Auf welchen Punct der ablaufenden Reihen nun gerade zufällig eine Hemmung trifft, da werden die Reihen (die man in Gedanken rückwärts verfolgen muss,) in Span- nung gesetzt, so lang sie nun gerade sind; und für so lange Zeit, bis sie, falls das Hinderniss nicht weicht, selbst durch den Widerstand sind niedergebeugt worden. Dies giebt den kindlichen, oder knabenhaften Zustand eines mannigfaltigen Begehrens ohne vesten Plan, das keine anhaltende, gleichförmige Wirkungen erzeugt, viel- mehr unter einem stetigen Zwange bald zusammensinkt, dagegen aber bald andre Gegenstände ergreift, oder, was dasselbe sagt, sich in andern Vorstellungsreihen wieder ereignet; so dass, wann der Zwang nicht zu allge- mein über die ganze Sphäre der kindlichen Reg- samkeit verbreitet wird, sich kein wesentlicher Ver- lust an der Gesammt-Thätigkeit des jugendlichen Geistes verspüren lässt.
Auf dieser ersten Stufe nun ist es ein Grundfehler der Erziehung, wenn das Ich des Kindes nicht im Gleich- gewichte des Wollens und der Hingebung gehalten wird. Die Fehler des Uebermuths und des Unmuths entstehn aus dem Uebergewichte nach der einen und nach der andern Seite; beyde sind gleich schlimm; und zwar ge- rade darum schlimm, weil sie dem Kinde die Vorstellung von Sich und seinen Verhältnissen verderben. Dass da- bey die natürliche Weichheit und Biegsamkeit vermin- dert, dass die ursprüngliche Erzeugung des sittlichen Ur- theils gestört wird, kann ich hier nicht ausführlich ent- wickeln *).
Die zweyte Stufe ist die des planmässig handelnden Mannes. Hier ist nöthig, Pläne von Maximen zu unter- scheiden. Jene hängen ab von der Kenntniss des Causal- Verhältnisses unter den Sinnengegenständen. Sobald der
*) Im Zusammenhange mit dem Ganzen der sittlichen Bildung zeigt sich dies in meiner Pädagogik; insbesondere im 5. Capitel des dritten Buchs.
Auf welchen Punct der ablaufenden Reihen nun gerade zufällig eine Hemmung trifft, da werden die Reihen (die man in Gedanken rückwärts verfolgen muſs,) in Span- nung gesetzt, so lang sie nun gerade sind; und für so lange Zeit, bis sie, falls das Hinderniſs nicht weicht, selbst durch den Widerstand sind niedergebeugt worden. Dies giebt den kindlichen, oder knabenhaften Zustand eines mannigfaltigen Begehrens ohne vesten Plan, das keine anhaltende, gleichförmige Wirkungen erzeugt, viel- mehr unter einem stetigen Zwange bald zusammensinkt, dagegen aber bald andre Gegenstände ergreift, oder, was dasselbe sagt, sich in andern Vorstellungsreihen wieder ereignet; so daſs, wann der Zwang nicht zu allge- mein über die ganze Sphäre der kindlichen Reg- samkeit verbreitet wird, sich kein wesentlicher Ver- lust an der Gesammt-Thätigkeit des jugendlichen Geistes verspüren läſst.
Auf dieser ersten Stufe nun ist es ein Grundfehler der Erziehung, wenn das Ich des Kindes nicht im Gleich- gewichte des Wollens und der Hingebung gehalten wird. Die Fehler des Uebermuths und des Unmuths entstehn aus dem Uebergewichte nach der einen und nach der andern Seite; beyde sind gleich schlimm; und zwar ge- rade darum schlimm, weil sie dem Kinde die Vorstellung von Sich und seinen Verhältnissen verderben. Daſs da- bey die natürliche Weichheit und Biegsamkeit vermin- dert, daſs die ursprüngliche Erzeugung des sittlichen Ur- theils gestört wird, kann ich hier nicht ausführlich ent- wickeln *).
Die zweyte Stufe ist die des planmäſsig handelnden Mannes. Hier ist nöthig, Pläne von Maximen zu unter- scheiden. Jene hängen ab von der Kenntniſs des Causal- Verhältnisses unter den Sinnengegenständen. Sobald der
*) Im Zusammenhange mit dem Ganzen der sittlichen Bildung zeigt sich dies in meiner Pädagogik; insbesondere im 5. Capitel des dritten Buchs.
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Auf welchen Punct der ablaufenden Reihen nun gerade
zufällig eine Hemmung trifft, da werden die Reihen (die
man in Gedanken rückwärts verfolgen muſs,) in Span-
nung gesetzt, so lang sie nun gerade sind; und für so
lange Zeit, bis sie, falls das Hinderniſs nicht weicht,
selbst durch den Widerstand sind niedergebeugt worden.
Dies giebt den kindlichen, oder knabenhaften Zustand
eines mannigfaltigen Begehrens ohne vesten Plan, das
keine anhaltende, gleichförmige Wirkungen erzeugt, viel-
mehr unter einem stetigen Zwange bald zusammensinkt,
dagegen aber bald andre Gegenstände ergreift, oder, was
dasselbe sagt, sich in andern Vorstellungsreihen wieder
ereignet; so daſs, wann der Zwang nicht zu allge-
mein über die ganze Sphäre der kindlichen Reg-
samkeit verbreitet wird, sich kein wesentlicher Ver-
lust an der Gesammt-Thätigkeit des jugendlichen Geistes
verspüren läſst.
Auf dieser ersten Stufe nun ist es ein Grundfehler
der Erziehung, wenn das Ich des Kindes nicht im Gleich-
gewichte des Wollens und der Hingebung gehalten wird.
Die Fehler des Uebermuths und des Unmuths entstehn
aus dem Uebergewichte nach der einen und nach der
andern Seite; beyde sind gleich schlimm; und zwar ge-
rade darum schlimm, weil sie dem Kinde die Vorstellung
von Sich und seinen Verhältnissen verderben. Daſs da-
bey die natürliche Weichheit und Biegsamkeit vermin-
dert, daſs die ursprüngliche Erzeugung des sittlichen Ur-
theils gestört wird, kann ich hier nicht ausführlich ent-
wickeln *).
Die zweyte Stufe ist die des planmäſsig handelnden
Mannes. Hier ist nöthig, Pläne von Maximen zu unter-
scheiden. Jene hängen ab von der Kenntniſs des Causal-
Verhältnisses unter den Sinnengegenständen. Sobald der
*) Im Zusammenhange mit dem Ganzen der sittlichen Bildung
zeigt sich dies in meiner Pädagogik; insbesondere im 5. Capitel des
dritten Buchs.
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/460>, abgerufen am 22.11.2024.
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