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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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durch die Pflanzen, die hier keimten und unter einer rauhen
Hülle die ersten Spröschen trieben. Jst nun, wie wir gese-
hen haben, Geselligkeit, Freundschaft, wirksame Theilneh-
mung beinahe der Hauptzweck, worauf die Humanität in
ihrer ganzen Geschichte der Menschheit angelegt ist: so muß
diese schönste Blüthe des menschlichen Lebens nothwendig
dort zu der erquickenden Gestalt, zu der umschattenden Höhe
gelangen, nach der in allen Verbindungen der Erde unser
Herz vergebens dürstet. Unsre Brüder der höhern Stufe
lieben uns daher gewiß mehr und reiner, als wir sie suchen
und lieben können: denn sie übersehen unsern Zustand klä-
rer; der Augenblick der Zeit ist ihnen vorüber, alle Dishar-
monien sind aufgelöset und sie erziehen an uns vielleicht un-
sichtbar ihres Glückes Theilnehmer, ihres Geschäfts Brü-
der. Nur Einen Schritt weiter; und der gedrückte Geist
kann freier athmen, das verwundete Herz ist genesen: sie se-
hen den Schritt herannahn und helfen dem Gleitenden mäch-
tig hinüber.

4. Jch kann mir also auch nicht vorstellen, daß, da
wir eine Mittelgattung von zwo Classen und gewissermaaßen
die Theilnehmer beider sind, der künftige Zustand von dem
jetzigen so fern und ihm so ganz unmittheilbar seyn sollte, als
das Thier im Menschen gern glauben möchte; vielmehr wer-

den
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durch die Pflanzen, die hier keimten und unter einer rauhen
Huͤlle die erſten Sproͤschen trieben. Jſt nun, wie wir geſe-
hen haben, Geſelligkeit, Freundſchaft, wirkſame Theilneh-
mung beinahe der Hauptzweck, worauf die Humanitaͤt in
ihrer ganzen Geſchichte der Menſchheit angelegt iſt: ſo muß
dieſe ſchoͤnſte Bluͤthe des menſchlichen Lebens nothwendig
dort zu der erquickenden Geſtalt, zu der umſchattenden Hoͤhe
gelangen, nach der in allen Verbindungen der Erde unſer
Herz vergebens duͤrſtet. Unſre Bruͤder der hoͤhern Stufe
lieben uns daher gewiß mehr und reiner, als wir ſie ſuchen
und lieben koͤnnen: denn ſie uͤberſehen unſern Zuſtand klaͤ-
rer; der Augenblick der Zeit iſt ihnen voruͤber, alle Dishar-
monien ſind aufgeloͤſet und ſie erziehen an uns vielleicht un-
ſichtbar ihres Gluͤckes Theilnehmer, ihres Geſchaͤfts Bruͤ-
der. Nur Einen Schritt weiter; und der gedruͤckte Geiſt
kann freier athmen, das verwundete Herz iſt geneſen: ſie ſe-
hen den Schritt herannahn und helfen dem Gleitenden maͤch-
tig hinuͤber.

4. Jch kann mir alſo auch nicht vorſtellen, daß, da
wir eine Mittelgattung von zwo Claſſen und gewiſſermaaßen
die Theilnehmer beider ſind, der kuͤnftige Zuſtand von dem
jetzigen ſo fern und ihm ſo ganz unmittheilbar ſeyn ſollte, als
das Thier im Menſchen gern glauben moͤchte; vielmehr wer-

den
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[313[293]/0315] durch die Pflanzen, die hier keimten und unter einer rauhen Huͤlle die erſten Sproͤschen trieben. Jſt nun, wie wir geſe- hen haben, Geſelligkeit, Freundſchaft, wirkſame Theilneh- mung beinahe der Hauptzweck, worauf die Humanitaͤt in ihrer ganzen Geſchichte der Menſchheit angelegt iſt: ſo muß dieſe ſchoͤnſte Bluͤthe des menſchlichen Lebens nothwendig dort zu der erquickenden Geſtalt, zu der umſchattenden Hoͤhe gelangen, nach der in allen Verbindungen der Erde unſer Herz vergebens duͤrſtet. Unſre Bruͤder der hoͤhern Stufe lieben uns daher gewiß mehr und reiner, als wir ſie ſuchen und lieben koͤnnen: denn ſie uͤberſehen unſern Zuſtand klaͤ- rer; der Augenblick der Zeit iſt ihnen voruͤber, alle Dishar- monien ſind aufgeloͤſet und ſie erziehen an uns vielleicht un- ſichtbar ihres Gluͤckes Theilnehmer, ihres Geſchaͤfts Bruͤ- der. Nur Einen Schritt weiter; und der gedruͤckte Geiſt kann freier athmen, das verwundete Herz iſt geneſen: ſie ſe- hen den Schritt herannahn und helfen dem Gleitenden maͤch- tig hinuͤber. 4. Jch kann mir alſo auch nicht vorſtellen, daß, da wir eine Mittelgattung von zwo Claſſen und gewiſſermaaßen die Theilnehmer beider ſind, der kuͤnftige Zuſtand von dem jetzigen ſo fern und ihm ſo ganz unmittheilbar ſeyn ſollte, als das Thier im Menſchen gern glauben moͤchte; vielmehr wer- den O o 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 313[293]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/315>, abgerufen am 27.04.2024.