danken. Das Hinterhaupt dagegen ist klein: denn das thierische cerebellum soll nicht überwiegen. So ists mit den andern Theilen des Gesichts; sie zeigen als sinnliche Organe die schönste Proportion der sinnlichen Kräfte des Gehirns an; und jede Abweichung davon ist thierisch. Jch bin ge- wiß, daß wir über die Zusammenstimmung dieser Theile einst noch eine so schöne Wissenschaft haben werden, als uns die blos errathende Physiognomik schwerlich allein gewäh- ren kann. Jm Jnnern liegt der Grund des Aeußern, weil durch organische Kräfte alles von innen heraus gebildet ward und jedes Geschöpf eine so ganze Form der Natur ist, als ob sie nichts anders geschaffen hätte.
Blick' also auf gen Himmel, o Mensch! und erfreue dich schaudernd deines unermeßlichen Vorzugs, den der Schöpfer der Welt an ein so einfaches Principium, deine aufrechte Ge- stalt knüpfte. Gingest du wie ein Thier gebückt, wäre dein Haupt in eben der gefräßigen Richtung für Mund und Na- se geformt und darnach der Gliederbau geordnet: wo bliebe deine höhere Geisteskraft, das Bild der Gottheit unsichtbar in dich gesenket? Selbst die Elenden, die unter die Thiere ge- riethen, verlohren es: wie sich ihr Haupt mißbildete, ver- wilderten auch die inneren Kräfte: gröbere Sinnen zogen das Geschöpf zur Erde nieder. Nun aber durch die Bil-
dung
A a
danken. Das Hinterhaupt dagegen iſt klein: denn das thieriſche cerebellum ſoll nicht uͤberwiegen. So iſts mit den andern Theilen des Geſichts; ſie zeigen als ſinnliche Organe die ſchoͤnſte Proportion der ſinnlichen Kraͤfte des Gehirns an; und jede Abweichung davon iſt thieriſch. Jch bin ge- wiß, daß wir uͤber die Zuſammenſtimmung dieſer Theile einſt noch eine ſo ſchoͤne Wiſſenſchaft haben werden, als uns die blos errathende Phyſiognomik ſchwerlich allein gewaͤh- ren kann. Jm Jnnern liegt der Grund des Aeußern, weil durch organiſche Kraͤfte alles von innen heraus gebildet ward und jedes Geſchoͤpf eine ſo ganze Form der Natur iſt, als ob ſie nichts anders geſchaffen haͤtte.
Blick' alſo auf gen Himmel, o Menſch! und erfreue dich ſchaudernd deines unermeßlichen Vorzugs, den der Schoͤpfer der Welt an ein ſo einfaches Principium, deine aufrechte Ge- ſtalt knuͤpfte. Gingeſt du wie ein Thier gebuͤckt, waͤre dein Haupt in eben der gefraͤßigen Richtung fuͤr Mund und Na- ſe geformt und darnach der Gliederbau geordnet: wo bliebe deine hoͤhere Geiſteskraft, das Bild der Gottheit unſichtbar in dich geſenket? Selbſt die Elenden, die unter die Thiere ge- riethen, verlohren es: wie ſich ihr Haupt mißbildete, ver- wilderten auch die inneren Kraͤfte: groͤbere Sinnen zogen das Geſchoͤpf zur Erde nieder. Nun aber durch die Bil-
dung
A a
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0207"n="205[185]"/><hirendition="#fr">danken</hi>. Das Hinterhaupt dagegen iſt klein: denn das<lb/>
thieriſche <hirendition="#aq">cerebellum</hi>ſoll nicht uͤberwiegen. So iſts mit den<lb/>
andern Theilen des Geſichts; ſie zeigen als ſinnliche Organe<lb/>
die ſchoͤnſte Proportion der ſinnlichen Kraͤfte des Gehirns<lb/>
an; und jede Abweichung davon iſt thieriſch. Jch bin ge-<lb/>
wiß, daß wir uͤber die Zuſammenſtimmung dieſer Theile<lb/>
einſt noch eine ſo ſchoͤne Wiſſenſchaft haben werden, als uns<lb/>
die blos errathende Phyſiognomik ſchwerlich allein gewaͤh-<lb/>
ren kann. Jm Jnnern liegt der Grund des Aeußern, weil<lb/>
durch organiſche Kraͤfte alles von innen heraus gebildet ward<lb/>
und jedes Geſchoͤpf eine ſo ganze Form der Natur iſt, als<lb/>
ob ſie nichts anders geſchaffen haͤtte.</p><lb/><p>Blick' alſo auf gen Himmel, o Menſch! und erfreue dich<lb/>ſchaudernd deines unermeßlichen Vorzugs, den der Schoͤpfer<lb/>
der Welt an ein ſo einfaches Principium, deine aufrechte Ge-<lb/>ſtalt knuͤpfte. Gingeſt du wie ein Thier gebuͤckt, waͤre dein<lb/>
Haupt in eben der gefraͤßigen Richtung fuͤr Mund und Na-<lb/>ſe geformt und darnach der Gliederbau geordnet: wo bliebe<lb/>
deine hoͤhere Geiſteskraft, das Bild der Gottheit unſichtbar<lb/>
in dich geſenket? Selbſt die Elenden, die unter die Thiere ge-<lb/>
riethen, verlohren es: wie ſich ihr Haupt mißbildete, ver-<lb/>
wilderten auch die inneren Kraͤfte: groͤbere Sinnen zogen<lb/>
das Geſchoͤpf zur Erde nieder. Nun aber durch die Bil-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A a</fw><fwplace="bottom"type="catch">dung</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[205[185]/0207]
danken. Das Hinterhaupt dagegen iſt klein: denn das
thieriſche cerebellum ſoll nicht uͤberwiegen. So iſts mit den
andern Theilen des Geſichts; ſie zeigen als ſinnliche Organe
die ſchoͤnſte Proportion der ſinnlichen Kraͤfte des Gehirns
an; und jede Abweichung davon iſt thieriſch. Jch bin ge-
wiß, daß wir uͤber die Zuſammenſtimmung dieſer Theile
einſt noch eine ſo ſchoͤne Wiſſenſchaft haben werden, als uns
die blos errathende Phyſiognomik ſchwerlich allein gewaͤh-
ren kann. Jm Jnnern liegt der Grund des Aeußern, weil
durch organiſche Kraͤfte alles von innen heraus gebildet ward
und jedes Geſchoͤpf eine ſo ganze Form der Natur iſt, als
ob ſie nichts anders geſchaffen haͤtte.
Blick' alſo auf gen Himmel, o Menſch! und erfreue dich
ſchaudernd deines unermeßlichen Vorzugs, den der Schoͤpfer
der Welt an ein ſo einfaches Principium, deine aufrechte Ge-
ſtalt knuͤpfte. Gingeſt du wie ein Thier gebuͤckt, waͤre dein
Haupt in eben der gefraͤßigen Richtung fuͤr Mund und Na-
ſe geformt und darnach der Gliederbau geordnet: wo bliebe
deine hoͤhere Geiſteskraft, das Bild der Gottheit unſichtbar
in dich geſenket? Selbſt die Elenden, die unter die Thiere ge-
riethen, verlohren es: wie ſich ihr Haupt mißbildete, ver-
wilderten auch die inneren Kraͤfte: groͤbere Sinnen zogen
das Geſchoͤpf zur Erde nieder. Nun aber durch die Bil-
dung
A a
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 205[185]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/207>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.