Nicht also bei den Thieren. Die Werkzeuge der Fort- pflanzung sind ihnen nicht zur Krone gemacht, (nur einige der niedrigsten Geschöpfe haben diese Theile dem Haupt na- he) sie sind vielmehr, auch der Bestimmung des Geschöpfs nach, edlern Gliedern untergeordnet. Herz und Lunge neh- men die Brust ein: das Haupt ist feinern Sinnen geweiht und überhaupt ist dem ganzen Bau nach das Fiberngewebe mit seiner saftreichen Blumenkraft dem reizbaren Triebwerk der Muskeln und dem empfindenden Nervengebäude unter- worfen. Die Oekonomie des Lebens dieser Geschöpfe soll offenbar dem Geist ihres Baues folgen. Freiwillige Be- wegung, wirksame Thätigkeit, Empfindungen und Triebe machen das Hauptgeschäft des Thiers aus, je mehr sich seine Organisation hebet. Bei den meisten Gattungen ist die Begierde des Geschlechts nur auf kleine Zeit eingeschränkt; die übrige leben sie freier von diesem Triebe als manche nie- drige Menschen, die gern in den Zustand der Pflanze zurück- kehren möchten. Sie haben natürlich auch das Schicksal der Pflanzen; alle edlern Triebe, die Muskeln- Empfin- dungs- Geistes- und Willenskraft ermattet; sie leben und sterben eines frühzeitigen Pflanzentodes.
Was unter den Thieren der Pflanze am nächsten kommt, bleibt, wie in der Oekonomie des Baues, so auch im Zweck
seiner
N 3
Nicht alſo bei den Thieren. Die Werkzeuge der Fort- pflanzung ſind ihnen nicht zur Krone gemacht, (nur einige der niedrigſten Geſchoͤpfe haben dieſe Theile dem Haupt na- he) ſie ſind vielmehr, auch der Beſtimmung des Geſchoͤpfs nach, edlern Gliedern untergeordnet. Herz und Lunge neh- men die Bruſt ein: das Haupt iſt feinern Sinnen geweiht und uͤberhaupt iſt dem ganzen Bau nach das Fiberngewebe mit ſeiner ſaftreichen Blumenkraft dem reizbaren Triebwerk der Muskeln und dem empfindenden Nervengebaͤude unter- worfen. Die Oekonomie des Lebens dieſer Geſchoͤpfe ſoll offenbar dem Geiſt ihres Baues folgen. Freiwillige Be- wegung, wirkſame Thaͤtigkeit, Empfindungen und Triebe machen das Hauptgeſchaͤft des Thiers aus, je mehr ſich ſeine Organiſation hebet. Bei den meiſten Gattungen iſt die Begierde des Geſchlechts nur auf kleine Zeit eingeſchraͤnkt; die uͤbrige leben ſie freier von dieſem Triebe als manche nie- drige Menſchen, die gern in den Zuſtand der Pflanze zuruͤck- kehren moͤchten. Sie haben natuͤrlich auch das Schickſal der Pflanzen; alle edlern Triebe, die Muskeln- Empfin- dungs- Geiſtes- und Willenskraft ermattet; ſie leben und ſterben eines fruͤhzeitigen Pflanzentodes.
Was unter den Thieren der Pflanze am naͤchſten kommt, bleibt, wie in der Oekonomie des Baues, ſo auch im Zweck
ſeiner
N 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0123"n="101"/><p>Nicht alſo bei den Thieren. Die Werkzeuge der Fort-<lb/>
pflanzung ſind ihnen nicht zur Krone gemacht, (nur einige<lb/>
der niedrigſten Geſchoͤpfe haben dieſe Theile dem Haupt na-<lb/>
he) ſie ſind vielmehr, auch der Beſtimmung des Geſchoͤpfs<lb/>
nach, edlern Gliedern untergeordnet. Herz und Lunge neh-<lb/>
men die Bruſt ein: das Haupt iſt feinern Sinnen geweiht<lb/>
und uͤberhaupt iſt dem ganzen Bau nach das Fiberngewebe<lb/>
mit ſeiner ſaftreichen Blumenkraft dem reizbaren Triebwerk<lb/>
der Muskeln und dem empfindenden Nervengebaͤude unter-<lb/>
worfen. Die Oekonomie des Lebens dieſer Geſchoͤpfe ſoll<lb/>
offenbar dem Geiſt ihres Baues folgen. Freiwillige Be-<lb/>
wegung, wirkſame Thaͤtigkeit, Empfindungen und Triebe<lb/>
machen das Hauptgeſchaͤft des Thiers aus, je mehr ſich ſeine<lb/>
Organiſation hebet. Bei den meiſten Gattungen iſt die<lb/>
Begierde des Geſchlechts nur auf kleine Zeit eingeſchraͤnkt;<lb/>
die uͤbrige leben ſie freier von dieſem Triebe als manche nie-<lb/>
drige Menſchen, die gern in den Zuſtand der Pflanze zuruͤck-<lb/>
kehren moͤchten. Sie haben natuͤrlich auch das Schickſal<lb/>
der Pflanzen; alle edlern Triebe, die Muskeln- Empfin-<lb/>
dungs- Geiſtes- und Willenskraft ermattet; ſie leben und<lb/>ſterben eines fruͤhzeitigen Pflanzentodes.</p><lb/><p>Was unter den Thieren der Pflanze am naͤchſten kommt,<lb/>
bleibt, wie in der Oekonomie des Baues, ſo auch im Zweck<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſeiner</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[101/0123]
Nicht alſo bei den Thieren. Die Werkzeuge der Fort-
pflanzung ſind ihnen nicht zur Krone gemacht, (nur einige
der niedrigſten Geſchoͤpfe haben dieſe Theile dem Haupt na-
he) ſie ſind vielmehr, auch der Beſtimmung des Geſchoͤpfs
nach, edlern Gliedern untergeordnet. Herz und Lunge neh-
men die Bruſt ein: das Haupt iſt feinern Sinnen geweiht
und uͤberhaupt iſt dem ganzen Bau nach das Fiberngewebe
mit ſeiner ſaftreichen Blumenkraft dem reizbaren Triebwerk
der Muskeln und dem empfindenden Nervengebaͤude unter-
worfen. Die Oekonomie des Lebens dieſer Geſchoͤpfe ſoll
offenbar dem Geiſt ihres Baues folgen. Freiwillige Be-
wegung, wirkſame Thaͤtigkeit, Empfindungen und Triebe
machen das Hauptgeſchaͤft des Thiers aus, je mehr ſich ſeine
Organiſation hebet. Bei den meiſten Gattungen iſt die
Begierde des Geſchlechts nur auf kleine Zeit eingeſchraͤnkt;
die uͤbrige leben ſie freier von dieſem Triebe als manche nie-
drige Menſchen, die gern in den Zuſtand der Pflanze zuruͤck-
kehren moͤchten. Sie haben natuͤrlich auch das Schickſal
der Pflanzen; alle edlern Triebe, die Muskeln- Empfin-
dungs- Geiſtes- und Willenskraft ermattet; ſie leben und
ſterben eines fruͤhzeitigen Pflanzentodes.
Was unter den Thieren der Pflanze am naͤchſten kommt,
bleibt, wie in der Oekonomie des Baues, ſo auch im Zweck
ſeiner
N 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/123>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.