die man aus Einem solchen Principium oder gar nur aus ei- nem Theil desselben, der Erschlaffung, der Ausdünstung z. E. auf ganze Völker und Weltgegenden, ja auf die feinsten Verrichtungen des menschlichen Geistes und die zufälligsten Einrichtungen der Gesellschaft machen wollte; je scharfsinni- ger und systematischer der Kopf ist, der diese Folgerungen durchdenkt und reihet, desto gewagter sind sie. Sie werden beinah Schritt vor Schritt durch Beyspiele aus der Geschich- te oder selbst durch physiologische Gründe widerlegt; weil immer zuviel und zum Theil gegenseitige Kräfte neben einan- der wirken. Selbst dem großen Montesquieu hat man den Vorwurf gemacht, daß er seinen klimatischen Geist der Ge- setze auf das trügliche Experiment einer Schöps-Zunge ge- bauet habe. -- Freilich sind wir ein bildsamer Thon in der Hand des Klima; aber die Finger desselben bilden so man- nichfalt, auch sind die Gesetze, die ihm entgegen wirken so vielfach, daß vielleicht nur der Genius des Menschenge- schlechts das Verhältniß aller dieser Kräfte in eine Gleichung zu bringen vermöchte.
Nicht Hitze und Kälte ists allein, was aus der Luft auf uns wirket; vielmehr ist sie nach den neuern Bemerkungen ein großes Vorrathshaus andrer Kräfte, die schädlich und
günstig
die man aus Einem ſolchen Principium oder gar nur aus ei- nem Theil deſſelben, der Erſchlaffung, der Ausduͤnſtung z. E. auf ganze Voͤlker und Weltgegenden, ja auf die feinſten Verrichtungen des menſchlichen Geiſtes und die zufaͤlligſten Einrichtungen der Geſellſchaft machen wollte; je ſcharfſinni- ger und ſyſtematiſcher der Kopf iſt, der dieſe Folgerungen durchdenkt und reihet, deſto gewagter ſind ſie. Sie werden beinah Schritt vor Schritt durch Beyſpiele aus der Geſchich- te oder ſelbſt durch phyſiologiſche Gruͤnde widerlegt; weil immer zuviel und zum Theil gegenſeitige Kraͤfte neben einan- der wirken. Selbſt dem großen Montesquieu hat man den Vorwurf gemacht, daß er ſeinen klimatiſchen Geiſt der Ge- ſetze auf das truͤgliche Experiment einer Schoͤps-Zunge ge- bauet habe. — Freilich ſind wir ein bildſamer Thon in der Hand des Klima; aber die Finger deſſelben bilden ſo man- nichfalt, auch ſind die Geſetze, die ihm entgegen wirken ſo vielfach, daß vielleicht nur der Genius des Menſchenge- ſchlechts das Verhaͤltniß aller dieſer Kraͤfte in eine Gleichung zu bringen vermoͤchte.
Nicht Hitze und Kaͤlte iſts allein, was aus der Luft auf uns wirket; vielmehr iſt ſie nach den neuern Bemerkungen ein großes Vorrathshaus andrer Kraͤfte, die ſchaͤdlich und
guͤnſtig
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0108"n="96"/>
die man aus Einem ſolchen Principium oder gar nur aus ei-<lb/>
nem Theil deſſelben, der Erſchlaffung, der Ausduͤnſtung z. E.<lb/>
auf ganze Voͤlker und Weltgegenden, ja auf die feinſten<lb/>
Verrichtungen des menſchlichen Geiſtes und die zufaͤlligſten<lb/>
Einrichtungen der Geſellſchaft machen wollte; je ſcharfſinni-<lb/>
ger und ſyſtematiſcher der Kopf iſt, der dieſe Folgerungen<lb/>
durchdenkt und reihet, deſto gewagter ſind ſie. Sie werden<lb/>
beinah Schritt vor Schritt durch Beyſpiele aus der Geſchich-<lb/>
te oder ſelbſt durch phyſiologiſche Gruͤnde widerlegt; weil<lb/>
immer zuviel und zum Theil gegenſeitige Kraͤfte neben einan-<lb/>
der wirken. Selbſt dem großen <hirendition="#fr">Montesquieu</hi> hat man den<lb/>
Vorwurf gemacht, daß er ſeinen klimatiſchen Geiſt der Ge-<lb/>ſetze auf das truͤgliche Experiment einer Schoͤps-Zunge ge-<lb/>
bauet habe. — Freilich ſind wir ein bildſamer Thon in der<lb/>
Hand des Klima; aber die Finger deſſelben bilden ſo man-<lb/>
nichfalt, auch ſind die Geſetze, die ihm entgegen wirken ſo<lb/>
vielfach, daß vielleicht nur der Genius des Menſchenge-<lb/>ſchlechts das Verhaͤltniß aller dieſer Kraͤfte in eine Gleichung<lb/>
zu bringen vermoͤchte.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Nicht Hitze und Kaͤlte iſts allein, was aus der Luft auf<lb/>
uns wirket; vielmehr iſt ſie nach den neuern Bemerkungen<lb/>
ein großes Vorrathshaus andrer Kraͤfte, die ſchaͤdlich und<lb/><fwplace="bottom"type="catch">guͤnſtig</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[96/0108]
die man aus Einem ſolchen Principium oder gar nur aus ei-
nem Theil deſſelben, der Erſchlaffung, der Ausduͤnſtung z. E.
auf ganze Voͤlker und Weltgegenden, ja auf die feinſten
Verrichtungen des menſchlichen Geiſtes und die zufaͤlligſten
Einrichtungen der Geſellſchaft machen wollte; je ſcharfſinni-
ger und ſyſtematiſcher der Kopf iſt, der dieſe Folgerungen
durchdenkt und reihet, deſto gewagter ſind ſie. Sie werden
beinah Schritt vor Schritt durch Beyſpiele aus der Geſchich-
te oder ſelbſt durch phyſiologiſche Gruͤnde widerlegt; weil
immer zuviel und zum Theil gegenſeitige Kraͤfte neben einan-
der wirken. Selbſt dem großen Montesquieu hat man den
Vorwurf gemacht, daß er ſeinen klimatiſchen Geiſt der Ge-
ſetze auf das truͤgliche Experiment einer Schoͤps-Zunge ge-
bauet habe. — Freilich ſind wir ein bildſamer Thon in der
Hand des Klima; aber die Finger deſſelben bilden ſo man-
nichfalt, auch ſind die Geſetze, die ihm entgegen wirken ſo
vielfach, daß vielleicht nur der Genius des Menſchenge-
ſchlechts das Verhaͤltniß aller dieſer Kraͤfte in eine Gleichung
zu bringen vermoͤchte.
Nicht Hitze und Kaͤlte iſts allein, was aus der Luft auf
uns wirket; vielmehr iſt ſie nach den neuern Bemerkungen
ein großes Vorrathshaus andrer Kraͤfte, die ſchaͤdlich und
guͤnſtig
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/108>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.