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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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Wenn jetzo Hume sich an die Erfahrung wendet,
so thut er es wiederum auf eine Weise, wobey er die
Winke, welche diese grosse Lehrerin ihm giebt, nicht
einmal gehörig benutzt. Die Erfahrung sagt nicht bloss,
dass wir einmal wahrgenommene Folgen von Begeben-
heiten associiren, und durch wiederhohlte Wahrneh-
mung ähnlicher Fälle einprägen: sondern sie lehrt auch,
dass Naturforscher, welche die Unsicherheit solcher Er-
wartungen gar wohl kennen, und deshalb auch in der
Angabe bestimmter Ursachen zu bestimmten Wir-
kungen sehr behutsam verfahren, dennoch mit grösster
Vestigkeit irgend eine Ursache da voraussetzen, wo
sie gegen jede Association der Einbildung sich stemmen,
oder auch, wo sie in der Beobachtung noch gar nichts
finden, das sie für die Ursache zu halten sich bewogen
fänden. Diese entschiedene Voraussetzung einer, wie-
wohl unbekannten Ursache, als ein psychologisches Phä-
nomen betrachtet, kann aus blosser Gewohnheit, wie
Hume will, auf keine Weise erklärt werden. Hier ist
die Kantische Lehre mehr befriedigend; indem eine ur-
sprüngliche Denkform angenommen wird; -- die jedoch,
als blosse Regel der Zeitfolge, den Causalbegriff nicht
erschöpfend erklärt, und wobey immer noch die Haupt-
sachen verfehlt werden, theils in der metaphysischen
Theorie der Causalität, theils, was uns hier angeht, in
der Nachweisung des psychologischen Ursprungs jenes
Begriffs.

Das Gegentheil einer jeden Beziehung, oder eines
jeden nothwendigen Zusammenhanges, einer jeden Syn-
thesis a priori zwischen zwey Begriffen, -- ist der Wi-
derspruch, welcher entstehn muss, indem Eins, das ohne
ein Anderes nicht gedacht werden kann, dennoch ohne
dies Andere gedacht wird. Auf diesen Widerspruch
müssen wir auch im gegenwärtigen Falle unsere Auf-
merksamkeit richten.

Man denke sich die Veränderung ohne Ursache.
Sogleich wird der Gedanke entstehn, dass die Verände-

rung

Wenn jetzo Hume sich an die Erfahrung wendet,
so thut er es wiederum auf eine Weise, wobey er die
Winke, welche diese groſse Lehrerin ihm giebt, nicht
einmal gehörig benutzt. Die Erfahrung sagt nicht bloſs,
daſs wir einmal wahrgenommene Folgen von Begeben-
heiten associiren, und durch wiederhohlte Wahrneh-
mung ähnlicher Fälle einprägen: sondern sie lehrt auch,
daſs Naturforscher, welche die Unsicherheit solcher Er-
wartungen gar wohl kennen, und deshalb auch in der
Angabe bestimmter Ursachen zu bestimmten Wir-
kungen sehr behutsam verfahren, dennoch mit gröſster
Vestigkeit irgend eine Ursache da voraussetzen, wo
sie gegen jede Association der Einbildung sich stemmen,
oder auch, wo sie in der Beobachtung noch gar nichts
finden, das sie für die Ursache zu halten sich bewogen
fänden. Diese entschiedene Voraussetzung einer, wie-
wohl unbekannten Ursache, als ein psychologisches Phä-
nomen betrachtet, kann aus bloſser Gewohnheit, wie
Hume will, auf keine Weise erklärt werden. Hier ist
die Kantische Lehre mehr befriedigend; indem eine ur-
sprüngliche Denkform angenommen wird; — die jedoch,
als bloſse Regel der Zeitfolge, den Causalbegriff nicht
erschöpfend erklärt, und wobey immer noch die Haupt-
sachen verfehlt werden, theils in der metaphysischen
Theorie der Causalität, theils, was uns hier angeht, in
der Nachweisung des psychologischen Ursprungs jenes
Begriffs.

Das Gegentheil einer jeden Beziehung, oder eines
jeden nothwendigen Zusammenhanges, einer jeden Syn-
thesis a priori zwischen zwey Begriffen, — ist der Wi-
derspruch, welcher entstehn muſs, indem Eins, das ohne
ein Anderes nicht gedacht werden kann, dennoch ohne
dies Andere gedacht wird. Auf diesen Widerspruch
müssen wir auch im gegenwärtigen Falle unsere Auf-
merksamkeit richten.

Man denke sich die Veränderung ohne Ursache.
Sogleich wird der Gedanke entstehn, daſs die Verände-

rung
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[320/0355] Wenn jetzo Hume sich an die Erfahrung wendet, so thut er es wiederum auf eine Weise, wobey er die Winke, welche diese groſse Lehrerin ihm giebt, nicht einmal gehörig benutzt. Die Erfahrung sagt nicht bloſs, daſs wir einmal wahrgenommene Folgen von Begeben- heiten associiren, und durch wiederhohlte Wahrneh- mung ähnlicher Fälle einprägen: sondern sie lehrt auch, daſs Naturforscher, welche die Unsicherheit solcher Er- wartungen gar wohl kennen, und deshalb auch in der Angabe bestimmter Ursachen zu bestimmten Wir- kungen sehr behutsam verfahren, dennoch mit gröſster Vestigkeit irgend eine Ursache da voraussetzen, wo sie gegen jede Association der Einbildung sich stemmen, oder auch, wo sie in der Beobachtung noch gar nichts finden, das sie für die Ursache zu halten sich bewogen fänden. Diese entschiedene Voraussetzung einer, wie- wohl unbekannten Ursache, als ein psychologisches Phä- nomen betrachtet, kann aus bloſser Gewohnheit, wie Hume will, auf keine Weise erklärt werden. Hier ist die Kantische Lehre mehr befriedigend; indem eine ur- sprüngliche Denkform angenommen wird; — die jedoch, als bloſse Regel der Zeitfolge, den Causalbegriff nicht erschöpfend erklärt, und wobey immer noch die Haupt- sachen verfehlt werden, theils in der metaphysischen Theorie der Causalität, theils, was uns hier angeht, in der Nachweisung des psychologischen Ursprungs jenes Begriffs. Das Gegentheil einer jeden Beziehung, oder eines jeden nothwendigen Zusammenhanges, einer jeden Syn- thesis a priori zwischen zwey Begriffen, — ist der Wi- derspruch, welcher entstehn muſs, indem Eins, das ohne ein Anderes nicht gedacht werden kann, dennoch ohne dies Andere gedacht wird. Auf diesen Widerspruch müssen wir auch im gegenwärtigen Falle unsere Auf- merksamkeit richten. Man denke sich die Veränderung ohne Ursache. Sogleich wird der Gedanke entstehn, daſs die Verände- rung

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/355>, abgerufen am 23.11.2024.