Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

auch dieser Welttheil in die Länge und Breite durchschnitten,
wahrscheinlich also in seiner Mitte gleichfalls sehr abgekühlt
ist. Jn Amerika dagegen wie anders! Nördlich streichen
die kalten Nord- und Nordwestwinde lange Strecken hinab,
ohne daß ein Gebürge sie breche. Sie kommen aus dem
großen Eisrevier her, das sich bisher aller Durchfahrt wider-
setzt hat, und das der eigentliche noch unbekannte Eiswinkel
der Welt zu nennen wäre. Sodann streichen sie über große
Erdstriche erfrornen Landes hin und erst unter den blauen
Gebürgen wird das Land milder. Noch immer aber mit so
plötzlichen Abwechselungen der Hitze und Kälte, als in kei-
nem andern Lande: wahrscheinlich, weil es dieser ganzen
Nord-Halbinsel an einer zusammenhängenden vesten Ge-
bürgmauer fehlet, Winde und Witterung zu lenken und ih-
nen ihre bestimmtere Herrschaft zu geben - Jm untern
Südamerika gegentheils wehen die Winde vom Eise des
Südpols und finden abermals statt eines Sturmdachs, das
sie breche, vielmehr eine Bergkette, die sie von Süd gen Nord
hinauf leitet. Die Einwohner der mittlern Gegenden, so
glückliche Erdstriche es von Natur sind, müssen also oft zwi-
schen diesen beiden einander entgegengesetzten Kräften in ei-
ner nassen heissen Trägheit schmachten, wenn nicht kleinere
Winde von den Bergen oder dem Meere her ihr Land erfri-
schen und kühlen.

Sehen

auch dieſer Welttheil in die Laͤnge und Breite durchſchnitten,
wahrſcheinlich alſo in ſeiner Mitte gleichfalls ſehr abgekuͤhlt
iſt. Jn Amerika dagegen wie anderſ! Noͤrdlich ſtreichen
die kalten Nord- und Nordweſtwinde lange Strecken hinab,
ohne daß ein Gebuͤrge ſie breche. Sie kommen aus dem
großen Eiſrevier her, das ſich biſher aller Durchfahrt wider-
ſetzt hat, und das der eigentliche noch unbekannte Eiſwinkel
der Welt zu nennen waͤre. Sodann ſtreichen ſie uͤber große
Erdſtriche erfrornen Landes hin und erſt unter den blauen
Gebuͤrgen wird das Land milder. Noch immer aber mit ſo
ploͤtzlichen Abwechſelungen der Hitze und Kaͤlte, als in kei-
nem andern Lande: wahrſcheinlich, weil es dieſer ganzen
Nord-Halbinſel an einer zuſammenhaͤngenden veſten Ge-
buͤrgmauer fehlet, Winde und Witterung zu lenken und ih-
nen ihre beſtimmtere Herrſchaft zu geben - Jm untern
Suͤdamerika gegentheils wehen die Winde vom Eiſe des
Suͤdpols und finden abermals ſtatt eines Sturmdachſ, das
ſie breche, vielmehr eine Bergkette, die ſie von Suͤd gen Nord
hinauf leitet. Die Einwohner der mittlern Gegenden, ſo
gluͤckliche Erdſtriche es von Natur ſind, muͤſſen alſo oft zwi-
ſchen dieſen beiden einander entgegengeſetzten Kraͤften in ei-
ner naſſen heiſſen Traͤgheit ſchmachten, wenn nicht kleinere
Winde von den Bergen oder dem Meere her ihr Land erfri-
ſchen und kuͤhlen.

Sehen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0074" n="52"/>
auch die&#x017F;er Welttheil in die La&#x0364;nge und Breite durch&#x017F;chnitten,<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich al&#x017F;o in &#x017F;einer Mitte gleichfalls &#x017F;ehr abgeku&#x0364;hlt<lb/>
i&#x017F;t. Jn Amerika dagegen wie ander&#x017F;! No&#x0364;rdlich &#x017F;treichen<lb/>
die kalten Nord- und Nordwe&#x017F;twinde lange Strecken hinab,<lb/>
ohne daß ein Gebu&#x0364;rge &#x017F;ie breche. Sie kommen aus dem<lb/>
großen Ei&#x017F;revier her, das &#x017F;ich bi&#x017F;her aller Durchfahrt wider-<lb/>
&#x017F;etzt hat, und das der eigentliche noch unbekannte Ei&#x017F;winkel<lb/>
der Welt zu nennen wa&#x0364;re. Sodann &#x017F;treichen &#x017F;ie u&#x0364;ber große<lb/>
Erd&#x017F;triche erfrornen Landes hin und er&#x017F;t unter den blauen<lb/>
Gebu&#x0364;rgen wird das Land milder. Noch immer aber mit &#x017F;o<lb/>
plo&#x0364;tzlichen Abwech&#x017F;elungen der Hitze und Ka&#x0364;lte, als in kei-<lb/>
nem andern Lande: wahr&#x017F;cheinlich, weil es die&#x017F;er ganzen<lb/>
Nord-Halbin&#x017F;el an einer zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngenden ve&#x017F;ten Ge-<lb/>
bu&#x0364;rgmauer fehlet, Winde und Witterung zu lenken und ih-<lb/>
nen ihre be&#x017F;timmtere Herr&#x017F;chaft zu geben - Jm untern<lb/>
Su&#x0364;damerika gegentheils wehen die Winde vom Ei&#x017F;e des<lb/>
Su&#x0364;dpols und finden abermals &#x017F;tatt eines Sturmdach&#x017F;, das<lb/>
&#x017F;ie breche, vielmehr eine Bergkette, die &#x017F;ie von Su&#x0364;d gen Nord<lb/>
hinauf leitet. Die Einwohner der mittlern Gegenden, &#x017F;o<lb/>
glu&#x0364;ckliche Erd&#x017F;triche es von Natur &#x017F;ind, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en al&#x017F;o oft zwi-<lb/>
&#x017F;chen die&#x017F;en beiden einander entgegenge&#x017F;etzten Kra&#x0364;ften in ei-<lb/>
ner na&#x017F;&#x017F;en hei&#x017F;&#x017F;en Tra&#x0364;gheit &#x017F;chmachten, wenn nicht kleinere<lb/>
Winde von den Bergen oder dem Meere her ihr Land erfri-<lb/>
&#x017F;chen und ku&#x0364;hlen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Sehen</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0074] auch dieſer Welttheil in die Laͤnge und Breite durchſchnitten, wahrſcheinlich alſo in ſeiner Mitte gleichfalls ſehr abgekuͤhlt iſt. Jn Amerika dagegen wie anderſ! Noͤrdlich ſtreichen die kalten Nord- und Nordweſtwinde lange Strecken hinab, ohne daß ein Gebuͤrge ſie breche. Sie kommen aus dem großen Eiſrevier her, das ſich biſher aller Durchfahrt wider- ſetzt hat, und das der eigentliche noch unbekannte Eiſwinkel der Welt zu nennen waͤre. Sodann ſtreichen ſie uͤber große Erdſtriche erfrornen Landes hin und erſt unter den blauen Gebuͤrgen wird das Land milder. Noch immer aber mit ſo ploͤtzlichen Abwechſelungen der Hitze und Kaͤlte, als in kei- nem andern Lande: wahrſcheinlich, weil es dieſer ganzen Nord-Halbinſel an einer zuſammenhaͤngenden veſten Ge- buͤrgmauer fehlet, Winde und Witterung zu lenken und ih- nen ihre beſtimmtere Herrſchaft zu geben - Jm untern Suͤdamerika gegentheils wehen die Winde vom Eiſe des Suͤdpols und finden abermals ſtatt eines Sturmdachſ, das ſie breche, vielmehr eine Bergkette, die ſie von Suͤd gen Nord hinauf leitet. Die Einwohner der mittlern Gegenden, ſo gluͤckliche Erdſtriche es von Natur ſind, muͤſſen alſo oft zwi- ſchen dieſen beiden einander entgegengeſetzten Kraͤften in ei- ner naſſen heiſſen Traͤgheit ſchmachten, wenn nicht kleinere Winde von den Bergen oder dem Meere her ihr Land erfri- ſchen und kuͤhlen. Sehen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/74
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/74>, abgerufen am 19.05.2024.