sondern sie hat auch ihre Geschichte; und diese Geschichte findet der Einzelne
bis auf einen gewissen Punkt abgelau- fen. Damit ist nun ein Grad der Cultur, ein
nationales Gefühl und Gewissen verbunden, wovon der Einzelne in allen
Punkten seiner Lebensbahn mächtig gelenkt, gehoben und niedergeschlagen
wird.
139. Bey jeder Nation, die sich aus der Rohheit em- porgewunden hat, giebt es
Verschiedenheit der Stände (auf die Weiber nur verpflanzt, bey den Männern ursprüng- lich). Diese
Verschiedenheit ist theils ein Werk der Gewalt und der Noth, theils eine Folge
der natürlichen Anlagen, theils entspringt sie aus dem Bedürfnis die Arbeit zu
thei- len. Nur in so fern kommt dem Einzelnen ein Stand zu, wiefern ihm
eingeräumt wird, er habe die Zweckmäßigkeit seines Thuns selbst zu beurtheilen.
(Nicht in wiesern er für eigne Zwecke thätig ist, denn
in dem Begriffe der Thei- lung der Arbeit liegt es schon, daß es für Alle, oder
doch für Viele, wirkt.) Jndem nun der Mensch sein ganzes Thun in Eine
Zweckmäßigkeit zu concentriren sucht, entsteht ein äußeres Gepräge und eine Ehre
für jeden Stand, wobey nicht nur, wie zu geschehen pflegt, die Mittel selbst den
Zweck um etwas verrücken und zum Theil vergessen machen, sondern auch die
Gedanken und die Gesinnungen des Men- schen richten sich nach seinem Thun; sie
schwinden zusam- men auf den Kreis ihrer Brauchbarkeit, und die Bestrebun- gen, welche übrig bleiben, scheiden sich in zwey Theile, in einen, der dem
Stande ganz angehört, und einen andern, der trotz demselben Befriedigung sucht.
Falls dieser Wi- derstreit bedeutend wird, so. taugen der Mensch und sein
Stand nicht, für einander und sie schaden sich gegen- seitig. --
Je weniger nun Jemand die Zweckmäßigkeit seines Thuns selbst zu beurtheilen
hat, das heißt, je mehr er der
sondern sie hat auch ihre Geschichte; und diese Geschichte findet der Einzelne
bis auf einen gewissen Punkt abgelau- fen. Damit ist nun ein Grad der Cultur, ein
nationales Gefühl und Gewissen verbunden, wovon der Einzelne in allen
Punkten seiner Lebensbahn mächtig gelenkt, gehoben und niedergeschlagen
wird.
139. Bey jeder Nation, die sich aus der Rohheit em- porgewunden hat, giebt es
Verschiedenheit der Stände (auf die Weiber nur verpflanzt, bey den Männern ursprüng- lich). Diese
Verschiedenheit ist theils ein Werk der Gewalt und der Noth, theils eine Folge
der natürlichen Anlagen, theils entspringt sie aus dem Bedürfnis die Arbeit zu
thei- len. Nur in so fern kommt dem Einzelnen ein Stand zu, wiefern ihm
eingeräumt wird, er habe die Zweckmäßigkeit seines Thuns selbst zu beurtheilen.
(Nicht in wiesern er für eigne Zwecke thätig ist, denn
in dem Begriffe der Thei- lung der Arbeit liegt es schon, daß es für Alle, oder
doch für Viele, wirkt.) Jndem nun der Mensch sein ganzes Thun in Eine
Zweckmäßigkeit zu concentriren sucht, entsteht ein äußeres Gepräge und eine Ehre
für jeden Stand, wobey nicht nur, wie zu geschehen pflegt, die Mittel selbst den
Zweck um etwas verrücken und zum Theil vergessen machen, sondern auch die
Gedanken und die Gesinnungen des Men- schen richten sich nach seinem Thun; sie
schwinden zusam- men auf den Kreis ihrer Brauchbarkeit, und die Bestrebun- gen, welche übrig bleiben, scheiden sich in zwey Theile, in einen, der dem
Stande ganz angehört, und einen andern, der trotz demselben Befriedigung sucht.
Falls dieser Wi- derstreit bedeutend wird, so. taugen der Mensch und sein
Stand nicht, für einander und sie schaden sich gegen- seitig. —
Je weniger nun Jemand die Zweckmäßigkeit seines Thuns selbst zu beurtheilen
hat, das heißt, je mehr er der
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sondern sie hat auch ihre Geschichte; und diese Geschichte
findet der Einzelne bis auf einen gewissen Punkt abgelau-
fen. Damit ist nun ein Grad der Cultur, ein nationales
Gefühl und Gewissen verbunden, wovon der Einzelne in
allen Punkten seiner Lebensbahn mächtig gelenkt, gehoben
und niedergeschlagen wird.
139. Bey jeder Nation, die sich aus der Rohheit em-
porgewunden hat, giebt es Verschiedenheit der Stände
(auf die Weiber nur verpflanzt, bey den Männern ursprüng-
lich). Diese Verschiedenheit ist theils ein Werk der Gewalt
und der Noth, theils eine Folge der natürlichen Anlagen,
theils entspringt sie aus dem Bedürfnis die Arbeit zu thei-
len. Nur in so fern kommt dem Einzelnen ein Stand zu,
wiefern ihm eingeräumt wird, er habe die Zweckmäßigkeit
seines Thuns selbst zu beurtheilen. (Nicht in wiesern er
für eigne Zwecke thätig ist, denn in dem Begriffe der Thei-
lung der Arbeit liegt es schon, daß es für Alle, oder doch
für Viele, wirkt.) Jndem nun der Mensch sein ganzes Thun
in Eine Zweckmäßigkeit zu concentriren sucht, entsteht ein
äußeres Gepräge und eine Ehre für jeden Stand, wobey
nicht nur, wie zu geschehen pflegt, die Mittel selbst den
Zweck um etwas verrücken und zum Theil vergessen machen,
sondern auch die Gedanken und die Gesinnungen des Men-
schen richten sich nach seinem Thun; sie schwinden zusam-
men auf den Kreis ihrer Brauchbarkeit, und die Bestrebun-
gen, welche übrig bleiben, scheiden sich in zwey Theile, in
einen, der dem Stande ganz angehört, und einen andern,
der trotz demselben Befriedigung sucht. Falls dieser Wi-
derstreit bedeutend wird, so. taugen der Mensch und
sein Stand nicht, für einander und sie schaden sich gegen-
seitig. —
Je weniger nun Jemand die Zweckmäßigkeit seines
Thuns selbst zu beurtheilen hat, das heißt, je mehr er der
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Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
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Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/116>, abgerufen am 16.02.2025.
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