Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

stellet, ists also das verwaisetste Kind der Natur.
Nackt und bloß, schwach und dürftig, schüchtern
und unbewasnet: und was die Summe seines Elen-
des ausmacht, aller Leiterinnen des Lebens be-
raubt. -- Mit einer so zerstreuten geschwächten
Sinnlichkeit, mit so unbestimmten, schlafenden
Fähigkeiten, mit so getheilten und ermatteten
Trieben gebohren, offenbar auf tausend Bedürf-
nisse verwiesen, zu einem großen Kreise bestimmt --
und doch so verwaiset und verlassen, daß es selbst
nicht mit einer Sprache begabt ist, seine Mängel
zu äußern -- Nein! ein solcher Wiederspruch ist
nicht die Haushaltung der Natur. Es müssen
statt der Jnstinkte andre verborgne Kräfte in ihm
schlafen! stummgebohren; aber --



Zwei-

ſtellet, iſts alſo das verwaiſetſte Kind der Natur.
Nackt und bloß, ſchwach und duͤrftig, ſchuͤchtern
und unbewaſnet: und was die Summe ſeines Elen-
des ausmacht, aller Leiterinnen des Lebens be-
raubt. — Mit einer ſo zerſtreuten geſchwaͤchten
Sinnlichkeit, mit ſo unbeſtimmten, ſchlafenden
Faͤhigkeiten, mit ſo getheilten und ermatteten
Trieben gebohren, offenbar auf tauſend Beduͤrf-
niſſe verwieſen, zu einem großen Kreiſe beſtimmt —
und doch ſo verwaiſet und verlaſſen, daß es ſelbſt
nicht mit einer Sprache begabt iſt, ſeine Maͤngel
zu aͤußern — Nein! ein ſolcher Wiederſpruch iſt
nicht die Haushaltung der Natur. Es muͤſſen
ſtatt der Jnſtinkte andre verborgne Kraͤfte in ihm
ſchlafen! ſtummgebohren; aber —



Zwei-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0044" n="38"/>
&#x017F;tellet, i&#x017F;ts al&#x017F;o das verwai&#x017F;et&#x017F;te Kind der Natur.<lb/>
Nackt und bloß, &#x017F;chwach und du&#x0364;rftig, &#x017F;chu&#x0364;chtern<lb/>
und unbewa&#x017F;net: und was die Summe &#x017F;eines Elen-<lb/>
des ausmacht, aller Leiterinnen des Lebens be-<lb/>
raubt. &#x2014; Mit einer &#x017F;o zer&#x017F;treuten ge&#x017F;chwa&#x0364;chten<lb/>
Sinnlichkeit, mit &#x017F;o unbe&#x017F;timmten, &#x017F;chlafenden<lb/>
Fa&#x0364;higkeiten, mit &#x017F;o getheilten und ermatteten<lb/>
Trieben gebohren, offenbar auf tau&#x017F;end Bedu&#x0364;rf-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e verwie&#x017F;en, zu einem großen Krei&#x017F;e be&#x017F;timmt &#x2014;<lb/>
und doch &#x017F;o verwai&#x017F;et und verla&#x017F;&#x017F;en, daß es &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nicht mit einer Sprache begabt i&#x017F;t, &#x017F;eine Ma&#x0364;ngel<lb/>
zu a&#x0364;ußern &#x2014; Nein! ein &#x017F;olcher Wieder&#x017F;pruch i&#x017F;t<lb/>
nicht die Haushaltung der Natur. Es mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;tatt der Jn&#x017F;tinkte andre verborgne Kra&#x0364;fte in ihm<lb/>
&#x017F;chlafen! <hi rendition="#fr">&#x017F;tummgebohren;</hi> aber &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Zwei-</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0044] ſtellet, iſts alſo das verwaiſetſte Kind der Natur. Nackt und bloß, ſchwach und duͤrftig, ſchuͤchtern und unbewaſnet: und was die Summe ſeines Elen- des ausmacht, aller Leiterinnen des Lebens be- raubt. — Mit einer ſo zerſtreuten geſchwaͤchten Sinnlichkeit, mit ſo unbeſtimmten, ſchlafenden Faͤhigkeiten, mit ſo getheilten und ermatteten Trieben gebohren, offenbar auf tauſend Beduͤrf- niſſe verwieſen, zu einem großen Kreiſe beſtimmt — und doch ſo verwaiſet und verlaſſen, daß es ſelbſt nicht mit einer Sprache begabt iſt, ſeine Maͤngel zu aͤußern — Nein! ein ſolcher Wiederſpruch iſt nicht die Haushaltung der Natur. Es muͤſſen ſtatt der Jnſtinkte andre verborgne Kraͤfte in ihm ſchlafen! ſtummgebohren; aber — Zwei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/44
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/44>, abgerufen am 21.11.2024.