Umständen. Es sey demnach eine gewisse Klasse von einfachen Vorstellungen so beschaffen, dass, wenn viele derselben zugleich im Bewusstseyn sind, alsdann aus ihrer Qualität bestimmte Abstufungen ihres Verschmel- zens erfolgen müssen: so ordnen sich unfehlbar diese Vorstellungen dergestalt neben und zwischen einan- der, dass man sie nicht anders als auf räumliche Weise zusammenfassen, und sich darüber nicht anders als in solchen Worten ausdrücken kann, welche dem Scheine nach vom Raume entlehnt, eigentlich aber eben so ur- sprünglich der Sache angemessen sind, als wenn man sie auf den Raum bezieht.
So machen alle Töne zusammengenommen eine ge- rade Linie, auf welcher Intervalle mit mathematischer Genauigkeit abgemessen werden.
So liegt, gleichfalls gerade, alles mögliche Violett zwischen Blau und Roth, alles mögliche Orange zwischen Roth und Gelb, alles Grün zwischen Blau und Gelb, -- wobey wir uns um die physiologischen, physischen, che- mischen Farbentheorien gar nicht kümmern, sondern bloss um Vorstellungen in der Seele. So giebt es ein bestimmtes Violett, Orange, Grün, welches genau in der Mitte zwischen den Extremen liegt, und derjenige irrt sich, welcher glaubt, das Wort Mitte sey hier eine Metapher; vielmehr würde der Begriff des Mittleren sich aus solchen qualitativen Continuen von selbst erzeugt ha- ben, wenn auch an keinen Raum gedacht würde.
Woher nun hier die abgestuften Verschmelzungen kommen, das springt von selbst in die Augen. Je grö- sser der Hemmungsgrad, desto geringer die Verschmelzung. Können demnach nur alle Töne, alle Farben, -- überhaupt alle Merkmale aus einerley Klasse, -- zugleich ins Bewusstseyn kommen: so macht sich die Abstufung des Verschmelzens unmittelbar von selbst. Dies ist etwas so einfaches und ursprüngliches, dass es der Ausbildung des räumlichen Sehens und Ta- stens weit vorangehn würde, wenn die äussere Erfahrung,
Umständen. Es sey demnach eine gewisse Klasse von einfachen Vorstellungen so beschaffen, daſs, wenn viele derselben zugleich im Bewuſstseyn sind, alsdann aus ihrer Qualität bestimmte Abstufungen ihres Verschmel- zens erfolgen müssen: so ordnen sich unfehlbar diese Vorstellungen dergestalt neben und zwischen einan- der, daſs man sie nicht anders als auf räumliche Weise zusammenfassen, und sich darüber nicht anders als in solchen Worten ausdrücken kann, welche dem Scheine nach vom Raume entlehnt, eigentlich aber eben so ur- sprünglich der Sache angemessen sind, als wenn man sie auf den Raum bezieht.
So machen alle Töne zusammengenommen eine ge- rade Linie, auf welcher Intervalle mit mathematischer Genauigkeit abgemessen werden.
So liegt, gleichfalls gerade, alles mögliche Violett zwischen Blau und Roth, alles mögliche Orange zwischen Roth und Gelb, alles Grün zwischen Blau und Gelb, — wobey wir uns um die physiologischen, physischen, che- mischen Farbentheorien gar nicht kümmern, sondern bloſs um Vorstellungen in der Seele. So giebt es ein bestimmtes Violett, Orange, Grün, welches genau in der Mitte zwischen den Extremen liegt, und derjenige irrt sich, welcher glaubt, das Wort Mitte sey hier eine Metapher; vielmehr würde der Begriff des Mittleren sich aus solchen qualitativen Continuen von selbst erzeugt ha- ben, wenn auch an keinen Raum gedacht würde.
Woher nun hier die abgestuften Verschmelzungen kommen, das springt von selbst in die Augen. Je grö- ſser der Hemmungsgrad, desto geringer die Verschmelzung. Können demnach nur alle Töne, alle Farben, — überhaupt alle Merkmale aus einerley Klasse, — zugleich ins Bewuſstseyn kommen: so macht sich die Abstufung des Verschmelzens unmittelbar von selbst. Dies ist etwas so einfaches und ursprüngliches, daſs es der Ausbildung des räumlichen Sehens und Ta- stens weit vorangehn würde, wenn die äuſsere Erfahrung,
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Umständen. Es sey demnach eine gewisse Klasse von
einfachen Vorstellungen so beschaffen, daſs, wenn viele
derselben zugleich im Bewuſstseyn sind, alsdann aus
ihrer Qualität bestimmte Abstufungen ihres Verschmel-
zens erfolgen müssen: so ordnen sich unfehlbar diese
Vorstellungen dergestalt neben und zwischen einan-
der, daſs man sie nicht anders als auf räumliche Weise
zusammenfassen, und sich darüber nicht anders als in
solchen Worten ausdrücken kann, welche dem Scheine
nach vom Raume entlehnt, eigentlich aber eben so ur-
sprünglich der Sache angemessen sind, als wenn man
sie auf den Raum bezieht.
So machen alle Töne zusammengenommen eine ge-
rade Linie, auf welcher Intervalle mit mathematischer
Genauigkeit abgemessen werden.
So liegt, gleichfalls gerade, alles mögliche Violett
zwischen Blau und Roth, alles mögliche Orange zwischen
Roth und Gelb, alles Grün zwischen Blau und Gelb, —
wobey wir uns um die physiologischen, physischen, che-
mischen Farbentheorien gar nicht kümmern, sondern
bloſs um Vorstellungen in der Seele. So giebt es ein
bestimmtes Violett, Orange, Grün, welches genau in
der Mitte zwischen den Extremen liegt, und derjenige
irrt sich, welcher glaubt, das Wort Mitte sey hier eine
Metapher; vielmehr würde der Begriff des Mittleren sich
aus solchen qualitativen Continuen von selbst erzeugt ha-
ben, wenn auch an keinen Raum gedacht würde.
Woher nun hier die abgestuften Verschmelzungen
kommen, das springt von selbst in die Augen. Je grö-
ſser der Hemmungsgrad, desto geringer die
Verschmelzung. Können demnach nur alle Töne,
alle Farben, — überhaupt alle Merkmale aus einerley
Klasse, — zugleich ins Bewuſstseyn kommen: so macht
sich die Abstufung des Verschmelzens unmittelbar von
selbst. Dies ist etwas so einfaches und ursprüngliches,
daſs es der Ausbildung des räumlichen Sehens und Ta-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/333>, abgerufen am 22.11.2024.
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