Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

einzelner, zumal dem Menschen nahen Geschöpfen nicht Auf-
schlüsse über ihren Jnstinkt und Charakter, über das Ver-
hältniß der Gattungen gegen einander, zuletzt und am mei-
sten über die Ursachen des Vorzuges der Menschen vor den
Thieren gäbe: so wüßte ich nicht, woher man physische Auf-
schlüsse nehmen sollte. Und glücklicher Weise gehen jetzt die
Camper, Wrisberg, Wolf, Sömmerings und so viel
andre forschende Zergliederer auf diesem geistigen physiologi-
schen Wege der Vergleichung mehrerer Geschlechter in den
Kräften der Werkzeuge ihres organischen Lebens. -- -- Jch
setze meinem Zweck gemäß einige Hauptgrundsätze voraus,
die die folgenden Betrachtungen über die inwohnenden orga-
nischen Kräfte verschiedner Wesen und zuletzt des Menschen
einleiten mögen: denn ohne sie ist keine gründliche Uebersicht
der Menschennatur in ihren Mängeln und Vollkommenhei-
ten möglich.




1. Wo Wirkung in der Natur ist, muß wirkende
Kraft seyn; wo Reiz sich in Bestrebungen oder gar
in Krämpfen zeigt, da muß auch Reiz von innen ge-
fühlt werden.
Sollten diese Sätze nicht gelten: so hört
aller Zusammenhang der Bemerkungen; alle Analogie der
Natur auf.


2. Nie-

einzelner, zumal dem Menſchen nahen Geſchoͤpfen nicht Auf-
ſchluͤſſe uͤber ihren Jnſtinkt und Charakter, uͤber das Ver-
haͤltniß der Gattungen gegen einander, zuletzt und am mei-
ſten uͤber die Urſachen des Vorzuges der Menſchen vor den
Thieren gaͤbe: ſo wuͤßte ich nicht, woher man phyſiſche Auf-
ſchluͤſſe nehmen ſollte. Und gluͤcklicher Weiſe gehen jetzt die
Camper, Wrisberg, Wolf, Soͤmmerings und ſo viel
andre forſchende Zergliederer auf dieſem geiſtigen phyſiologi-
ſchen Wege der Vergleichung mehrerer Geſchlechter in den
Kraͤften der Werkzeuge ihres organiſchen Lebens. — — Jch
ſetze meinem Zweck gemaͤß einige Hauptgrundſaͤtze voraus,
die die folgenden Betrachtungen uͤber die inwohnenden orga-
niſchen Kraͤfte verſchiedner Weſen und zuletzt des Menſchen
einleiten moͤgen: denn ohne ſie iſt keine gruͤndliche Ueberſicht
der Menſchennatur in ihren Maͤngeln und Vollkommenhei-
ten moͤglich.




1. Wo Wirkung in der Natur iſt, muß wirkende
Kraft ſeyn; wo Reiz ſich in Beſtrebungen oder gar
in Kraͤmpfen zeigt, da muß auch Reiz von innen ge-
fuͤhlt werden.
Sollten dieſe Saͤtze nicht gelten: ſo hoͤrt
aller Zuſammenhang der Bemerkungen; alle Analogie der
Natur auf.


2. Nie-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0136" n="114"/>
einzelner, zumal dem Men&#x017F;chen nahen Ge&#x017F;cho&#x0364;pfen nicht Auf-<lb/>
&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e u&#x0364;ber ihren Jn&#x017F;tinkt und Charakter, u&#x0364;ber das Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltniß der Gattungen gegen einander, zuletzt und am mei-<lb/>
&#x017F;ten u&#x0364;ber die Ur&#x017F;achen des Vorzuges der Men&#x017F;chen vor den<lb/>
Thieren ga&#x0364;be: &#x017F;o wu&#x0364;ßte ich nicht, woher man phy&#x017F;i&#x017F;che Auf-<lb/>
&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e nehmen &#x017F;ollte. Und glu&#x0364;cklicher Wei&#x017F;e gehen jetzt die<lb/><hi rendition="#fr">Camper, Wrisberg, Wolf, So&#x0364;mmerings</hi> und &#x017F;o viel<lb/>
andre for&#x017F;chende Zergliederer auf die&#x017F;em gei&#x017F;tigen phy&#x017F;iologi-<lb/>
&#x017F;chen Wege der Vergleichung mehrerer Ge&#x017F;chlechter in den<lb/>
Kra&#x0364;ften der Werkzeuge ihres organi&#x017F;chen Lebens. &#x2014; &#x2014; Jch<lb/>
&#x017F;etze meinem Zweck gema&#x0364;ß einige Hauptgrund&#x017F;a&#x0364;tze voraus,<lb/>
die die folgenden Betrachtungen u&#x0364;ber die inwohnenden orga-<lb/>
ni&#x017F;chen Kra&#x0364;fte ver&#x017F;chiedner We&#x017F;en und zuletzt des Men&#x017F;chen<lb/>
einleiten mo&#x0364;gen: denn ohne &#x017F;ie i&#x017F;t keine gru&#x0364;ndliche Ueber&#x017F;icht<lb/>
der Men&#x017F;chennatur in ihren Ma&#x0364;ngeln und Vollkommenhei-<lb/>
ten mo&#x0364;glich.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>1. <hi rendition="#fr">Wo Wirkung in der Natur i&#x017F;t, muß wirkende<lb/>
Kraft &#x017F;eyn; wo Reiz &#x017F;ich in Be&#x017F;trebungen oder gar<lb/>
in Kra&#x0364;mpfen zeigt, da muß auch Reiz von innen ge-<lb/>
fu&#x0364;hlt werden.</hi> Sollten die&#x017F;e Sa&#x0364;tze nicht gelten: &#x017F;o ho&#x0364;rt<lb/>
aller Zu&#x017F;ammenhang der Bemerkungen; alle Analogie der<lb/>
Natur auf.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">2. Nie-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0136] einzelner, zumal dem Menſchen nahen Geſchoͤpfen nicht Auf- ſchluͤſſe uͤber ihren Jnſtinkt und Charakter, uͤber das Ver- haͤltniß der Gattungen gegen einander, zuletzt und am mei- ſten uͤber die Urſachen des Vorzuges der Menſchen vor den Thieren gaͤbe: ſo wuͤßte ich nicht, woher man phyſiſche Auf- ſchluͤſſe nehmen ſollte. Und gluͤcklicher Weiſe gehen jetzt die Camper, Wrisberg, Wolf, Soͤmmerings und ſo viel andre forſchende Zergliederer auf dieſem geiſtigen phyſiologi- ſchen Wege der Vergleichung mehrerer Geſchlechter in den Kraͤften der Werkzeuge ihres organiſchen Lebens. — — Jch ſetze meinem Zweck gemaͤß einige Hauptgrundſaͤtze voraus, die die folgenden Betrachtungen uͤber die inwohnenden orga- niſchen Kraͤfte verſchiedner Weſen und zuletzt des Menſchen einleiten moͤgen: denn ohne ſie iſt keine gruͤndliche Ueberſicht der Menſchennatur in ihren Maͤngeln und Vollkommenhei- ten moͤglich. 1. Wo Wirkung in der Natur iſt, muß wirkende Kraft ſeyn; wo Reiz ſich in Beſtrebungen oder gar in Kraͤmpfen zeigt, da muß auch Reiz von innen ge- fuͤhlt werden. Sollten dieſe Saͤtze nicht gelten: ſo hoͤrt aller Zuſammenhang der Bemerkungen; alle Analogie der Natur auf. 2. Nie-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/136
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/136>, abgerufen am 21.11.2024.