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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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derung eine Ursache habe, in die Mitte; so oft uns
irgend ein wirkliches Ereigniss auffordert, nach seiner
Ursache zu fragen. Denn es findet sich alsdann nicht
bloss eine Ursache, sondern ein Gewebe von Umstän-
den, die offenbar zusammenwirkten.

Nur sind wir sehr geneigt, unsre Aufmerksamkeit
hiebey auf einen ganz besonders auffallenden Punct zu
heften, und das Uebrige aus der Acht zu lassen *).

Warum sehe ich aus meinem Fenster jenen entfern-
ten Thurm? -- Weil ich ans Fenster trat. Weil der
Baum weggehauen ist, der ihn verbarg. Weil die Sonne
auf den Thurm scheint. Weil ich die Augen geöffnet
habe. Weil ich ein hinlänglich scharfes Gesicht besitze.
Weil man mich aufmerksam machte. Weil mein Nach-
denken über die Gegenstände, in die ich vertieft war,
schwächer wurde.

Warum ist jener Freund krank geworden? Weil
er sich sehr erhitzt hatte. Weil ein heftiger Wind ihn
traf. Weil er sich nicht zeitig ins Bett legte. Weil
sein Arzt zu spät kam. Weil er dessen Verordnung
nicht befolgte. Weil er schon früher kränklich gewesen
war; weil er eine schwache Lunge, Leber, o. d. gl. hat;
weil er an Gicht, an Rheumatismus leidet.

Diese ganz gemeinen Beyspiele, die sich noch weiter
ausführen lassen, zeigen zwar keineswegs eine Zusammen-
wirkung des Universums, wohl aber ganz deutlich eine
Mannigfaltigkeit dessen, was man als Ursache eines
Ereignisses angeben kann. Sie erinnern, dass der lei-
dende Gegenstand zuerst selbst als leidensfähig, als reizbar,
dann in der Mitte von andern Gegenständen, in blei-
bender Gemeinschaft mit ihnen, zu denken ist; damit
nun irgend eine von den vielen möglichen Störungen
dieser Gemeinschaft, oder auch mehrere zugleich, als
Ursachen der Veränderung angegeben werden können.

*) Aus ältern Metaphysiken kennt man übrigens die caussas con-
iunctas, principales etc.

derung eine Ursache habe, in die Mitte; so oft uns
irgend ein wirkliches Ereigniſs auffordert, nach seiner
Ursache zu fragen. Denn es findet sich alsdann nicht
bloſs eine Ursache, sondern ein Gewebe von Umstän-
den, die offenbar zusammenwirkten.

Nur sind wir sehr geneigt, unsre Aufmerksamkeit
hiebey auf einen ganz besonders auffallenden Punct zu
heften, und das Uebrige aus der Acht zu lassen *).

Warum sehe ich aus meinem Fenster jenen entfern-
ten Thurm? — Weil ich ans Fenster trat. Weil der
Baum weggehauen ist, der ihn verbarg. Weil die Sonne
auf den Thurm scheint. Weil ich die Augen geöffnet
habe. Weil ich ein hinlänglich scharfes Gesicht besitze.
Weil man mich aufmerksam machte. Weil mein Nach-
denken über die Gegenstände, in die ich vertieft war,
schwächer wurde.

Warum ist jener Freund krank geworden? Weil
er sich sehr erhitzt hatte. Weil ein heftiger Wind ihn
traf. Weil er sich nicht zeitig ins Bett legte. Weil
sein Arzt zu spät kam. Weil er dessen Verordnung
nicht befolgte. Weil er schon früher kränklich gewesen
war; weil er eine schwache Lunge, Leber, o. d. gl. hat;
weil er an Gicht, an Rheumatismus leidet.

Diese ganz gemeinen Beyspiele, die sich noch weiter
ausführen lassen, zeigen zwar keineswegs eine Zusammen-
wirkung des Universums, wohl aber ganz deutlich eine
Mannigfaltigkeit dessen, was man als Ursache eines
Ereignisses angeben kann. Sie erinnern, daſs der lei-
dende Gegenstand zuerst selbst als leidensfähig, als reizbar,
dann in der Mitte von andern Gegenständen, in blei-
bender Gemeinschaft mit ihnen, zu denken ist; damit
nun irgend eine von den vielen möglichen Störungen
dieser Gemeinschaft, oder auch mehrere zugleich, als
Ursachen der Veränderung angegeben werden können.

*) Aus ältern Metaphysiken kennt man übrigens die cauſſas con-
iunctas, principales etc.
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[332/0367] derung eine Ursache habe, in die Mitte; so oft uns irgend ein wirkliches Ereigniſs auffordert, nach seiner Ursache zu fragen. Denn es findet sich alsdann nicht bloſs eine Ursache, sondern ein Gewebe von Umstän- den, die offenbar zusammenwirkten. Nur sind wir sehr geneigt, unsre Aufmerksamkeit hiebey auf einen ganz besonders auffallenden Punct zu heften, und das Uebrige aus der Acht zu lassen *). Warum sehe ich aus meinem Fenster jenen entfern- ten Thurm? — Weil ich ans Fenster trat. Weil der Baum weggehauen ist, der ihn verbarg. Weil die Sonne auf den Thurm scheint. Weil ich die Augen geöffnet habe. Weil ich ein hinlänglich scharfes Gesicht besitze. Weil man mich aufmerksam machte. Weil mein Nach- denken über die Gegenstände, in die ich vertieft war, schwächer wurde. Warum ist jener Freund krank geworden? Weil er sich sehr erhitzt hatte. Weil ein heftiger Wind ihn traf. Weil er sich nicht zeitig ins Bett legte. Weil sein Arzt zu spät kam. Weil er dessen Verordnung nicht befolgte. Weil er schon früher kränklich gewesen war; weil er eine schwache Lunge, Leber, o. d. gl. hat; weil er an Gicht, an Rheumatismus leidet. Diese ganz gemeinen Beyspiele, die sich noch weiter ausführen lassen, zeigen zwar keineswegs eine Zusammen- wirkung des Universums, wohl aber ganz deutlich eine Mannigfaltigkeit dessen, was man als Ursache eines Ereignisses angeben kann. Sie erinnern, daſs der lei- dende Gegenstand zuerst selbst als leidensfähig, als reizbar, dann in der Mitte von andern Gegenständen, in blei- bender Gemeinschaft mit ihnen, zu denken ist; damit nun irgend eine von den vielen möglichen Störungen dieser Gemeinschaft, oder auch mehrere zugleich, als Ursachen der Veränderung angegeben werden können. *) Aus ältern Metaphysiken kennt man übrigens die cauſſas con- iunctas, principales etc.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/367>, abgerufen am 24.11.2024.