ganz zu Boden sinket und sich das wenige Brennbare in ihm zur Seele der Natur auflöset. -- Jsts mit dem Menschen, als Pflanze betrachtet, anders? Welche Unermeßlichkeit von Hoffnungen, Aussichten, Wirkungstrieben füllt dunkel oder lebhaft seine jugendliche Seele! Alles trauet er sich zu; und eben weil ers sich zutrauet, gelingts ihm: denn das Glück ist die Braut der Jugend. Wenige Jahre weiter; und es verändert sich alles um ihn, blos weil Er sich verändert. Das wenigste hat er ausgerichtet, was er ausrichten wollte, und glücklich, wenn er es nicht mehr und jetzt zu unrechter Zeit ausrichten will, sondern sich friedlich selbst verlebet. Jm Auge eines höhern Wesens mögen unsre Wirkungen auf der Erde so wichtig, wenigstens gewiß so bestimmt und umschrie- ben seyn, als die Thaten und Unternehmungen eines Baums. Er entwickelt was er entwickeln kann und macht sich, dessen er habhaft werden mag, Meister. Er treibt Sprossen und Keime, gebiert Früchte und säet junge Bäume; niemals aber kommt er von der Stelle, auf die ihn die Natur gestellt hat, und er kann sich keine einzige der Kräfte, die nicht in ihn gelegt sind, nehmen.
Jnsonderheit, dünkt mich, demüthiget es den Men- schen, daß er mit den süssen Trieben, die er Liebe nennt, und in die er so viel Willkühr setzt, beinah ebenso blind wie die
Pflanze,
ganz zu Boden ſinket und ſich das wenige Brennbare in ihm zur Seele der Natur aufloͤſet. — Jſts mit dem Menſchen, als Pflanze betrachtet, anders? Welche Unermeßlichkeit von Hoffnungen, Ausſichten, Wirkungstrieben fuͤllt dunkel oder lebhaft ſeine jugendliche Seele! Alles trauet er ſich zu; und eben weil ers ſich zutrauet, gelingts ihm: denn das Gluͤck iſt die Braut der Jugend. Wenige Jahre weiter; und es veraͤndert ſich alles um ihn, blos weil Er ſich veraͤndert. Das wenigſte hat er ausgerichtet, was er ausrichten wollte, und gluͤcklich, wenn er es nicht mehr und jetzt zu unrechter Zeit ausrichten will, ſondern ſich friedlich ſelbſt verlebet. Jm Auge eines hoͤhern Weſens moͤgen unſre Wirkungen auf der Erde ſo wichtig, wenigſtens gewiß ſo beſtimmt und umſchrie- ben ſeyn, als die Thaten und Unternehmungen eines Baums. Er entwickelt was er entwickeln kann und macht ſich, deſſen er habhaft werden mag, Meiſter. Er treibt Sproſſen und Keime, gebiert Fruͤchte und ſaͤet junge Baͤume; niemals aber kommt er von der Stelle, auf die ihn die Natur geſtellt hat, und er kann ſich keine einzige der Kraͤfte, die nicht in ihn gelegt ſind, nehmen.
Jnſonderheit, duͤnkt mich, demuͤthiget es den Men- ſchen, daß er mit den ſuͤſſen Trieben, die er Liebe nennt, und in die er ſo viel Willkuͤhr ſetzt, beinah ebenſo blind wie die
Pflanze,
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ganz zu Boden ſinket und ſich das wenige Brennbare in ihm
zur Seele der Natur aufloͤſet. — Jſts mit dem Menſchen,
als Pflanze betrachtet, anders? Welche Unermeßlichkeit von
Hoffnungen, Ausſichten, Wirkungstrieben fuͤllt dunkel oder
lebhaft ſeine jugendliche Seele! Alles trauet er ſich zu; und
eben weil ers ſich zutrauet, gelingts ihm: denn das Gluͤck
iſt die Braut der Jugend. Wenige Jahre weiter; und es
veraͤndert ſich alles um ihn, blos weil Er ſich veraͤndert.
Das wenigſte hat er ausgerichtet, was er ausrichten wollte,
und gluͤcklich, wenn er es nicht mehr und jetzt zu unrechter
Zeit ausrichten will, ſondern ſich friedlich ſelbſt verlebet. Jm
Auge eines hoͤhern Weſens moͤgen unſre Wirkungen auf der
Erde ſo wichtig, wenigſtens gewiß ſo beſtimmt und umſchrie-
ben ſeyn, als die Thaten und Unternehmungen eines Baums.
Er entwickelt was er entwickeln kann und macht ſich, deſſen
er habhaft werden mag, Meiſter. Er treibt Sproſſen und
Keime, gebiert Fruͤchte und ſaͤet junge Baͤume; niemals
aber kommt er von der Stelle, auf die ihn die Natur geſtellt
hat, und er kann ſich keine einzige der Kraͤfte, die nicht in
ihn gelegt ſind, nehmen.
Jnſonderheit, duͤnkt mich, demuͤthiget es den Men-
ſchen, daß er mit den ſuͤſſen Trieben, die er Liebe nennt, und
in die er ſo viel Willkuͤhr ſetzt, beinah ebenſo blind wie die
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/90>, abgerufen am 21.11.2024.
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