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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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"Die Grönländer haben es gern, sagt der ehrliche Cranz
a), wenn man ihnen etwas von Europa erzählet; sie könnten
aber davon nichts begreifen, wenn man es ihnen nicht Gleich-
nißweise deutlich machte. "Die Stadt oder das Land z. E.
hat so viel Einwohner, daß viele Wallfische auf Einen Tag
kaum zur Nahrung hinreichen würden: man ißt aber keine
Wallfische, sondern Brod, das wie Gras aus der Erde wächst,
auch das Fleisch der Thiere, die Hörner haben und läßt sich
durch große, starke Thiere auf ihrem Rücken tragen oder auf
einem hölzernen Gestell ziehen. Da nennen sie denn das
Brod Gras, die Ochsen Rennthiere und die Pferde große
Hunde, bewundern alles und bezeigen Lust, in einem so schö-
nen, fruchtbaren Lande zu wohnen; bis sie hören, daß es da
oft donnert und keine Seehunde giebt. -- Sie hören auch
gern von Gott und göttlichen Dingen, so lange man ihnen ihre
abergläubischen Fabeln auch gelten läßt." Wir wollen nach
eben diesem Cranzb) einen kleinen Katechismus ihrer theolo-
gischen Naturlehre machen, wie sie auch bei Europäischen
Fragen nicht anders als in ihrem Gesichtskreise antworten
und denken.

Frage. Wer hat wohl Himmel und Erde und alles
was ihr seht, geschaffen?

Ant-
a) Geschichte von Grönland S. 225.
b) Abschnitt V. VI.

„Die Groͤnlaͤnder haben es gern, ſagt der ehrliche Cranz
a), wenn man ihnen etwas von Europa erzaͤhlet; ſie koͤnnten
aber davon nichts begreifen, wenn man es ihnen nicht Gleich-
nißweiſe deutlich machte. „Die Stadt oder das Land z. E.
hat ſo viel Einwohner, daß viele Wallfiſche auf Einen Tag
kaum zur Nahrung hinreichen wuͤrden: man ißt aber keine
Wallfiſche, ſondern Brod, das wie Gras aus der Erde waͤchſt,
auch das Fleiſch der Thiere, die Hoͤrner haben und laͤßt ſich
durch große, ſtarke Thiere auf ihrem Ruͤcken tragen oder auf
einem hoͤlzernen Geſtell ziehen. Da nennen ſie denn das
Brod Gras, die Ochſen Rennthiere und die Pferde große
Hunde, bewundern alles und bezeigen Luſt, in einem ſo ſchoͤ-
nen, fruchtbaren Lande zu wohnen; bis ſie hoͤren, daß es da
oft donnert und keine Seehunde giebt. — Sie hoͤren auch
gern von Gott und goͤttlichen Dingen, ſo lange man ihnen ihre
aberglaͤubiſchen Fabeln auch gelten laͤßt.„ Wir wollen nach
eben dieſem Cranzb) einen kleinen Katechiſmus ihrer theolo-
giſchen Naturlehre machen, wie ſie auch bei Europaͤiſchen
Fragen nicht anders als in ihrem Geſichtskreiſe antworten
und denken.

Frage. Wer hat wohl Himmel und Erde und alles
was ihr ſeht, geſchaffen?

Ant-
a) Geſchichte von Groͤnland S. 225.
b) Abſchnitt V. VI.
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[143/0155] „Die Groͤnlaͤnder haben es gern, ſagt der ehrliche Cranz a), wenn man ihnen etwas von Europa erzaͤhlet; ſie koͤnnten aber davon nichts begreifen, wenn man es ihnen nicht Gleich- nißweiſe deutlich machte. „Die Stadt oder das Land z. E. hat ſo viel Einwohner, daß viele Wallfiſche auf Einen Tag kaum zur Nahrung hinreichen wuͤrden: man ißt aber keine Wallfiſche, ſondern Brod, das wie Gras aus der Erde waͤchſt, auch das Fleiſch der Thiere, die Hoͤrner haben und laͤßt ſich durch große, ſtarke Thiere auf ihrem Ruͤcken tragen oder auf einem hoͤlzernen Geſtell ziehen. Da nennen ſie denn das Brod Gras, die Ochſen Rennthiere und die Pferde große Hunde, bewundern alles und bezeigen Luſt, in einem ſo ſchoͤ- nen, fruchtbaren Lande zu wohnen; bis ſie hoͤren, daß es da oft donnert und keine Seehunde giebt. — Sie hoͤren auch gern von Gott und goͤttlichen Dingen, ſo lange man ihnen ihre aberglaͤubiſchen Fabeln auch gelten laͤßt.„ Wir wollen nach eben dieſem Cranz b) einen kleinen Katechiſmus ihrer theolo- giſchen Naturlehre machen, wie ſie auch bei Europaͤiſchen Fragen nicht anders als in ihrem Geſichtskreiſe antworten und denken. Frage. Wer hat wohl Himmel und Erde und alles was ihr ſeht, geſchaffen? Ant- a) Geſchichte von Groͤnland S. 225. b) Abſchnitt V. VI.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/155>, abgerufen am 22.12.2024.