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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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Je roher der Mensch, desto rücksichtloser sind die Ge-
setze. Hingegen je weniger Gefahr, man werde die Aus-
nahme zur Regel machen, desto mehr neigt sich die Gesetz-
gebung selbst dahin, die Fälle seiner zu unterscheiden; und
je mehr Zutrauen zu der Jntegrität und Einsicht der Rich-
ter, desto mehr wird ihrem Ermessen überlassen. Doch
bleibt es Kennzeichen eines guten Gesetzes, vor dem Er-
eigniß, auf das es angewendet wird, vestge-
stellt zu seyn
; denn darin, daß der Gesetzgeber den ein-
zelnen, noch ungeschehenen Fall nicht wissen konnte, liegt
allein die Bürgschaft der gefoderteu völligen Unparthey-
lichen.

231. Aus dem Selbstbewußtseyn folgt das Gewis-
sen; denn indem der Mensch sich selber ein Schauspiel
ist, fällt er auch Urtheile über sich selbst. -- Die innere
Wahrnehmung aber kann auf die zweyte Potenz steigen;
dann beurtheilt der Mensch seine Art, sich selbst zu beur-
theilen.

Hier nun entsteht die Frage: ob auch der innere Rich-
ter partheyisch sey? Und es bedarf nur einer kurzen Reihe
innerer Wahrnehmungen, um die Gefahr eines unlautern
Selbsturtheils kennen zu lernen.

Als nothwendiges Sicherheits-Mittel gegen solche Par-
theylichkeit wird demnach auch für das eigne Jnnere des
Menschen, so wie für die bürgerliche Gesellschaft, ein be-
stehendes Gesetz gefodert, das den zu beurtheilenden Fällen
vorangehe. Die Strenge der Vorschrift wird auch hier all-
mählig milder, und mehr der Verschiedenartigkeit der Fälle
angepaßt, bis eine übertriebene Milde wiederum zur Schär-
fung der Regel zurückführt.

232. Hiebey ist über den Jnhalt der Selbst-Gesetz-
gebung noch nichts vestgesetzt. Dem Bedürfnisse derselben
kommt das allgemeine Wollen (226) entgegen; dieses aber

Je roher der Mensch, desto rücksichtloser sind die Ge-
setze. Hingegen je weniger Gefahr, man werde die Aus-
nahme zur Regel machen, desto mehr neigt sich die Gesetz-
gebung selbst dahin, die Fälle seiner zu unterscheiden; und
je mehr Zutrauen zu der Jntegrität und Einsicht der Rich-
ter, desto mehr wird ihrem Ermessen überlassen. Doch
bleibt es Kennzeichen eines guten Gesetzes, vor dem Er-
eigniß, auf das es angewendet wird, vestge-
stellt zu seyn
; denn darin, daß der Gesetzgeber den ein-
zelnen, noch ungeschehenen Fall nicht wissen konnte, liegt
allein die Bürgschaft der gefoderteu völligen Unparthey-
lichen.

231. Aus dem Selbstbewußtseyn folgt das Gewis-
sen; denn indem der Mensch sich selber ein Schauspiel
ist, fällt er auch Urtheile über sich selbst. — Die innere
Wahrnehmung aber kann auf die zweyte Potenz steigen;
dann beurtheilt der Mensch seine Art, sich selbst zu beur-
theilen.

Hier nun entsteht die Frage: ob auch der innere Rich-
ter partheyisch sey? Und es bedarf nur einer kurzen Reihe
innerer Wahrnehmungen, um die Gefahr eines unlautern
Selbsturtheils kennen zu lernen.

Als nothwendiges Sicherheits-Mittel gegen solche Par-
theylichkeit wird demnach auch für das eigne Jnnere des
Menschen, so wie für die bürgerliche Gesellschaft, ein be-
stehendes Gesetz gefodert, das den zu beurtheilenden Fällen
vorangehe. Die Strenge der Vorschrift wird auch hier all-
mählig milder, und mehr der Verschiedenartigkeit der Fälle
angepaßt, bis eine übertriebene Milde wiederum zur Schär-
fung der Regel zurückführt.

232. Hiebey ist über den Jnhalt der Selbst-Gesetz-
gebung noch nichts vestgesetzt. Dem Bedürfnisse derselben
kommt das allgemeine Wollen (226) entgegen; dieses aber

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[182/0190] Je roher der Mensch, desto rücksichtloser sind die Ge- setze. Hingegen je weniger Gefahr, man werde die Aus- nahme zur Regel machen, desto mehr neigt sich die Gesetz- gebung selbst dahin, die Fälle seiner zu unterscheiden; und je mehr Zutrauen zu der Jntegrität und Einsicht der Rich- ter, desto mehr wird ihrem Ermessen überlassen. Doch bleibt es Kennzeichen eines guten Gesetzes, vor dem Er- eigniß, auf das es angewendet wird, vestge- stellt zu seyn; denn darin, daß der Gesetzgeber den ein- zelnen, noch ungeschehenen Fall nicht wissen konnte, liegt allein die Bürgschaft der gefoderteu völligen Unparthey- lichen. 231. Aus dem Selbstbewußtseyn folgt das Gewis- sen; denn indem der Mensch sich selber ein Schauspiel ist, fällt er auch Urtheile über sich selbst. — Die innere Wahrnehmung aber kann auf die zweyte Potenz steigen; dann beurtheilt der Mensch seine Art, sich selbst zu beur- theilen. Hier nun entsteht die Frage: ob auch der innere Rich- ter partheyisch sey? Und es bedarf nur einer kurzen Reihe innerer Wahrnehmungen, um die Gefahr eines unlautern Selbsturtheils kennen zu lernen. Als nothwendiges Sicherheits-Mittel gegen solche Par- theylichkeit wird demnach auch für das eigne Jnnere des Menschen, so wie für die bürgerliche Gesellschaft, ein be- stehendes Gesetz gefodert, das den zu beurtheilenden Fällen vorangehe. Die Strenge der Vorschrift wird auch hier all- mählig milder, und mehr der Verschiedenartigkeit der Fälle angepaßt, bis eine übertriebene Milde wiederum zur Schär- fung der Regel zurückführt. 232. Hiebey ist über den Jnhalt der Selbst-Gesetz- gebung noch nichts vestgesetzt. Dem Bedürfnisse derselben kommt das allgemeine Wollen (226) entgegen; dieses aber

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/190>, abgerufen am 09.11.2024.