Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Was indeß jeder Stein- und Erdart verliehen ist: ist
gewiß ein allgemeines Gesetz aller Geschöpfe unsrer Erde;
dieses ist Bildung, bestimmte Gestalt, eignes Daseyn.
Keinem Wesen kann dies genommen werden: denn alle sei-
ne Eigenschaften und Wirkungen sind darauf gegründet.
Die unermeßliche Kette reicht vom Schöpfer hinab bis zum
Keim eines Sandkörnchens, da auch dieses seine bestimmte
Gestalt hat, in der es sich oft der schönsten Krystallisation
nähert. Auch die vermischtesten Wesen folgen in ihren
Theilen demselben Gesetz; nur weil so viel und mancherlei
Kräfte in ihnen wirken und endlich ein Ganzes zusammen
gebracht werden sollte, das mit den verschiedensten Bestand-
theilen dennoch einer allgemeinen Einheit diene: so wurden
Uebergänge, Vermischungen und mancherlei divergirende
Formen. Sobald der Kern unsrer Erde, der Granit, da
war, war auch das Licht da, das in den dicken Dünsten un-
sres Erdchaos vielleicht noch als Feuer wirkte, es war eine grö-
bere mächtigere Luft als wir jetzt geniessen, es war ein vermisch-
teres schwangeres Wasser da, auf ihn zu wirken. Die andrin-
gende Säure lösete ihn auf und führte ihn zu andern Steinarten
über; der ungeheure Sand unsers Erdkörpers ist vielleicht
nur die Asche dieses verwitterten Körpers. Das Brenn-
bare der Luft beförderte vielleicht den Kiesel zur Kalkerde, und
in dieser organisirten sich die ersten Lebendigen des Meers,

die

Was indeß jeder Stein- und Erdart verliehen iſt: iſt
gewiß ein allgemeines Geſetz aller Geſchoͤpfe unſrer Erde;
dieſes iſt Bildung, beſtimmte Geſtalt, eignes Daſeyn.
Keinem Weſen kann dies genommen werden: denn alle ſei-
ne Eigenſchaften und Wirkungen ſind darauf gegruͤndet.
Die unermeßliche Kette reicht vom Schoͤpfer hinab bis zum
Keim eines Sandkoͤrnchens, da auch dieſes ſeine beſtimmte
Geſtalt hat, in der es ſich oft der ſchoͤnſten Kryſtalliſation
naͤhert. Auch die vermiſchteſten Weſen folgen in ihren
Theilen demſelben Geſetz; nur weil ſo viel und mancherlei
Kraͤfte in ihnen wirken und endlich ein Ganzes zuſammen
gebracht werden ſollte, das mit den verſchiedenſten Beſtand-
theilen dennoch einer allgemeinen Einheit diene: ſo wurden
Uebergaͤnge, Vermiſchungen und mancherlei divergirende
Formen. Sobald der Kern unſrer Erde, der Granit, da
war, war auch das Licht da, das in den dicken Duͤnſten un-
ſres Erdchaos vielleicht noch als Feuer wirkte, es war eine groͤ-
bere maͤchtigere Luft als wir jetzt genieſſen, es war ein vermiſch-
teres ſchwangeres Waſſer da, auf ihn zu wirken. Die andrin-
gende Saͤure loͤſete ihn auf und fuͤhrte ihn zu andern Steinarten
uͤber; der ungeheure Sand unſers Erdkoͤrpers iſt vielleicht
nur die Aſche dieſes verwitterten Koͤrpers. Das Brenn-
bare der Luft befoͤrderte vielleicht den Kieſel zur Kalkerde, und
in dieſer organiſirten ſich die erſten Lebendigen des Meers,

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="2">
          <pb facs="#f0082" n="60"/>
          <p>Was indeß jeder Stein- und Erdart verliehen i&#x017F;t: i&#x017F;t<lb/>
gewiß ein allgemeines Ge&#x017F;etz aller Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe un&#x017F;rer Erde;<lb/>
die&#x017F;es i&#x017F;t <hi rendition="#fr">Bildung</hi>, be&#x017F;timmte <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;talt</hi>, eignes <hi rendition="#fr">Da&#x017F;eyn.</hi><lb/>
Keinem We&#x017F;en kann dies genommen werden: denn alle &#x017F;ei-<lb/>
ne Eigen&#x017F;chaften und Wirkungen &#x017F;ind darauf gegru&#x0364;ndet.<lb/>
Die unermeßliche Kette reicht vom Scho&#x0364;pfer hinab bis zum<lb/>
Keim eines Sandko&#x0364;rnchens, da auch die&#x017F;es &#x017F;eine be&#x017F;timmte<lb/>
Ge&#x017F;talt hat, in der es &#x017F;ich oft der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Kry&#x017F;talli&#x017F;ation<lb/>
na&#x0364;hert. Auch die vermi&#x017F;chte&#x017F;ten We&#x017F;en folgen in ihren<lb/>
Theilen dem&#x017F;elben Ge&#x017F;etz; nur weil &#x017F;o viel und mancherlei<lb/>
Kra&#x0364;fte in ihnen wirken und endlich ein Ganzes zu&#x017F;ammen<lb/>
gebracht werden &#x017F;ollte, das mit den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Be&#x017F;tand-<lb/>
theilen dennoch einer allgemeinen Einheit diene: &#x017F;o wurden<lb/>
Ueberga&#x0364;nge, Vermi&#x017F;chungen und mancherlei divergirende<lb/>
Formen. Sobald der Kern un&#x017F;rer Erde, der Granit, da<lb/>
war, war auch das Licht da, das in den dicken Du&#x0364;n&#x017F;ten un-<lb/>
&#x017F;res Erdchaos vielleicht noch als Feuer wirkte, es war eine gro&#x0364;-<lb/>
bere ma&#x0364;chtigere Luft als wir jetzt genie&#x017F;&#x017F;en, es war ein vermi&#x017F;ch-<lb/>
teres &#x017F;chwangeres Wa&#x017F;&#x017F;er da, auf ihn zu wirken. Die andrin-<lb/>
gende Sa&#x0364;ure lo&#x0364;&#x017F;ete ihn auf und fu&#x0364;hrte ihn zu andern Steinarten<lb/>
u&#x0364;ber; der ungeheure Sand un&#x017F;ers Erdko&#x0364;rpers i&#x017F;t vielleicht<lb/>
nur die A&#x017F;che die&#x017F;es verwitterten Ko&#x0364;rpers. Das Brenn-<lb/>
bare der Luft befo&#x0364;rderte vielleicht den Kie&#x017F;el zur Kalkerde, und<lb/>
in die&#x017F;er organi&#x017F;irten &#x017F;ich die er&#x017F;ten Lebendigen des Meers,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0082] Was indeß jeder Stein- und Erdart verliehen iſt: iſt gewiß ein allgemeines Geſetz aller Geſchoͤpfe unſrer Erde; dieſes iſt Bildung, beſtimmte Geſtalt, eignes Daſeyn. Keinem Weſen kann dies genommen werden: denn alle ſei- ne Eigenſchaften und Wirkungen ſind darauf gegruͤndet. Die unermeßliche Kette reicht vom Schoͤpfer hinab bis zum Keim eines Sandkoͤrnchens, da auch dieſes ſeine beſtimmte Geſtalt hat, in der es ſich oft der ſchoͤnſten Kryſtalliſation naͤhert. Auch die vermiſchteſten Weſen folgen in ihren Theilen demſelben Geſetz; nur weil ſo viel und mancherlei Kraͤfte in ihnen wirken und endlich ein Ganzes zuſammen gebracht werden ſollte, das mit den verſchiedenſten Beſtand- theilen dennoch einer allgemeinen Einheit diene: ſo wurden Uebergaͤnge, Vermiſchungen und mancherlei divergirende Formen. Sobald der Kern unſrer Erde, der Granit, da war, war auch das Licht da, das in den dicken Duͤnſten un- ſres Erdchaos vielleicht noch als Feuer wirkte, es war eine groͤ- bere maͤchtigere Luft als wir jetzt genieſſen, es war ein vermiſch- teres ſchwangeres Waſſer da, auf ihn zu wirken. Die andrin- gende Saͤure loͤſete ihn auf und fuͤhrte ihn zu andern Steinarten uͤber; der ungeheure Sand unſers Erdkoͤrpers iſt vielleicht nur die Aſche dieſes verwitterten Koͤrpers. Das Brenn- bare der Luft befoͤrderte vielleicht den Kieſel zur Kalkerde, und in dieſer organiſirten ſich die erſten Lebendigen des Meers, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/82
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/82>, abgerufen am 19.05.2024.