fühl an Stärke immer zu, je öfter es beym Handeln er- neuert wird. Folglich, um nicht auch seine Wirkung zu vergrössern, muss es immer mehr in einem gehemmten Zustande verbleiben. Und das geschieht der Erfahrung gemäss, wirklich. Denn immer dunkler wird unser Be- wusstseyn der nämlichen Handlungen, je mehr durch Wiederhohlung die Fertigkeit wächst.
Zweytens: durch Uebung wächst nicht bloss die Fer- tigkeit; sondern unvollkommene Erfolge veranlassen neue Versuche, und ein schärferes Aufmerken auf die Gefühle in den Organen; (wobey die Thätigkeit des Aufmerkens in gewissen höhern Vorstellungsmassen ihren Sitz hat, dergleichen wir oben beym innern Sinne in Betracht zo- gen.) Durch Versuche nun lässt sich der Kreis des mög- lichen Handelns unbestimmt erweitern, und sehr über die ersten Anfänge, welche von unwillkührlichen organischen Bewegungen ausgingen, hinausdehnen.
Drittens: dass in diesen ersten Anfängen sich alles aus Gefühl und Beobachtung, ohne Willkühr, zusam- mensetzt, sieht man deutlich an eigensinnigen Kindern, die durch Schreyen ihre Umgebung regieren; ja selbst an Thieren, denen oft auf ihre klagende Stimme gewährt worden ist, was sie begehrten. Bey diesen wie bey jenen werden unverkennbar die Töne immer gebieterischer, je häufiger sie erfahren haben, dass sie etwas dadurch aus- richten. Ihre Laute werden für sie ein Organ des Han- delns, so unnatürlich dies auch ist. Die Complexion zwischen dem Schreyen und dem beobachteten guten Er- folge wirkt nach dem allgemeinen Gange des psycholo- gischen Mechanismus dahin, dass, sobald das Beobach- tete zum Begehrten wird, sich die Stimme erhebt, und zwar nach häufiger Wiederhohlung endlich mit der Zu- versicht des Gelingens, wodurch der Wunsch in den Willen, die Bitte in den Befehl übergeht.
Viertens: man wolle gegen die gegebene Erklärung nicht einwenden, dass die Vorstellung von der Bewegung des Arms oder des Beins oft genug ins Bewusstseyn
fühl an Stärke immer zu, je öfter es beym Handeln er- neuert wird. Folglich, um nicht auch seine Wirkung zu vergröſsern, muſs es immer mehr in einem gehemmten Zustande verbleiben. Und das geschieht der Erfahrung gemäſs, wirklich. Denn immer dunkler wird unser Be- wuſstseyn der nämlichen Handlungen, je mehr durch Wiederhohlung die Fertigkeit wächst.
Zweytens: durch Uebung wächst nicht bloſs die Fer- tigkeit; sondern unvollkommene Erfolge veranlassen neue Versuche, und ein schärferes Aufmerken auf die Gefühle in den Organen; (wobey die Thätigkeit des Aufmerkens in gewissen höhern Vorstellungsmassen ihren Sitz hat, dergleichen wir oben beym innern Sinne in Betracht zo- gen.) Durch Versuche nun läſst sich der Kreis des mög- lichen Handelns unbestimmt erweitern, und sehr über die ersten Anfänge, welche von unwillkührlichen organischen Bewegungen ausgingen, hinausdehnen.
Drittens: daſs in diesen ersten Anfängen sich alles aus Gefühl und Beobachtung, ohne Willkühr, zusam- mensetzt, sieht man deutlich an eigensinnigen Kindern, die durch Schreyen ihre Umgebung regieren; ja selbst an Thieren, denen oft auf ihre klagende Stimme gewährt worden ist, was sie begehrten. Bey diesen wie bey jenen werden unverkennbar die Töne immer gebieterischer, je häufiger sie erfahren haben, daſs sie etwas dadurch aus- richten. Ihre Laute werden für sie ein Organ des Han- delns, so unnatürlich dies auch ist. Die Complexion zwischen dem Schreyen und dem beobachteten guten Er- folge wirkt nach dem allgemeinen Gange des psycholo- gischen Mechanismus dahin, daſs, sobald das Beobach- tete zum Begehrten wird, sich die Stimme erhebt, und zwar nach häufiger Wiederhohlung endlich mit der Zu- versicht des Gelingens, wodurch der Wunsch in den Willen, die Bitte in den Befehl übergeht.
Viertens: man wolle gegen die gegebene Erklärung nicht einwenden, daſs die Vorstellung von der Bewegung des Arms oder des Beins oft genug ins Bewuſstseyn
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0501"n="466"/>
fühl an Stärke immer zu, je öfter es beym Handeln er-<lb/>
neuert wird. Folglich, um nicht auch seine Wirkung zu<lb/>
vergröſsern, muſs es immer mehr in einem gehemmten<lb/>
Zustande verbleiben. Und das geschieht der Erfahrung<lb/>
gemäſs, wirklich. Denn immer dunkler wird unser Be-<lb/>
wuſstseyn der nämlichen Handlungen, je mehr durch<lb/>
Wiederhohlung die Fertigkeit wächst.</p><lb/><p>Zweytens: durch Uebung wächst nicht bloſs die Fer-<lb/>
tigkeit; sondern unvollkommene Erfolge veranlassen neue<lb/>
Versuche, und ein schärferes Aufmerken auf die Gefühle<lb/>
in den Organen; (wobey die Thätigkeit des Aufmerkens<lb/>
in gewissen höhern Vorstellungsmassen ihren Sitz hat,<lb/>
dergleichen wir oben beym innern Sinne in Betracht zo-<lb/>
gen.) Durch Versuche nun läſst sich der Kreis des mög-<lb/>
lichen Handelns unbestimmt erweitern, und sehr über die<lb/>
ersten Anfänge, welche von unwillkührlichen organischen<lb/>
Bewegungen ausgingen, hinausdehnen.</p><lb/><p>Drittens: daſs in diesen ersten Anfängen sich alles<lb/>
aus Gefühl und Beobachtung, ohne Willkühr, zusam-<lb/>
mensetzt, sieht man deutlich an eigensinnigen Kindern,<lb/>
die durch Schreyen ihre Umgebung regieren; ja selbst<lb/>
an Thieren, denen oft auf ihre klagende Stimme gewährt<lb/>
worden ist, was sie begehrten. Bey diesen wie bey jenen<lb/>
werden unverkennbar die Töne immer gebieterischer, je<lb/>
häufiger sie erfahren haben, daſs sie etwas dadurch aus-<lb/>
richten. Ihre Laute werden für sie ein Organ des Han-<lb/>
delns, so unnatürlich dies auch ist. Die Complexion<lb/>
zwischen dem Schreyen und dem beobachteten guten Er-<lb/>
folge wirkt nach dem allgemeinen Gange des psycholo-<lb/>
gischen Mechanismus dahin, daſs, sobald das Beobach-<lb/>
tete zum Begehrten wird, sich die Stimme erhebt, und<lb/>
zwar nach häufiger Wiederhohlung endlich mit der Zu-<lb/>
versicht des Gelingens, wodurch der Wunsch in den<lb/>
Willen, die Bitte in den Befehl übergeht.</p><lb/><p>Viertens: man wolle gegen die gegebene Erklärung<lb/>
nicht einwenden, daſs die Vorstellung von der Bewegung<lb/>
des Arms oder des Beins oft genug ins Bewuſstseyn<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[466/0501]
fühl an Stärke immer zu, je öfter es beym Handeln er-
neuert wird. Folglich, um nicht auch seine Wirkung zu
vergröſsern, muſs es immer mehr in einem gehemmten
Zustande verbleiben. Und das geschieht der Erfahrung
gemäſs, wirklich. Denn immer dunkler wird unser Be-
wuſstseyn der nämlichen Handlungen, je mehr durch
Wiederhohlung die Fertigkeit wächst.
Zweytens: durch Uebung wächst nicht bloſs die Fer-
tigkeit; sondern unvollkommene Erfolge veranlassen neue
Versuche, und ein schärferes Aufmerken auf die Gefühle
in den Organen; (wobey die Thätigkeit des Aufmerkens
in gewissen höhern Vorstellungsmassen ihren Sitz hat,
dergleichen wir oben beym innern Sinne in Betracht zo-
gen.) Durch Versuche nun läſst sich der Kreis des mög-
lichen Handelns unbestimmt erweitern, und sehr über die
ersten Anfänge, welche von unwillkührlichen organischen
Bewegungen ausgingen, hinausdehnen.
Drittens: daſs in diesen ersten Anfängen sich alles
aus Gefühl und Beobachtung, ohne Willkühr, zusam-
mensetzt, sieht man deutlich an eigensinnigen Kindern,
die durch Schreyen ihre Umgebung regieren; ja selbst
an Thieren, denen oft auf ihre klagende Stimme gewährt
worden ist, was sie begehrten. Bey diesen wie bey jenen
werden unverkennbar die Töne immer gebieterischer, je
häufiger sie erfahren haben, daſs sie etwas dadurch aus-
richten. Ihre Laute werden für sie ein Organ des Han-
delns, so unnatürlich dies auch ist. Die Complexion
zwischen dem Schreyen und dem beobachteten guten Er-
folge wirkt nach dem allgemeinen Gange des psycholo-
gischen Mechanismus dahin, daſs, sobald das Beobach-
tete zum Begehrten wird, sich die Stimme erhebt, und
zwar nach häufiger Wiederhohlung endlich mit der Zu-
versicht des Gelingens, wodurch der Wunsch in den
Willen, die Bitte in den Befehl übergeht.
Viertens: man wolle gegen die gegebene Erklärung
nicht einwenden, daſs die Vorstellung von der Bewegung
des Arms oder des Beins oft genug ins Bewuſstseyn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/501>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.