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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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sich in den einzelnen Staatsbürgern regen, um ein Theil-
chen der allgemeinen Ordnung im nächsten Kreise, worin
Jeder steht, zu erzeugen oder zu erhalten. Unmöglich
könnte von einem, oder von wenigen Puncten aus, eine
so grosse Masse von Menschen in Ordnung gehalten
werden, wenn nicht in Allen, oder doch in den Meisten
ein solches Streben wäre. Der geringste Wind würde
diese Masse, wenn sie nicht durch sich selbst verbunden
wäre, aus einander stäuben; und bey der geringsten ent-
standenen Unordnung würde das Gebäude, da es aus so
beweglichen Steinen besteht, wie die Köpfe und die Ge-
müther der Menschen sind, in allen Puncten aus einan-
der fahren. Statt dessen zeigt bekanntlich jeder, nur
leidlich geordnete Staat, eine ungeheure Kraft, sich nach
den heftigsten Erschütterungen wieder herzustellen.

Aber diese Kraft ist bey weitem nicht in allen Staa-
ten und zu allen Zeiten die nämliche; sie ist gerade so
verschieden an Art und Grösse, wie die Structur der
Reihen, die sich im Staate aus Menschen, -- in den
Köpfen der Menschen aus Vorstellungen gebildet haben.
Schon im ersten Theile ist erwähnt worden, dass die
Reihen, und so auch die Reihen von Reihen, ja die
Reihen von Complexionen, und deren Verwebun-
gen, höchst mannigfaltige Gestalten haben, dass sie ver-
dorben werden können, und dass sie in ihrem Ablaufen
sehr häufig wider einander anstossen. Dies erwartet die
Kunst des Staatsmannes! -- Wohl zusammen ge-
fügte Reihen sind der Sitz des Lebens und der Gesund-
heit für den Geist und für den Staat; das Gegentheil
droht Krankheit und Tod.

Man redet von der Organisation des Staats; hier
hat man das rechte Wort; aber darum noch nicht den
rechten Begriff. Denn was ist ein Organismus? Worin
besteht das organische Leben? Wem es Ernst ist, dies
erforschen zu wollen: der fange damit an, sich umzu-
sehn im Staate! Hier kann er weit mehr lernen, als je-
mals der Staatsmann lernen wird vom Anatomen und

vom

sich in den einzelnen Staatsbürgern regen, um ein Theil-
chen der allgemeinen Ordnung im nächsten Kreise, worin
Jeder steht, zu erzeugen oder zu erhalten. Unmöglich
könnte von einem, oder von wenigen Puncten aus, eine
so groſse Masse von Menschen in Ordnung gehalten
werden, wenn nicht in Allen, oder doch in den Meisten
ein solches Streben wäre. Der geringste Wind würde
diese Masse, wenn sie nicht durch sich selbst verbunden
wäre, aus einander stäuben; und bey der geringsten ent-
standenen Unordnung würde das Gebäude, da es aus so
beweglichen Steinen besteht, wie die Köpfe und die Ge-
müther der Menschen sind, in allen Puncten aus einan-
der fahren. Statt dessen zeigt bekanntlich jeder, nur
leidlich geordnete Staat, eine ungeheure Kraft, sich nach
den heftigsten Erschütterungen wieder herzustellen.

Aber diese Kraft ist bey weitem nicht in allen Staa-
ten und zu allen Zeiten die nämliche; sie ist gerade so
verschieden an Art und Gröſse, wie die Structur der
Reihen, die sich im Staate aus Menschen, — in den
Köpfen der Menschen aus Vorstellungen gebildet haben.
Schon im ersten Theile ist erwähnt worden, daſs die
Reihen, und so auch die Reihen von Reihen, ja die
Reihen von Complexionen, und deren Verwebun-
gen, höchst mannigfaltige Gestalten haben, daſs sie ver-
dorben werden können, und daſs sie in ihrem Ablaufen
sehr häufig wider einander anstoſsen. Dies erwartet die
Kunst des Staatsmannes! — Wohl zusammen ge-
fügte Reihen sind der Sitz des Lebens und der Gesund-
heit für den Geist und für den Staat; das Gegentheil
droht Krankheit und Tod.

Man redet von der Organisation des Staats; hier
hat man das rechte Wort; aber darum noch nicht den
rechten Begriff. Denn was ist ein Organismus? Worin
besteht das organische Leben? Wem es Ernst ist, dies
erforschen zu wollen: der fange damit an, sich umzu-
sehn im Staate! Hier kann er weit mehr lernen, als je-
mals der Staatsmann lernen wird vom Anatomen und

vom
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[32/0067] sich in den einzelnen Staatsbürgern regen, um ein Theil- chen der allgemeinen Ordnung im nächsten Kreise, worin Jeder steht, zu erzeugen oder zu erhalten. Unmöglich könnte von einem, oder von wenigen Puncten aus, eine so groſse Masse von Menschen in Ordnung gehalten werden, wenn nicht in Allen, oder doch in den Meisten ein solches Streben wäre. Der geringste Wind würde diese Masse, wenn sie nicht durch sich selbst verbunden wäre, aus einander stäuben; und bey der geringsten ent- standenen Unordnung würde das Gebäude, da es aus so beweglichen Steinen besteht, wie die Köpfe und die Ge- müther der Menschen sind, in allen Puncten aus einan- der fahren. Statt dessen zeigt bekanntlich jeder, nur leidlich geordnete Staat, eine ungeheure Kraft, sich nach den heftigsten Erschütterungen wieder herzustellen. Aber diese Kraft ist bey weitem nicht in allen Staa- ten und zu allen Zeiten die nämliche; sie ist gerade so verschieden an Art und Gröſse, wie die Structur der Reihen, die sich im Staate aus Menschen, — in den Köpfen der Menschen aus Vorstellungen gebildet haben. Schon im ersten Theile ist erwähnt worden, daſs die Reihen, und so auch die Reihen von Reihen, ja die Reihen von Complexionen, und deren Verwebun- gen, höchst mannigfaltige Gestalten haben, daſs sie ver- dorben werden können, und daſs sie in ihrem Ablaufen sehr häufig wider einander anstoſsen. Dies erwartet die Kunst des Staatsmannes! — Wohl zusammen ge- fügte Reihen sind der Sitz des Lebens und der Gesund- heit für den Geist und für den Staat; das Gegentheil droht Krankheit und Tod. Man redet von der Organisation des Staats; hier hat man das rechte Wort; aber darum noch nicht den rechten Begriff. Denn was ist ein Organismus? Worin besteht das organische Leben? Wem es Ernst ist, dies erforschen zu wollen: der fange damit an, sich umzu- sehn im Staate! Hier kann er weit mehr lernen, als je- mals der Staatsmann lernen wird vom Anatomen und vom

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/67>, abgerufen am 21.11.2024.