zuerst metaphysische Forschungen begannen, man ent- fernte sich von der wahren Metaphysik, der jene schon nahe gekommen waren, darum, weil man die ganze Auf- gabe dieser Wissenschaft, die ungereimten Erfahrungs- begriffe zu berichtigen, aus den Augen verlor. Statt des- sen glaubte man, von der Seele, oder doch von dem Gemüthe, oder mindestens doch von dem Bewusstseyn und den darin arbeitenden Vermögen, oder doch endlich zum allerwenigsten von dem Ich, eine Theorie ausstel- len zu können. Man merkte nicht, dass man hier gerade mit denselben Schwierigkeiten, nur in einem speciellen und eben darum noch mehr verwickelten Falle, belastet war, die schon die Alten genöthigt hatten, Auswege aus dem Erfahrungskreise zu suchen, und sich in einer Welt von Noumenen anzubauen. Freylich aber konnte des seichten Geredes, woran sich ein grösseres Publicum zu erfreuen pflegt, über die Thatsachen des Bewusstseyns genug geführt werden. Und seitdem dieses Philosophie hiess, galten natürlich Platons Ideen und das Eine der Eleaten für Träume, die erst wieder zu Ehren kamen, als man sie durch die, leider nur zu sehr entstellenden Brillen des Spinoza zu betrachten anfing!
Die Psychologie wirkte falsch auf die Pädagogik. Dieser drang sie ihre Seelenvermögen, und damit das sinnlose Problem auf, die einzelnen Vermögen sowohl als deren Gesammtheit zu stärken und mit allerley Fertigkei- ten auszurüsten. So ungefähr wie man die Gliedmaassen, die Muskeln des Leibes, durch Uebung stärkt, weil der Reiz zur Entwickelung des organischen Baues wirkt. Nun erschien die menschliche Seele unter dem Bilde ei- ner Zwiebel, die unter allerley Hüllen ihre schon orga- nisirte Blume versteckt hält, und nur auf Nahrung war- tet, um sich auszustrecken, und ihr Verborgenes zu ent- falten. Demnach sollte nun auch der Seele Nahrung zu- geführt werden, damit sie sich entwickele; es sollten die Seelenvermögen durch allerley Gymnastik aufgeregt wer- den. Nimmt man diese Ausdrücke für Gleichnisse, so
heisst
zuerst metaphysische Forschungen begannen, man ent- fernte sich von der wahren Metaphysik, der jene schon nahe gekommen waren, darum, weil man die ganze Auf- gabe dieser Wissenschaft, die ungereimten Erfahrungs- begriffe zu berichtigen, aus den Augen verlor. Statt des- sen glaubte man, von der Seele, oder doch von dem Gemüthe, oder mindestens doch von dem Bewuſstseyn und den darin arbeitenden Vermögen, oder doch endlich zum allerwenigsten von dem Ich, eine Theorie auſstel- len zu können. Man merkte nicht, daſs man hier gerade mit denselben Schwierigkeiten, nur in einem speciellen und eben darum noch mehr verwickelten Falle, belastet war, die schon die Alten genöthigt hatten, Auswege aus dem Erfahrungskreise zu suchen, und sich in einer Welt von Noumenen anzubauen. Freylich aber konnte des seichten Geredes, woran sich ein gröſseres Publicum zu erfreuen pflegt, über die Thatsachen des Bewuſstseyns genug geführt werden. Und seitdem dieses Philosophie hieſs, galten natürlich Platons Ideen und das Eine der Eleaten für Träume, die erst wieder zu Ehren kamen, als man sie durch die, leider nur zu sehr entstellenden Brillen des Spinoza zu betrachten anfing!
Die Psychologie wirkte falsch auf die Pädagogik. Dieser drang sie ihre Seelenvermögen, und damit das sinnlose Problem auf, die einzelnen Vermögen sowohl als deren Gesammtheit zu stärken und mit allerley Fertigkei- ten auszurüsten. So ungefähr wie man die Gliedmaaſsen, die Muskeln des Leibes, durch Uebung stärkt, weil der Reiz zur Entwickelung des organischen Baues wirkt. Nun erschien die menschliche Seele unter dem Bilde ei- ner Zwiebel, die unter allerley Hüllen ihre schon orga- nisirte Blume versteckt hält, und nur auf Nahrung war- tet, um sich auszustrecken, und ihr Verborgenes zu ent- falten. Demnach sollte nun auch der Seele Nahrung zu- geführt werden, damit sie sich entwickele; es sollten die Seelenvermögen durch allerley Gymnastik aufgeregt wer- den. Nimmt man diese Ausdrücke für Gleichnisse, so
heiſst
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0563"n="528"/>
zuerst metaphysische Forschungen begannen, man ent-<lb/>
fernte sich von der wahren Metaphysik, der jene schon<lb/>
nahe gekommen waren, darum, weil man die ganze Auf-<lb/>
gabe dieser Wissenschaft, die ungereimten Erfahrungs-<lb/>
begriffe zu berichtigen, aus den Augen verlor. Statt des-<lb/>
sen glaubte man, von der Seele, oder doch von dem<lb/>
Gemüthe, oder mindestens doch von dem Bewuſstseyn<lb/>
und den darin arbeitenden Vermögen, oder doch endlich<lb/>
zum allerwenigsten von dem <hirendition="#g">Ich</hi>, eine Theorie auſstel-<lb/>
len zu können. Man merkte nicht, daſs man hier gerade<lb/>
mit denselben Schwierigkeiten, nur in einem speciellen<lb/>
und eben darum noch mehr verwickelten Falle, belastet<lb/>
war, die schon die Alten <hirendition="#g">genöthigt</hi> hatten, Auswege<lb/>
aus dem Erfahrungskreise zu suchen, und sich in einer<lb/>
Welt von Noumenen anzubauen. Freylich aber konnte<lb/>
des seichten Geredes, woran sich ein gröſseres Publicum<lb/>
zu erfreuen pflegt, über die Thatsachen des Bewuſstseyns<lb/>
genug geführt werden. Und seitdem dieses Philosophie<lb/>
hieſs, galten natürlich <hirendition="#g">Platons</hi> Ideen und das Eine der<lb/>
Eleaten für Träume, die erst wieder zu Ehren kamen,<lb/>
als man sie durch die, leider nur zu sehr entstellenden<lb/>
Brillen des <hirendition="#g">Spinoza</hi> zu betrachten anfing!</p><lb/><p>Die Psychologie wirkte falsch auf die Pädagogik.<lb/>
Dieser drang sie ihre Seelenvermögen, und damit das<lb/>
sinnlose Problem auf, die einzelnen Vermögen sowohl als<lb/>
deren Gesammtheit zu stärken und mit allerley Fertigkei-<lb/>
ten auszurüsten. So ungefähr wie man die Gliedmaaſsen,<lb/>
die Muskeln des Leibes, durch Uebung stärkt, weil der<lb/>
Reiz zur Entwickelung des organischen Baues wirkt.<lb/>
Nun erschien die menschliche Seele unter dem Bilde ei-<lb/>
ner Zwiebel, die unter allerley Hüllen ihre schon orga-<lb/>
nisirte Blume versteckt hält, und nur auf Nahrung war-<lb/>
tet, um sich auszustrecken, und ihr Verborgenes zu ent-<lb/>
falten. Demnach sollte nun auch der Seele Nahrung zu-<lb/>
geführt werden, damit sie sich entwickele; es sollten die<lb/>
Seelenvermögen durch allerley Gymnastik aufgeregt wer-<lb/>
den. Nimmt man diese Ausdrücke für Gleichnisse, so<lb/><fwplace="bottom"type="catch">heiſst</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[528/0563]
zuerst metaphysische Forschungen begannen, man ent-
fernte sich von der wahren Metaphysik, der jene schon
nahe gekommen waren, darum, weil man die ganze Auf-
gabe dieser Wissenschaft, die ungereimten Erfahrungs-
begriffe zu berichtigen, aus den Augen verlor. Statt des-
sen glaubte man, von der Seele, oder doch von dem
Gemüthe, oder mindestens doch von dem Bewuſstseyn
und den darin arbeitenden Vermögen, oder doch endlich
zum allerwenigsten von dem Ich, eine Theorie auſstel-
len zu können. Man merkte nicht, daſs man hier gerade
mit denselben Schwierigkeiten, nur in einem speciellen
und eben darum noch mehr verwickelten Falle, belastet
war, die schon die Alten genöthigt hatten, Auswege
aus dem Erfahrungskreise zu suchen, und sich in einer
Welt von Noumenen anzubauen. Freylich aber konnte
des seichten Geredes, woran sich ein gröſseres Publicum
zu erfreuen pflegt, über die Thatsachen des Bewuſstseyns
genug geführt werden. Und seitdem dieses Philosophie
hieſs, galten natürlich Platons Ideen und das Eine der
Eleaten für Träume, die erst wieder zu Ehren kamen,
als man sie durch die, leider nur zu sehr entstellenden
Brillen des Spinoza zu betrachten anfing!
Die Psychologie wirkte falsch auf die Pädagogik.
Dieser drang sie ihre Seelenvermögen, und damit das
sinnlose Problem auf, die einzelnen Vermögen sowohl als
deren Gesammtheit zu stärken und mit allerley Fertigkei-
ten auszurüsten. So ungefähr wie man die Gliedmaaſsen,
die Muskeln des Leibes, durch Uebung stärkt, weil der
Reiz zur Entwickelung des organischen Baues wirkt.
Nun erschien die menschliche Seele unter dem Bilde ei-
ner Zwiebel, die unter allerley Hüllen ihre schon orga-
nisirte Blume versteckt hält, und nur auf Nahrung war-
tet, um sich auszustrecken, und ihr Verborgenes zu ent-
falten. Demnach sollte nun auch der Seele Nahrung zu-
geführt werden, damit sie sich entwickele; es sollten die
Seelenvermögen durch allerley Gymnastik aufgeregt wer-
den. Nimmt man diese Ausdrücke für Gleichnisse, so
heiſst
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/563>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.