Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

rie der Keime, die man zur Erklärung der Vegetation ange-
nommen hat, erkläret eigentlich nichts: denn der Keim ist
schon ein Gebilde und wo dieses ist, muß eine organische
Kraft seyn, die es bildet. Jm ersten Saamenkorn der Schö-
pfung hat kein Zergliederer alle künftige Keime entdeckt; sie
werden uns nicht eher sichtbar, als bis die Pflanze zu ihrer
eignen völligen Kraft gelangt ist und wir haben durch alle
Erfahrungen kein Recht, sie etwas anderm, als der organi-
schen Kraft
der Pflanze selbst zuzuschreiben, die auf sie mit
stiller Jntensität wirket. Die Natur gewährte diesem Ge-
schöpf, was sie ihm gewähren konnte und erstattete das Viel-
fache, das sie ihm entziehen mußte, durch die Jnnigkeit der
Einen Kraft, die in ihm wirket. Was sollte die Pflanze
mit Kräften der Thierbewegung, da sie nicht von ihrer Stelle
kann? warum sollte sie andre Pflanzen um sich her erkennen
können, da dies Erkenntniß ihr Quaal wäre? Aber die Luft,
das Licht, ihren Saft der Nahrung ziehet sie an und genießt
sie pflanzenartig; den Trieb zu wachsen, zu blühen und sich
fortzupflanzen übt sie so treu und unabläßig, als ihn kein
andres Geschöpf übet.

2. Der Uebergang von der Pflanze zu den vielen bis-
her entdeckten Pflanzenthieren stellet dies noch deutlicher
dar. Die Nahrungstheile sind bei ihnen schon gesondert:


sie

rie der Keime, die man zur Erklaͤrung der Vegetation ange-
nommen hat, erklaͤret eigentlich nichts: denn der Keim iſt
ſchon ein Gebilde und wo dieſes iſt, muß eine organiſche
Kraft ſeyn, die es bildet. Jm erſten Saamenkorn der Schoͤ-
pfung hat kein Zergliederer alle kuͤnftige Keime entdeckt; ſie
werden uns nicht eher ſichtbar, als bis die Pflanze zu ihrer
eignen voͤlligen Kraft gelangt iſt und wir haben durch alle
Erfahrungen kein Recht, ſie etwas anderm, als der organi-
ſchen Kraft
der Pflanze ſelbſt zuzuſchreiben, die auf ſie mit
ſtiller Jntenſitaͤt wirket. Die Natur gewaͤhrte dieſem Ge-
ſchoͤpf, was ſie ihm gewaͤhren konnte und erſtattete das Viel-
fache, das ſie ihm entziehen mußte, durch die Jnnigkeit der
Einen Kraft, die in ihm wirket. Was ſollte die Pflanze
mit Kraͤften der Thierbewegung, da ſie nicht von ihrer Stelle
kann? warum ſollte ſie andre Pflanzen um ſich her erkennen
koͤnnen, da dies Erkenntniß ihr Quaal waͤre? Aber die Luft,
das Licht, ihren Saft der Nahrung ziehet ſie an und genießt
ſie pflanzenartig; den Trieb zu wachſen, zu bluͤhen und ſich
fortzupflanzen uͤbt ſie ſo treu und unablaͤßig, alſ ihn kein
andres Geſchoͤpf uͤbet.

2. Der Uebergang von der Pflanze zu den vielen bis-
her entdeckten Pflanzenthieren ſtellet dies noch deutlicher
dar. Die Nahrungstheile ſind bei ihnen ſchon geſondert:


ſie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0140" n="118"/>
rie der Keime, die man zur Erkla&#x0364;rung der Vegetation ange-<lb/>
nommen hat, erkla&#x0364;ret eigentlich nichts: denn der Keim i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;chon ein Gebilde und wo die&#x017F;es i&#x017F;t, muß eine organi&#x017F;che<lb/>
Kraft &#x017F;eyn, die es bildet. Jm er&#x017F;ten Saamenkorn der Scho&#x0364;-<lb/>
pfung hat kein Zergliederer alle ku&#x0364;nftige Keime entdeckt; &#x017F;ie<lb/>
werden uns nicht eher &#x017F;ichtbar, als bis die Pflanze zu ihrer<lb/>
eignen vo&#x0364;lligen Kraft gelangt i&#x017F;t und wir haben durch alle<lb/>
Erfahrungen kein Recht, &#x017F;ie etwas anderm, als der <hi rendition="#fr">organi-<lb/>
&#x017F;chen Kraft</hi> der Pflanze &#x017F;elb&#x017F;t zuzu&#x017F;chreiben, die auf &#x017F;ie mit<lb/>
&#x017F;tiller Jnten&#x017F;ita&#x0364;t wirket. Die Natur gewa&#x0364;hrte die&#x017F;em Ge-<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pf, was &#x017F;ie ihm gewa&#x0364;hren konnte und er&#x017F;tattete das Viel-<lb/>
fache, das &#x017F;ie ihm entziehen mußte, durch die Jnnigkeit der<lb/>
Einen Kraft, die in ihm wirket. Was &#x017F;ollte die Pflanze<lb/>
mit Kra&#x0364;ften der Thierbewegung, da &#x017F;ie nicht von ihrer Stelle<lb/>
kann? warum &#x017F;ollte &#x017F;ie andre Pflanzen um &#x017F;ich her erkennen<lb/>
ko&#x0364;nnen, da dies Erkenntniß ihr Quaal wa&#x0364;re? Aber die Luft,<lb/>
das Licht, ihren Saft der Nahrung ziehet &#x017F;ie an und genießt<lb/>
&#x017F;ie pflanzenartig; den Trieb zu wach&#x017F;en, zu blu&#x0364;hen und &#x017F;ich<lb/>
fortzupflanzen u&#x0364;bt &#x017F;ie &#x017F;o treu und unabla&#x0364;ßig, al&#x017F; ihn kein<lb/>
andres Ge&#x017F;cho&#x0364;pf u&#x0364;bet.</p><lb/>
          <p>2. Der Uebergang von der Pflanze zu den vielen bis-<lb/>
her entdeckten Pflanzenthieren &#x017F;tellet dies noch deutlicher<lb/>
dar. Die Nahrungstheile &#x017F;ind bei ihnen &#x017F;chon ge&#x017F;ondert:</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0140] rie der Keime, die man zur Erklaͤrung der Vegetation ange- nommen hat, erklaͤret eigentlich nichts: denn der Keim iſt ſchon ein Gebilde und wo dieſes iſt, muß eine organiſche Kraft ſeyn, die es bildet. Jm erſten Saamenkorn der Schoͤ- pfung hat kein Zergliederer alle kuͤnftige Keime entdeckt; ſie werden uns nicht eher ſichtbar, als bis die Pflanze zu ihrer eignen voͤlligen Kraft gelangt iſt und wir haben durch alle Erfahrungen kein Recht, ſie etwas anderm, als der organi- ſchen Kraft der Pflanze ſelbſt zuzuſchreiben, die auf ſie mit ſtiller Jntenſitaͤt wirket. Die Natur gewaͤhrte dieſem Ge- ſchoͤpf, was ſie ihm gewaͤhren konnte und erſtattete das Viel- fache, das ſie ihm entziehen mußte, durch die Jnnigkeit der Einen Kraft, die in ihm wirket. Was ſollte die Pflanze mit Kraͤften der Thierbewegung, da ſie nicht von ihrer Stelle kann? warum ſollte ſie andre Pflanzen um ſich her erkennen koͤnnen, da dies Erkenntniß ihr Quaal waͤre? Aber die Luft, das Licht, ihren Saft der Nahrung ziehet ſie an und genießt ſie pflanzenartig; den Trieb zu wachſen, zu bluͤhen und ſich fortzupflanzen uͤbt ſie ſo treu und unablaͤßig, alſ ihn kein andres Geſchoͤpf uͤbet. 2. Der Uebergang von der Pflanze zu den vielen bis- her entdeckten Pflanzenthieren ſtellet dies noch deutlicher dar. Die Nahrungstheile ſind bei ihnen ſchon geſondert: ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/140
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/140>, abgerufen am 02.05.2024.