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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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als durch grosse Gelehrsamkeit und Erfahrung auszeich-
nen. Ihre Entschuldigung liegt freylich in der Schwäche
der Anthropologien, die sie vorfanden; allein ich kann
mich damit nicht begnügen; wer sich von jenen Anmaa-
ssungen imponiren lässt, für den habe ich umsonst ge-
schrieben. Daher werde ich sogleich dieser Einleitung
ein paar Worte beyfügen, die wenigstens dazu dienen
können, mich mit jenen Herrn auseinanderzusetzen.

Herr Professor Rudolphi spricht in der Vorrede
zu seiner Physiologie folgendes merkwürdige Wort:
"Wenn alle Verfasser physiologischer Werke befragt
"werden sollten, welches darunter sie für das Erste hiel-
"ten, so kann Niemand etwas dagegen haben, wenn sie
"das ihrige nennen; allein, wenn man sie weiter fragt,
"welches sie für das zweyte halten, so bin ich überzeugt,
"dass sie alle ohne Ausnahme Hallers Physiologie nen-
"nen werden. Was allen Verfassern aber das zweyte
"scheint, ist gewiss das Erste."

Demnach wird es ja wohl nicht unschicklich seyn,
wenn ich Hallers Physiologie in Beziehung auf das
Verhältniss zwischen Seele und Leib hier anführe. In
den primis lineis physiol. Cap. VII., §. 556., sagt er
von der Fortpflanzung der Empfindung des Nerven in
die Seele: Nihil ultra scitur, nisi nasci in anima cogita-
tionem novam, quotiescunque mutatio, in quocunque sen-
sorio nata, ad primam eius nervi originem perfertur, qui
patitur
. Und im §. 569.: aliam naturam animae
esse a corpore
, infinita demonstrant, maxime ideae,
et adfectiones animae, quibus nihil in sensu respondet.
Quis enim superbiae color, aut quaenam magnitudo est
invidiae? curiositatis? cuius nihil simile in animalibus est;
neque id bonum, quod concupit, gloria, novarum idearum
quasi adquisitio, ad aliquam corpoream voluptatem referri
potest. Potestne corpus ita duplices vires adi-
pisci, ut eius infinitae particulae in unam mas-
sam coalescant, quae non suas adfectiones so-
las conservent, sibique repraesentent, sed in

als durch groſse Gelehrsamkeit und Erfahrung auszeich-
nen. Ihre Entschuldigung liegt freylich in der Schwäche
der Anthropologien, die sie vorfanden; allein ich kann
mich damit nicht begnügen; wer sich von jenen Anmaa-
ſsungen imponiren läſst, für den habe ich umsonst ge-
schrieben. Daher werde ich sogleich dieser Einleitung
ein paar Worte beyfügen, die wenigstens dazu dienen
können, mich mit jenen Herrn auseinanderzusetzen.

Herr Professor Rudolphi spricht in der Vorrede
zu seiner Physiologie folgendes merkwürdige Wort:
„Wenn alle Verfasser physiologischer Werke befragt
„werden sollten, welches darunter sie für das Erste hiel-
„ten, so kann Niemand etwas dagegen haben, wenn sie
„das ihrige nennen; allein, wenn man sie weiter fragt,
„welches sie für das zweyte halten, so bin ich überzeugt,
„daſs sie alle ohne Ausnahme Hallers Physiologie nen-
„nen werden. Was allen Verfassern aber das zweyte
scheint, ist gewiſs das Erste.“

Demnach wird es ja wohl nicht unschicklich seyn,
wenn ich Hallers Phyſiologie in Beziehung auf das
Verhältniſs zwischen Seele und Leib hier anführe. In
den primis lineis phyſiol. Cap. VII., §. 556., sagt er
von der Fortpflanzung der Empfindung des Nerven in
die Seele: Nihil ultra ſcitur, niſi nasci in anima cogita-
tionem novam, quotiescunque mutatio, in quocunque ſen-
ſorio nata, ad primam eius nervi originem perfertur, qui
patitur
. Und im §. 569.: aliam naturam animae
eſſe a corpore
, infinita demonſtrant, maxime ideae,
et adfectiones animae, quibus nihil in ſenſu reſpondet.
Quis enim ſuperbiae color, aut quaenam magnitudo eſt
invidiae? curioſitatis? cuius nihil ſimile in animalibus eſt;
neque id bonum, quod concupit, gloria, novarum idearum
quaſi adquiſitio, ad aliquam corpoream voluptatem referri
poteſt. Poteſtne corpus ita duplices vires adi-
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[54/0089] als durch groſse Gelehrsamkeit und Erfahrung auszeich- nen. Ihre Entschuldigung liegt freylich in der Schwäche der Anthropologien, die sie vorfanden; allein ich kann mich damit nicht begnügen; wer sich von jenen Anmaa- ſsungen imponiren läſst, für den habe ich umsonst ge- schrieben. Daher werde ich sogleich dieser Einleitung ein paar Worte beyfügen, die wenigstens dazu dienen können, mich mit jenen Herrn auseinanderzusetzen. Herr Professor Rudolphi spricht in der Vorrede zu seiner Physiologie folgendes merkwürdige Wort: „Wenn alle Verfasser physiologischer Werke befragt „werden sollten, welches darunter sie für das Erste hiel- „ten, so kann Niemand etwas dagegen haben, wenn sie „das ihrige nennen; allein, wenn man sie weiter fragt, „welches sie für das zweyte halten, so bin ich überzeugt, „daſs sie alle ohne Ausnahme Hallers Physiologie nen- „nen werden. Was allen Verfassern aber das zweyte „scheint, ist gewiſs das Erste.“ Demnach wird es ja wohl nicht unschicklich seyn, wenn ich Hallers Phyſiologie in Beziehung auf das Verhältniſs zwischen Seele und Leib hier anführe. In den primis lineis phyſiol. Cap. VII., §. 556., sagt er von der Fortpflanzung der Empfindung des Nerven in die Seele: Nihil ultra ſcitur, niſi nasci in anima cogita- tionem novam, quotiescunque mutatio, in quocunque ſen- ſorio nata, ad primam eius nervi originem perfertur, qui patitur. Und im §. 569.: aliam naturam animae eſſe a corpore, infinita demonſtrant, maxime ideae, et adfectiones animae, quibus nihil in ſenſu reſpondet. Quis enim ſuperbiae color, aut quaenam magnitudo eſt invidiae? curioſitatis? cuius nihil ſimile in animalibus eſt; neque id bonum, quod concupit, gloria, novarum idearum quaſi adquiſitio, ad aliquam corpoream voluptatem referri poteſt. Poteſtne corpus ita duplices vires adi- piſci, ut eius infinitae particulae in unam maſ- ſam coalescant, quae non ſuas adfectiones ſo- las conſervent, ſibique repraeſentent, ſed in

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/89>, abgerufen am 21.11.2024.