bürgart, jeder ähnliche Luftstrich, so wie ein gleicher Grad der Hitze und Kälte ernähret seine Pflanzen. Anf den Lapp- ländischen Felsen, den Alpen, den Pyrenäen wachsen, der Entfernung ohngeachtet, dieselben oder ähnliche Kräuter; Nordamerika und die hohen Strecken der Tatarei erziehen gleiche Kinder. Auf solchen Erdhöhen, wo der Wind die Gewächse unsanft beweget und ihr Sommer kürzer dauret, bleiben sie zwar klein; sie sind hingegen voll unzälicher Sa- menkörner: da, wenn man sie in Gärten verpflanzt, sie hö- her wachsen und größere Blätter, aber weniger Frucht tra- gen. Jedermann siehet die durchscheinende Aehnlichkeit zu Thieren und Menschen. Alle Gewächse lieben die freie Luft: sie neigen sich in den Treibhäusern zu der Gegend des Lichts, wenn sie auch durch ein Loch hinaus dringen sollten. Jn einer eingeschlossenen Wärme werden sie schlanker und rankichter aber zugleich bleicher, fruchtloser und lassen nach- her, zu plötzlich an die Sonne versetzt, die Blätter sinken. Ob es mit den Menschen und Thieren einer verzärtelnden oder zwangvollen Cultur anders wäre? Mannichfaltigkeit des Erdreichs und der Luft macht Spielarten an Pflanzen, wie an Thieren und Menschen; und je mehr jene an Sachen der Zierde, an Form der Blätter, an Zahl der Blumenstiele gewinnen; desto mehr verlieren sie an Kraft der Selbstfort- pflanzung. Ob es bei Thieren und Menschen, (die größere
Stärke
K
buͤrgart, jeder aͤhnliche Luftſtrich, ſo wie ein gleicher Grad der Hitze und Kaͤlte ernaͤhret ſeine Pflanzen. Anf den Lapp- laͤndiſchen Felſen, den Alpen, den Pyrenaͤen wachſen, der Entfernung ohngeachtet, dieſelben oder aͤhnliche Kraͤuter; Nordamerika und die hohen Strecken der Tatarei erziehen gleiche Kinder. Auf ſolchen Erdhoͤhen, wo der Wind die Gewaͤchſe unſanft beweget und ihr Sommer kuͤrzer dauret, bleiben ſie zwar klein; ſie ſind hingegen voll unzaͤlicher Sa- menkoͤrner: da, wenn man ſie in Gaͤrten verpflanzt, ſie hoͤ- her wachſen und groͤßere Blaͤtter, aber weniger Frucht tra- gen. Jedermann ſiehet die durchſcheinende Aehnlichkeit zu Thieren und Menſchen. Alle Gewaͤchſe lieben die freie Luft: ſie neigen ſich in den Treibhaͤuſern zu der Gegend des Lichts, wenn ſie auch durch ein Loch hinaus dringen ſollten. Jn einer eingeſchloſſenen Waͤrme werden ſie ſchlanker und rankichter aber zugleich bleicher, fruchtloſer und laſſen nach- her, zu ploͤtzlich an die Sonne verſetzt, die Blaͤtter ſinken. Ob es mit den Menſchen und Thieren einer verzaͤrtelnden oder zwangvollen Cultur anders waͤre? Mannichfaltigkeit des Erdreichs und der Luft macht Spielarten an Pflanzen, wie an Thieren und Menſchen; und je mehr jene an Sachen der Zierde, an Form der Blaͤtter, an Zahl der Blumenſtiele gewinnen; deſto mehr verlieren ſie an Kraft der Selbſtfort- pflanzung. Ob es bei Thieren und Menſchen, (die groͤßere
Staͤrke
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buͤrgart, jeder aͤhnliche Luftſtrich, ſo wie ein gleicher Grad
der Hitze und Kaͤlte ernaͤhret ſeine Pflanzen. Anf den Lapp-
laͤndiſchen Felſen, den Alpen, den Pyrenaͤen wachſen, der
Entfernung ohngeachtet, dieſelben oder aͤhnliche Kraͤuter;
Nordamerika und die hohen Strecken der Tatarei erziehen
gleiche Kinder. Auf ſolchen Erdhoͤhen, wo der Wind die
Gewaͤchſe unſanft beweget und ihr Sommer kuͤrzer dauret,
bleiben ſie zwar klein; ſie ſind hingegen voll unzaͤlicher Sa-
menkoͤrner: da, wenn man ſie in Gaͤrten verpflanzt, ſie hoͤ-
her wachſen und groͤßere Blaͤtter, aber weniger Frucht tra-
gen. Jedermann ſiehet die durchſcheinende Aehnlichkeit zu
Thieren und Menſchen. Alle Gewaͤchſe lieben die freie
Luft: ſie neigen ſich in den Treibhaͤuſern zu der Gegend des
Lichts, wenn ſie auch durch ein Loch hinaus dringen ſollten.
Jn einer eingeſchloſſenen Waͤrme werden ſie ſchlanker und
rankichter aber zugleich bleicher, fruchtloſer und laſſen nach-
her, zu ploͤtzlich an die Sonne verſetzt, die Blaͤtter ſinken.
Ob es mit den Menſchen und Thieren einer verzaͤrtelnden oder
zwangvollen Cultur anders waͤre? Mannichfaltigkeit des
Erdreichs und der Luft macht Spielarten an Pflanzen, wie
an Thieren und Menſchen; und je mehr jene an Sachen
der Zierde, an Form der Blaͤtter, an Zahl der Blumenſtiele
gewinnen; deſto mehr verlieren ſie an Kraft der Selbſtfort-
pflanzung. Ob es bei Thieren und Menſchen, (die groͤßere
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/95>, abgerufen am 21.11.2024.
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