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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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zweyten Klasse muß das Begehren als etwas ursprüng-
liches und das Gefühl zwar mcht als Wirkung, aber doch als
das Begleitende und Nachfolgende von jenem angesehen werden.

Man erinnere sich hier zuerst der sehr zahlreichen Be-
gierden, welche von der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit
ihres Gegenstandes entweder unabhängig oder doch mit der-
selben nicht im Verhältnisse sind. Alle die Dinge, welche
heute gewünscht und morgen verschmäht werden, alles, dessen
Werth) nach individueller Laune und Liebhaberey ab und
zunimmt, liefert uns hier auffallende Beyspiele. Das Be-
gehren dieser Dinge ist nun bekanntlich von vieler Unlust,
und im Falle der Befriedigung von einer kurzen Lust beglei-
tet. Solche Lust und Unlust kann man weder sinnlich noch
vernünftig nennen; sie hängt zusammen mit der Aufregung
unserer Thätigkeit, wie auch der Gegenstand unseres Thuns
übrigens beschaffen seyn möge. Ob ein Kind einen Knoten
in einem Bande, oder ein Mathematiker ein Problem in
Zahlen und Figuren auflösen wolle, das Gefühl der An-
strengung und der vergeblichen Mühe bleibt immer gleich-
artig.

Die unruhige Thätigkeit des Menschen (entgegengesetzt
dem naturgemäßen Streben der Thiere) ist durchgehends
von dieser Art.

Hieher gehören auch die Gefühle, deren Gefühltes
ganz zu fehlen scheint, wie bey der Beklommenheit oder in
der behaglichen Ruhe.

C. Von mittleren und gemischten Gefühlen.

102. Alle Gefühle des Contrastes, und das mit
ihnen einigermaaßen verwandte Staunen, müssen als mitt-
lere Gefühle betrachtet werden, d. h. als solche, die sich
durch das Angenehme und Unangenehme, was sie etwa mit
sich führen, weder beschreiben noch messen lassen. Das Er-

den
zweyten Klasse muß das Begehren als etwas ursprüng-
liches und das Gefühl zwar mcht als Wirkung, aber doch als
das Begleitende und Nachfolgende von jenem angesehen werden.

Man erinnere sich hier zuerst der sehr zahlreichen Be-
gierden, welche von der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit
ihres Gegenstandes entweder unabhängig oder doch mit der-
selben nicht im Verhältnisse sind. Alle die Dinge, welche
heute gewünscht und morgen verschmäht werden, alles, dessen
Werth) nach individueller Laune und Liebhaberey ab und
zunimmt, liefert uns hier auffallende Beyspiele. Das Be-
gehren dieser Dinge ist nun bekanntlich von vieler Unlust,
und im Falle der Befriedigung von einer kurzen Lust beglei-
tet. Solche Lust und Unlust kann man weder sinnlich noch
vernünftig nennen; sie hängt zusammen mit der Aufregung
unserer Thätigkeit, wie auch der Gegenstand unseres Thuns
übrigens beschaffen seyn möge. Ob ein Kind einen Knoten
in einem Bande, oder ein Mathematiker ein Problem in
Zahlen und Figuren auflösen wolle, das Gefühl der An-
strengung und der vergeblichen Mühe bleibt immer gleich-
artig.

Die unruhige Thätigkeit des Menschen (entgegengesetzt
dem naturgemäßen Streben der Thiere) ist durchgehends
von dieser Art.

Hieher gehören auch die Gefühle, deren Gefühltes
ganz zu fehlen scheint, wie bey der Beklommenheit oder in
der behaglichen Ruhe.

C. Von mittleren und gemischten Gefühlen.

102. Alle Gefühle des Contrastes, und das mit
ihnen einigermaaßen verwandte Staunen, müssen als mitt-
lere Gefühle betrachtet werden, d. h. als solche, die sich
durch das Angenehme und Unangenehme, was sie etwa mit
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[80/0088] den zweyten Klasse muß das Begehren als etwas ursprüng- liches und das Gefühl zwar mcht als Wirkung, aber doch als das Begleitende und Nachfolgende von jenem angesehen werden. Man erinnere sich hier zuerst der sehr zahlreichen Be- gierden, welche von der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit ihres Gegenstandes entweder unabhängig oder doch mit der- selben nicht im Verhältnisse sind. Alle die Dinge, welche heute gewünscht und morgen verschmäht werden, alles, dessen Werth) nach individueller Laune und Liebhaberey ab und zunimmt, liefert uns hier auffallende Beyspiele. Das Be- gehren dieser Dinge ist nun bekanntlich von vieler Unlust, und im Falle der Befriedigung von einer kurzen Lust beglei- tet. Solche Lust und Unlust kann man weder sinnlich noch vernünftig nennen; sie hängt zusammen mit der Aufregung unserer Thätigkeit, wie auch der Gegenstand unseres Thuns übrigens beschaffen seyn möge. Ob ein Kind einen Knoten in einem Bande, oder ein Mathematiker ein Problem in Zahlen und Figuren auflösen wolle, das Gefühl der An- strengung und der vergeblichen Mühe bleibt immer gleich- artig. Die unruhige Thätigkeit des Menschen (entgegengesetzt dem naturgemäßen Streben der Thiere) ist durchgehends von dieser Art. Hieher gehören auch die Gefühle, deren Gefühltes ganz zu fehlen scheint, wie bey der Beklommenheit oder in der behaglichen Ruhe. C. Von mittleren und gemischten Gefühlen. 102. Alle Gefühle des Contrastes, und das mit ihnen einigermaaßen verwandte Staunen, müssen als mitt- lere Gefühle betrachtet werden, d. h. als solche, die sich durch das Angenehme und Unangenehme, was sie etwa mit sich führen, weder beschreiben noch messen lassen. Das Er-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/88>, abgerufen am 27.11.2024.