Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

wegen wann die Seele will, der Augen und Ohren, welche
nur Vorstellungen erregen, wenn etwas Aeusseres zu se-
hen und zu hören ist; über die Leichtigkeit, womit Ge-
dächtniss und Phantasie sich äussern; gleich als ob es
dabey nur auf einen psychologischen, und nicht zugleich
auf den begleitenden physiologischen Mechanismus an-
käme.


Zweytes Capitel.
Von denjenigen Geisteszuständen, worauf der
Leib einen bemerkbaren Einfluss hat.
§. 160.

Der physiologische Mechanismus, so fern er die Ab-
wechselungen der Seelenzustände bloss begleitet, (und
so lange, diesen letzteren gehorsam, das Nervensystem
sich übrigens durch Wirkung und Gegenwirkung aller
seiner Theile in Ruhe hält,) -- kann nicht wahrgenom-
men werden in den Geistesfunctionen, die er begleitet;
vielmehr werden sich dieselben aus bloss psychologischen
Gründen allein erklären lassen. Und es würde blosse
Hypothesen-Sucht verrathen, wenn man sich fernerhin
in dem unbestimmt schweifenden Gedanken gefallen wollte,
dass vielleicht ein grosser Theil der Zustände des Be-
wusstseyns -- man wisse nicht was für ein und wie
grosser Theil, -- aus der Organisation des Leibes sei-
nen Ursprung nehme. Hingegen ist es dem regelmässi-
gen Gange der Forschung gemäss, die einmal aufgefun-
denen Grundsätze der Statik und Mechanik des Geistes
so weit als möglich zu verfolgen; und nicht eher, als
indem eine bedeutende Divergenz zwischen den aus ihnen
zu erkennenden Gesetzen und den in der Erfahrung ge-
gebenen Erscheinungen, sich entdeckt, einen fremdarti-
gen Einfluss vorauszusetzen, und ihm nachzuspähen. Allein

wegen wann die Seele will, der Augen und Ohren, welche
nur Vorstellungen erregen, wenn etwas Aeuſseres zu se-
hen und zu hören ist; über die Leichtigkeit, womit Ge-
dächtniſs und Phantasie sich äuſsern; gleich als ob es
dabey nur auf einen psychologischen, und nicht zugleich
auf den begleitenden physiologischen Mechanismus an-
käme.


Zweytes Capitel.
Von denjenigen Geisteszuständen, worauf der
Leib einen bemerkbaren Einfluſs hat.
§. 160.

Der physiologische Mechanismus, so fern er die Ab-
wechselungen der Seelenzustände bloſs begleitet, (und
so lange, diesen letzteren gehorsam, das Nervensystem
sich übrigens durch Wirkung und Gegenwirkung aller
seiner Theile in Ruhe hält,) — kann nicht wahrgenom-
men werden in den Geistesfunctionen, die er begleitet;
vielmehr werden sich dieselben aus bloſs psychologischen
Gründen allein erklären lassen. Und es würde bloſse
Hypothesen-Sucht verrathen, wenn man sich fernerhin
in dem unbestimmt schweifenden Gedanken gefallen wollte,
daſs vielleicht ein groſser Theil der Zustände des Be-
wuſstseyns — man wisse nicht was für ein und wie
groſser Theil, — aus der Organisation des Leibes sei-
nen Ursprung nehme. Hingegen ist es dem regelmäſsi-
gen Gange der Forschung gemäſs, die einmal aufgefun-
denen Grundsätze der Statik und Mechanik des Geistes
so weit als möglich zu verfolgen; und nicht eher, als
indem eine bedeutende Divergenz zwischen den aus ihnen
zu erkennenden Gesetzen und den in der Erfahrung ge-
gebenen Erscheinungen, sich entdeckt, einen fremdarti-
gen Einfluſs vorauszusetzen, und ihm nachzuspähen. Allein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0523" n="488"/>
wegen wann die Seele will, der Augen und Ohren, welche<lb/>
nur Vorstellungen erregen, wenn etwas Aeu&#x017F;seres zu se-<lb/>
hen und zu hören ist; über die Leichtigkeit, womit Ge-<lb/>
dächtni&#x017F;s und Phantasie sich äu&#x017F;sern; gleich als ob es<lb/>
dabey nur auf einen psychologischen, und nicht zugleich<lb/>
auf den begleitenden physiologischen Mechanismus an-<lb/>
käme.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Zweytes Capitel</hi>.</hi><lb/>
Von denjenigen Geisteszuständen, worauf der<lb/>
Leib einen bemerkbaren Einflu&#x017F;s hat.</head><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 160.</head><lb/>
              <p>Der physiologische Mechanismus, so fern er die Ab-<lb/>
wechselungen der Seelenzustände <hi rendition="#g">blo&#x017F;s begleitet</hi>, (und<lb/>
so lange, diesen letzteren gehorsam, das Nervensystem<lb/>
sich übrigens durch Wirkung und Gegenwirkung aller<lb/>
seiner Theile in Ruhe hält,) &#x2014; kann nicht wahrgenom-<lb/>
men werden in den Geistesfunctionen, die er begleitet;<lb/>
vielmehr werden sich dieselben aus blo&#x017F;s psychologischen<lb/>
Gründen allein erklären lassen. Und es würde blo&#x017F;se<lb/>
Hypothesen-Sucht verrathen, wenn man sich fernerhin<lb/>
in dem unbestimmt schweifenden Gedanken gefallen wollte,<lb/>
da&#x017F;s <hi rendition="#g">vielleicht</hi> ein gro&#x017F;ser Theil der Zustände des Be-<lb/>
wu&#x017F;stseyns &#x2014; man wisse nicht <hi rendition="#g">was für ein</hi> und wie<lb/><hi rendition="#g">gro&#x017F;ser</hi> Theil, &#x2014; aus der Organisation des Leibes sei-<lb/>
nen Ursprung nehme. Hingegen ist es dem regelmä&#x017F;si-<lb/>
gen Gange der Forschung gemä&#x017F;s, die einmal aufgefun-<lb/>
denen Grundsätze der Statik und Mechanik des Geistes<lb/>
so weit als möglich zu verfolgen; und <hi rendition="#g">nicht eher</hi>, als<lb/>
indem eine bedeutende Divergenz zwischen den aus ihnen<lb/>
zu erkennenden Gesetzen und den in der Erfahrung ge-<lb/>
gebenen Erscheinungen, sich entdeckt, einen fremdarti-<lb/>
gen Einflu&#x017F;s vorauszusetzen, und ihm nachzuspähen. Allein<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[488/0523] wegen wann die Seele will, der Augen und Ohren, welche nur Vorstellungen erregen, wenn etwas Aeuſseres zu se- hen und zu hören ist; über die Leichtigkeit, womit Ge- dächtniſs und Phantasie sich äuſsern; gleich als ob es dabey nur auf einen psychologischen, und nicht zugleich auf den begleitenden physiologischen Mechanismus an- käme. Zweytes Capitel. Von denjenigen Geisteszuständen, worauf der Leib einen bemerkbaren Einfluſs hat. §. 160. Der physiologische Mechanismus, so fern er die Ab- wechselungen der Seelenzustände bloſs begleitet, (und so lange, diesen letzteren gehorsam, das Nervensystem sich übrigens durch Wirkung und Gegenwirkung aller seiner Theile in Ruhe hält,) — kann nicht wahrgenom- men werden in den Geistesfunctionen, die er begleitet; vielmehr werden sich dieselben aus bloſs psychologischen Gründen allein erklären lassen. Und es würde bloſse Hypothesen-Sucht verrathen, wenn man sich fernerhin in dem unbestimmt schweifenden Gedanken gefallen wollte, daſs vielleicht ein groſser Theil der Zustände des Be- wuſstseyns — man wisse nicht was für ein und wie groſser Theil, — aus der Organisation des Leibes sei- nen Ursprung nehme. Hingegen ist es dem regelmäſsi- gen Gange der Forschung gemäſs, die einmal aufgefun- denen Grundsätze der Statik und Mechanik des Geistes so weit als möglich zu verfolgen; und nicht eher, als indem eine bedeutende Divergenz zwischen den aus ihnen zu erkennenden Gesetzen und den in der Erfahrung ge- gebenen Erscheinungen, sich entdeckt, einen fremdarti- gen Einfluſs vorauszusetzen, und ihm nachzuspähen. Allein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/523
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/523>, abgerufen am 22.11.2024.