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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

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möglich! -- uns Deutschen herzustellen.
Trüge dies Blatt dazu etwas bey!

Die kühnsten Feinde Shakespears haben
ihn -- unter wie vielfachen Gestalten! be-
schuldigt und verspottet, daß er, wenn auch
ein grosser Dichter, doch kein guter Schau-
spieldichter, und wenn auch dies, doch wahr-
lich kein so klassischer Trauerspieler sey, als
Sophokles, Euripides, Korneille und
Voltaire, die alles Höchste und Ganze dieser
Kunst erschöpft. -- Und die kühnsten Freun-
de Shakespears haben sich meistens nur be-
gnüget, ihn hierüber zu entschuldigen, zu
retten: seine Schönheiten nur immer mit
Anstoß gegen die Regeln zu wägen, zu kom-
pensiren; ihm als Angeklagten das absolvo
zu erreden, und denn sein Grosses desto mehr
zu vergöttern, je mehr sie über Fehler die
Achsel ziehen musten. So stehet die Sache
noch bey den neuesten Herausgebern und
Kommentatoren über ihn -- ich hoffe, diese
Blätter sollen den Gesichtspunkt verändern,
daß sein Bild in ein volleres Licht kommt.

Aber ist die Hoffnung nicht zu kühn? gegen
so viele, grosse Leute, die ihn schon behandelt,
zu anmassend? ich glaube nicht. Wenn ich
zeige, daß man von beyden Seiten blos auf
ein Vorurtheil, auf Wahn gebauet, der
nichts ist, wenn ich also nur eine Wolke von

den

moͤglich! — uns Deutſchen herzuſtellen.
Truͤge dies Blatt dazu etwas bey!

Die kuͤhnſten Feinde Shakeſpears haben
ihn — unter wie vielfachen Geſtalten! be-
ſchuldigt und verſpottet, daß er, wenn auch
ein groſſer Dichter, doch kein guter Schau-
ſpieldichter, und wenn auch dies, doch wahr-
lich kein ſo klaſſiſcher Trauerſpieler ſey, als
Sophokles, Euripides, Korneille und
Voltaire, die alles Hoͤchſte und Ganze dieſer
Kunſt erſchoͤpft. — Und die kuͤhnſten Freun-
de Shakeſpears haben ſich meiſtens nur be-
gnuͤget, ihn hieruͤber zu entſchuldigen, zu
retten: ſeine Schoͤnheiten nur immer mit
Anſtoß gegen die Regeln zu waͤgen, zu kom-
penſiren; ihm als Angeklagten das abſolvo
zu erreden, und denn ſein Groſſes deſto mehr
zu vergoͤttern, je mehr ſie uͤber Fehler die
Achſel ziehen muſten. So ſtehet die Sache
noch bey den neueſten Herausgebern und
Kommentatoren uͤber ihn — ich hoffe, dieſe
Blaͤtter ſollen den Geſichtspunkt veraͤndern,
daß ſein Bild in ein volleres Licht kommt.

Aber iſt die Hoffnung nicht zu kuͤhn? gegen
ſo viele, groſſe Leute, die ihn ſchon behandelt,
zu anmaſſend? ich glaube nicht. Wenn ich
zeige, daß man von beyden Seiten blos auf
ein Vorurtheil, auf Wahn gebauet, der
nichts iſt, wenn ich alſo nur eine Wolke von

den
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[74/0078] moͤglich! — uns Deutſchen herzuſtellen. Truͤge dies Blatt dazu etwas bey! Die kuͤhnſten Feinde Shakeſpears haben ihn — unter wie vielfachen Geſtalten! be- ſchuldigt und verſpottet, daß er, wenn auch ein groſſer Dichter, doch kein guter Schau- ſpieldichter, und wenn auch dies, doch wahr- lich kein ſo klaſſiſcher Trauerſpieler ſey, als Sophokles, Euripides, Korneille und Voltaire, die alles Hoͤchſte und Ganze dieſer Kunſt erſchoͤpft. — Und die kuͤhnſten Freun- de Shakeſpears haben ſich meiſtens nur be- gnuͤget, ihn hieruͤber zu entſchuldigen, zu retten: ſeine Schoͤnheiten nur immer mit Anſtoß gegen die Regeln zu waͤgen, zu kom- penſiren; ihm als Angeklagten das abſolvo zu erreden, und denn ſein Groſſes deſto mehr zu vergoͤttern, je mehr ſie uͤber Fehler die Achſel ziehen muſten. So ſtehet die Sache noch bey den neueſten Herausgebern und Kommentatoren uͤber ihn — ich hoffe, dieſe Blaͤtter ſollen den Geſichtspunkt veraͤndern, daß ſein Bild in ein volleres Licht kommt. Aber iſt die Hoffnung nicht zu kuͤhn? gegen ſo viele, groſſe Leute, die ihn ſchon behandelt, zu anmaſſend? ich glaube nicht. Wenn ich zeige, daß man von beyden Seiten blos auf ein Vorurtheil, auf Wahn gebauet, der nichts iſt, wenn ich alſo nur eine Wolke von den

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/78>, abgerufen am 24.11.2024.