Geschichte auf das Jndividuum macht, und aus allem, was ihm daran unwillkührlich gefällt
oder mißfällt, setzt sich die- ser Eindruck zusammen.
Deshalb wirkt alles dasjenige nachtheilig auf den in- nersten Kern des
Charakters, was den Menschen hindert, klar zu sehen, und unbefangen zu
urtheilen.
125. Am zerstörendsten wirken auf alle Ausbildung die Leidenschaften. Vom
ästhetischen Urtheile sind sie das entgegengesetzte Aeußerste, aber auch die
wandelbaren Be- strebungen werden von ihnen getödtet; Einbildungskraft und Verstand bekommen durch sie eine einseitige Richtung; sie selbst endigen sich,
falls sie Befriedigung finden, in Lange- weile, in Leere deß Geistes und Herzens,
und falls sie un- befriedigt bleiben, in Gram und Krankheit. Diejenigen, welche allerley zu rühmen wissen, was sie durch leidenschaft- liche Aufregung
wollen geworden seyn, täuschen sich selbst; sie sollten sich freuen, in ihrem
Schiffbruche nicht alles ver- loren zu haben; und manche sind zu rühmen, daß sie
ihr gerettetes Gut nun besser benutzen, als früherhin ihren Reichthum.
Zweyter Abschnitt. Von den geistigen Zuständen.
Erstes Capitel. Ueber die
allgemeine Veränderlichkeit der Zustände.
126. Genau genommen gleicht kein Zustand des mensch- lichen Lebens vollkommen
dem andern; schwebend und schwan-
Geschichte auf das Jndividuum macht, und aus allem, was ihm daran unwillkührlich gefällt
oder mißfällt, setzt sich die- ser Eindruck zusammen.
Deshalb wirkt alles dasjenige nachtheilig auf den in- nersten Kern des
Charakters, was den Menschen hindert, klar zu sehen, und unbefangen zu
urtheilen.
125. Am zerstörendsten wirken auf alle Ausbildung die Leidenschaften. Vom
ästhetischen Urtheile sind sie das entgegengesetzte Aeußerste, aber auch die
wandelbaren Be- strebungen werden von ihnen getödtet; Einbildungskraft und Verstand bekommen durch sie eine einseitige Richtung; sie selbst endigen sich,
falls sie Befriedigung finden, in Lange- weile, in Leere deß Geistes und Herzens,
und falls sie un- befriedigt bleiben, in Gram und Krankheit. Diejenigen, welche allerley zu rühmen wissen, was sie durch leidenschaft- liche Aufregung
wollen geworden seyn, täuschen sich selbst; sie sollten sich freuen, in ihrem
Schiffbruche nicht alles ver- loren zu haben; und manche sind zu rühmen, daß sie
ihr gerettetes Gut nun besser benutzen, als früherhin ihren Reichthum.
Zweyter Abschnitt. Von den geistigen Zuständen.
Erstes Capitel. Ueber die
allgemeine Veränderlichkeit der Zustände.
126. Genau genommen gleicht kein Zustand des mensch- lichen Lebens vollkommen
dem andern; schwebend und schwan-
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Geschichte
auf das Jndividuum macht, und aus allem, was
ihm daran unwillkührlich gefällt oder mißfällt, setzt sich die-
ser Eindruck zusammen.
Deshalb wirkt alles dasjenige nachtheilig auf den in-
nersten Kern des Charakters, was den Menschen hindert,
klar zu sehen, und unbefangen zu urtheilen.
125. Am zerstörendsten wirken auf alle Ausbildung
die Leidenschaften. Vom ästhetischen Urtheile sind sie das
entgegengesetzte Aeußerste, aber auch die wandelbaren Be-
strebungen werden von ihnen getödtet; Einbildungskraft und
Verstand bekommen durch sie eine einseitige Richtung; sie
selbst endigen sich, falls sie Befriedigung finden, in Lange-
weile, in Leere deß Geistes und Herzens, und falls sie un-
befriedigt bleiben, in Gram und Krankheit. Diejenigen,
welche allerley zu rühmen wissen, was sie durch leidenschaft-
liche Aufregung wollen geworden seyn, täuschen sich selbst;
sie sollten sich freuen, in ihrem Schiffbruche nicht alles ver-
loren zu haben; und manche sind zu rühmen, daß sie ihr
gerettetes Gut nun besser benutzen, als früherhin ihren
Reichthum.
Zweyter Abschnitt.
Von den geistigen Zuständen.
Erstes Capitel.
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Zustände.
126. Genau genommen gleicht kein Zustand des mensch-
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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/107>, abgerufen am 16.02.2025.
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