Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Bei den Thieren sehen wir Voranstalten zur Rede und
die Natur arbeitet auch hier von unten herauf, um diese Kunst
endlich im Menschen zu vollenden. Zum Werk des Athem-
holens wird die ganze Brust mit ihren Knochen, Bändern
und Muskeln, das Zwergfell und sogar Theile des Unterlei-
bes, des Nackens, des Halses und der Oberarme erfodert;
zu diesem großen Werk also bauete die Natur die ganze Säu-
le der Rückenwirbel mit ihren Bändern und Ribben, Mus-
keln und Adern: sie gab den Theilen der Brust die Vestig-
keit und Beweglichkeit, die zu ihm gehören und ging von den
niedrigern Geschöpfen immer höher, eine vollkommenere Lunge
und Luftröhre zu bilden. Begierig zieht das neugebohrne
Thier den ersten Athemzug in sich, ja es dränget sich nach dem-
selben, als ob es ihn nicht erwarten könnte. Wunderbar
viel Theile sind zu diesem Werk geschaffen: denn fast alle
Theile des Körpers haben zu ihrem wirksamen Gedeihen Luft
nöthig. Jndessen so sehr sich alles nach diesem lebendigen
Gottesathem drängt: so hat nicht jedes Geschöpf Stimme
und Sprache, die am Ende durch kleine Werkzeuge, dem
Kopf der Luftröhre, einige Knorpel und Muskeln, endlich
durch das einfache Glied der Zunge befördert werden. Jn
der schlichtesten Gestalt erscheint diese Tausendkünstlerin aller
göttlichen Gedanken und Worte, die mit ein wenig Luft durch
eine enge Spalte nicht nur das ganze Reich der Jdeen des

Men-
C c

Bei den Thieren ſehen wir Voranſtalten zur Rede und
die Natur arbeitet auch hier von unten herauf, um dieſe Kunſt
endlich im Menſchen zu vollenden. Zum Werk des Athem-
holens wird die ganze Bruſt mit ihren Knochen, Baͤndern
und Muskeln, das Zwergfell und ſogar Theile des Unterlei-
bes, des Nackens, des Halſes und der Oberarme erfodert;
zu dieſem großen Werk alſo bauete die Natur die ganze Saͤu-
le der Ruͤckenwirbel mit ihren Baͤndern und Ribben, Mus-
keln und Adern: ſie gab den Theilen der Bruſt die Veſtig-
keit und Beweglichkeit, die zu ihm gehoͤren und ging von den
niedrigern Geſchoͤpfen immer hoͤher, eine vollkommenere Lunge
und Luftroͤhre zu bilden. Begierig zieht das neugebohrne
Thier den erſten Athemzug in ſich, ja es draͤnget ſich nach dem-
ſelben, als ob es ihn nicht erwarten koͤnnte. Wunderbar
viel Theile ſind zu dieſem Werk geſchaffen: denn faſt alle
Theile des Koͤrpers haben zu ihrem wirkſamen Gedeihen Luft
noͤthig. Jndeſſen ſo ſehr ſich alles nach dieſem lebendigen
Gottesathem draͤngt: ſo hat nicht jedes Geſchoͤpf Stimme
und Sprache, die am Ende durch kleine Werkzeuge, dem
Kopf der Luftroͤhre, einige Knorpel und Muskeln, endlich
durch das einfache Glied der Zunge befoͤrdert werden. Jn
der ſchlichteſten Geſtalt erſcheint dieſe Tauſendkuͤnſtlerin aller
goͤttlichen Gedanken und Worte, die mit ein wenig Luft durch
eine enge Spalte nicht nur das ganze Reich der Jdeen des

Men-
C c
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0223" n="221[201]"/>
          <p>Bei den Thieren &#x017F;ehen wir Voran&#x017F;talten zur Rede und<lb/>
die Natur arbeitet auch hier von unten herauf, um die&#x017F;e Kun&#x017F;t<lb/>
endlich im Men&#x017F;chen zu vollenden. Zum Werk des Athem-<lb/>
holens wird die ganze Bru&#x017F;t mit ihren Knochen, Ba&#x0364;ndern<lb/>
und Muskeln, das Zwergfell und &#x017F;ogar Theile des Unterlei-<lb/>
bes, des Nackens, des Hal&#x017F;es und der Oberarme erfodert;<lb/>
zu die&#x017F;em großen Werk al&#x017F;o bauete die Natur die ganze Sa&#x0364;u-<lb/>
le der Ru&#x0364;ckenwirbel mit ihren Ba&#x0364;ndern und Ribben, Mus-<lb/>
keln und Adern: &#x017F;ie gab den Theilen der Bru&#x017F;t die Ve&#x017F;tig-<lb/>
keit und Beweglichkeit, die zu ihm geho&#x0364;ren und ging von den<lb/>
niedrigern Ge&#x017F;cho&#x0364;pfen immer ho&#x0364;her, eine vollkommenere Lunge<lb/>
und Luftro&#x0364;hre zu bilden. Begierig zieht das neugebohrne<lb/>
Thier den er&#x017F;ten Athemzug in &#x017F;ich, ja es dra&#x0364;nget &#x017F;ich nach dem-<lb/>
&#x017F;elben, als ob es ihn nicht erwarten ko&#x0364;nnte. Wunderbar<lb/>
viel Theile &#x017F;ind zu die&#x017F;em Werk ge&#x017F;chaffen: denn fa&#x017F;t alle<lb/>
Theile des Ko&#x0364;rpers haben zu ihrem wirk&#x017F;amen Gedeihen Luft<lb/>
no&#x0364;thig. Jnde&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;ich alles nach die&#x017F;em lebendigen<lb/>
Gottesathem dra&#x0364;ngt: &#x017F;o hat nicht jedes Ge&#x017F;cho&#x0364;pf Stimme<lb/>
und Sprache, die am Ende durch kleine Werkzeuge, dem<lb/>
Kopf der Luftro&#x0364;hre, einige Knorpel und Muskeln, endlich<lb/>
durch das einfache <hi rendition="#fr">Glied der Zunge</hi> befo&#x0364;rdert werden. Jn<lb/>
der &#x017F;chlichte&#x017F;ten Ge&#x017F;talt er&#x017F;cheint die&#x017F;e Tau&#x017F;endku&#x0364;n&#x017F;tlerin aller<lb/>
go&#x0364;ttlichen Gedanken und Worte, die mit ein wenig Luft durch<lb/>
eine enge Spalte nicht nur das ganze Reich der Jdeen des<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C c</fw><fw place="bottom" type="catch">Men-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221[201]/0223] Bei den Thieren ſehen wir Voranſtalten zur Rede und die Natur arbeitet auch hier von unten herauf, um dieſe Kunſt endlich im Menſchen zu vollenden. Zum Werk des Athem- holens wird die ganze Bruſt mit ihren Knochen, Baͤndern und Muskeln, das Zwergfell und ſogar Theile des Unterlei- bes, des Nackens, des Halſes und der Oberarme erfodert; zu dieſem großen Werk alſo bauete die Natur die ganze Saͤu- le der Ruͤckenwirbel mit ihren Baͤndern und Ribben, Mus- keln und Adern: ſie gab den Theilen der Bruſt die Veſtig- keit und Beweglichkeit, die zu ihm gehoͤren und ging von den niedrigern Geſchoͤpfen immer hoͤher, eine vollkommenere Lunge und Luftroͤhre zu bilden. Begierig zieht das neugebohrne Thier den erſten Athemzug in ſich, ja es draͤnget ſich nach dem- ſelben, als ob es ihn nicht erwarten koͤnnte. Wunderbar viel Theile ſind zu dieſem Werk geſchaffen: denn faſt alle Theile des Koͤrpers haben zu ihrem wirkſamen Gedeihen Luft noͤthig. Jndeſſen ſo ſehr ſich alles nach dieſem lebendigen Gottesathem draͤngt: ſo hat nicht jedes Geſchoͤpf Stimme und Sprache, die am Ende durch kleine Werkzeuge, dem Kopf der Luftroͤhre, einige Knorpel und Muskeln, endlich durch das einfache Glied der Zunge befoͤrdert werden. Jn der ſchlichteſten Geſtalt erſcheint dieſe Tauſendkuͤnſtlerin aller goͤttlichen Gedanken und Worte, die mit ein wenig Luft durch eine enge Spalte nicht nur das ganze Reich der Jdeen des Men- C c

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/223
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 221[201]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/223>, abgerufen am 05.05.2024.