des Bewuſstseyns werden. Aber
die Seele in Hinsicht auf alle ihre Selbsterhaltungen,
welche Vorstellungen sind, ist das wahre Subject, das
Eine, ungetheilte, aber höchst mannigfaltig thätige, des
gesammten Bewuſstseyns. Wie dieses Subject sich be-
trachten läſst als Vorstellendes zu jedem Vorgestellten,
so auch in dem besondern Falle, da das Vorgestellte
ihm selbst identisch seyn soll.
Was die Objecte anlangt, so hängt deren Mannig-
faltigkeit ab von äuſseren Störungen; dennoch empfängt
zu ihnen die Seele keinen Stoff von auſsen; vielmehr
sind sie nur vervielfachte Ausdrücke für die innere, eigne
Qualität der Seele; in ihrem Beysammenseyn ist die Seele
mit sich selbst zusammen, daher auch ohne alle weitere
Vermittelung das gleichartige und gleichzeitige Vorstel-
len Eine Totalkraft ergibt, das entgegengesetzte aber
sich ausschlieſst oder sich hemmt. Die nähern Bestim-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/330>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.