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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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Gleichgültigste mit dem Wichtigsten. Dagegen hat der
Traum mehr Einheit der Gemüthsstimmung. Und dies
ist wiederum sehr natürlich. Wir erfahren stets, auch
während des Wachens, dass Gefühle und Affecten am
entschiedensten auf den leiblichen Zustand wirken; um-
gekehrt also wird es im Traume von den Zuständen des
Leibes abhängen, welche Gemüthsstimmung, und hie-
mit welche Vorstellungen, oder wenigstens in welchen
Modificationen durch heitere oder traurige Verknüpfun-
gen, dieselben sollen aufgeregt werden. Die Art der
Freyheit, und die Beschränkung, innerhalb deren den
Vorstellungen vergönnt wird, sich zu reproduciren, diese
wird sich nach derjenigen affectiven Beschaffenheit des
Bewusstseyns richten, die mit den leiblichen Zuständen
jedesmal zusammenpasst. So bekommt der Traum die
Einheit eines Feenmährchens; um welche wohl hie und
da ein Dichter sich vergeblich bemüht, weil er das Wa-
chen, und dessen Gesetze, nicht los werden kann.

§. 162.

Indem ich mit diesen kurzen Andeutungen über Schlaf
und Traum mich begnüge, -- weil eine weitere Ausfüh-
rung einerseits in noch unerforschte Tiefen der Mecha-
nik des Geistes eindringen müsste, andererseits die nähe-
ren Bestimmungen ohne Zweifel grossentheils von unbe-
kannten physiologischen Gesetzen abhängen: glaube ich
gleichwohl einigermaassen den Typus angegeben zu ha-
ben, nach welchem nicht nur dieser Gegenstand, son-
dern auch andere verwandte, müssen untersucht werden.
Es kommt nämlich alles darauf an, dass man die Grund-
gesetze des psychologischen Mechanismus wohl im Auge
habe, und dass man aus ihnen selbst zu erforschen suche,
welche Modificationen sie ihrer Natur nach annehmen
können, so dass dadurch ihre Wirkung aus dem gewohn-
ten Geleise gehoben, und dergestalt abgeändert werde,
wie es die anomalischen Erfahrungen verlangen. In den
grössten Irrthümern hingegen werden allemal diejeni-
gen befangen bleiben, die in die Seele etwas fremdarti-

II. I i

Gleichgültigste mit dem Wichtigsten. Dagegen hat der
Traum mehr Einheit der Gemüthsstimmung. Und dies
ist wiederum sehr natürlich. Wir erfahren stets, auch
während des Wachens, daſs Gefühle und Affecten am
entschiedensten auf den leiblichen Zustand wirken; um-
gekehrt also wird es im Traume von den Zuständen des
Leibes abhängen, welche Gemüthsstimmung, und hie-
mit welche Vorstellungen, oder wenigstens in welchen
Modificationen durch heitere oder traurige Verknüpfun-
gen, dieselben sollen aufgeregt werden. Die Art der
Freyheit, und die Beschränkung, innerhalb deren den
Vorstellungen vergönnt wird, sich zu reproduciren, diese
wird sich nach derjenigen affectiven Beschaffenheit des
Bewuſstseyns richten, die mit den leiblichen Zuständen
jedesmal zusammenpaſst. So bekommt der Traum die
Einheit eines Feenmährchens; um welche wohl hie und
da ein Dichter sich vergeblich bemüht, weil er das Wa-
chen, und dessen Gesetze, nicht los werden kann.

§. 162.

Indem ich mit diesen kurzen Andeutungen über Schlaf
und Traum mich begnüge, — weil eine weitere Ausfüh-
rung einerseits in noch unerforschte Tiefen der Mecha-
nik des Geistes eindringen müſste, andererseits die nähe-
ren Bestimmungen ohne Zweifel groſsentheils von unbe-
kannten physiologischen Gesetzen abhängen: glaube ich
gleichwohl einigermaaſsen den Typus angegeben zu ha-
ben, nach welchem nicht nur dieser Gegenstand, son-
dern auch andere verwandte, müssen untersucht werden.
Es kommt nämlich alles darauf an, daſs man die Grund-
gesetze des psychologischen Mechanismus wohl im Auge
habe, und daſs man aus ihnen selbst zu erforschen suche,
welche Modificationen sie ihrer Natur nach annehmen
können, so daſs dadurch ihre Wirkung aus dem gewohn-
ten Geleise gehoben, und dergestalt abgeändert werde,
wie es die anomalischen Erfahrungen verlangen. In den
gröſsten Irrthümern hingegen werden allemal diejeni-
gen befangen bleiben, die in die Seele etwas fremdarti-

II. I i
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[497/0532] Gleichgültigste mit dem Wichtigsten. Dagegen hat der Traum mehr Einheit der Gemüthsstimmung. Und dies ist wiederum sehr natürlich. Wir erfahren stets, auch während des Wachens, daſs Gefühle und Affecten am entschiedensten auf den leiblichen Zustand wirken; um- gekehrt also wird es im Traume von den Zuständen des Leibes abhängen, welche Gemüthsstimmung, und hie- mit welche Vorstellungen, oder wenigstens in welchen Modificationen durch heitere oder traurige Verknüpfun- gen, dieselben sollen aufgeregt werden. Die Art der Freyheit, und die Beschränkung, innerhalb deren den Vorstellungen vergönnt wird, sich zu reproduciren, diese wird sich nach derjenigen affectiven Beschaffenheit des Bewuſstseyns richten, die mit den leiblichen Zuständen jedesmal zusammenpaſst. So bekommt der Traum die Einheit eines Feenmährchens; um welche wohl hie und da ein Dichter sich vergeblich bemüht, weil er das Wa- chen, und dessen Gesetze, nicht los werden kann. §. 162. Indem ich mit diesen kurzen Andeutungen über Schlaf und Traum mich begnüge, — weil eine weitere Ausfüh- rung einerseits in noch unerforschte Tiefen der Mecha- nik des Geistes eindringen müſste, andererseits die nähe- ren Bestimmungen ohne Zweifel groſsentheils von unbe- kannten physiologischen Gesetzen abhängen: glaube ich gleichwohl einigermaaſsen den Typus angegeben zu ha- ben, nach welchem nicht nur dieser Gegenstand, son- dern auch andere verwandte, müssen untersucht werden. Es kommt nämlich alles darauf an, daſs man die Grund- gesetze des psychologischen Mechanismus wohl im Auge habe, und daſs man aus ihnen selbst zu erforschen suche, welche Modificationen sie ihrer Natur nach annehmen können, so daſs dadurch ihre Wirkung aus dem gewohn- ten Geleise gehoben, und dergestalt abgeändert werde, wie es die anomalischen Erfahrungen verlangen. In den gröſsten Irrthümern hingegen werden allemal diejeni- gen befangen bleiben, die in die Seele etwas fremdarti- II. I i

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/532>, abgerufen am 25.11.2024.