zu Spies und Pfeilen; wie die Gestalt des Fisches zu seinem künstlich schwimmenden Boot. Von der Schlange lernte er die schädliche Kunst, seine Waffen zu vergiften; und die son- derbar-weit verbreitete Gewohnheit, den Körper zu mahlen, war ebenfalls nach dem Vorbilde der Thiere und Vögel. Wie? dachte er, diese sollten so schön geziert, so unterschieden geschmückt seyn: und ich müßte mit einförmiger, blasser Farbe umher- gehn, da mein Himmel und meine Trägheit keine Decken lei- det? Und so fing er an, sich symmetrisch zu sticken und zu mahlen: selbst bekleidete Nationen wollten dem Ochsen sein Horn, dem Vogel den Kamm, dem Bären den Schwanz nicht gönnen und ahmten sie nach. Dankbar rühmen es die Nord- Amerikaner, daß ein Vogel ihnen den Maiz gebracht; und die meisten klimatischen Arzneien sind offenbar den Thieren ab- gelernet. Allerdings gehörte zu diesem Allen der sinnliche Geist freier Naturmenschen, die mit diesen Geschöpfen lebend, sich noch nicht so unendlich-erhaben über sie glaubten. Den Europäern ward es schwer, in andern Welttheilen nur aufzu- finden, was die Eingebohrnen täglich nützten; nach langen Versuchen mußten sie doch von Jenen das Geheimniß erst er- zwingen oder erbetteln.
Ungleich weiter aber kam der Mensch dadurch, daß er Thiere zu sich lockte und sie endlich unterjochte; der ungeheure
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zu Spies und Pfeilen; wie die Geſtalt des Fiſches zu ſeinem kuͤnſtlich ſchwimmenden Boot. Von der Schlange lernte er die ſchaͤdliche Kunſt, ſeine Waffen zu vergiften; und die ſon- derbar-weit verbreitete Gewohnheit, den Koͤrper zu mahlen, war ebenfalls nach dem Vorbilde der Thiere und Voͤgel. Wie? dachte er, dieſe ſollten ſo ſchoͤn geziert, ſo unterſchieden geſchmuͤckt ſeyn: und ich muͤßte mit einfoͤrmiger, blaſſer Farbe umher- gehn, da mein Himmel und meine Traͤgheit keine Decken lei- det? Und ſo fing er an, ſich ſymmetriſch zu ſticken und zu mahlen: ſelbſt bekleidete Nationen wollten dem Ochſen ſein Horn, dem Vogel den Kamm, dem Baͤren den Schwanz nicht goͤnnen und ahmten ſie nach. Dankbar ruͤhmen es die Nord- Amerikaner, daß ein Vogel ihnen den Maiz gebracht; und die meiſten klimatiſchen Arzneien ſind offenbar den Thieren ab- gelernet. Allerdings gehoͤrte zu dieſem Allen der ſinnliche Geiſt freier Naturmenſchen, die mit dieſen Geſchoͤpfen lebend, ſich noch nicht ſo unendlich-erhaben uͤber ſie glaubten. Den Europaͤern ward es ſchwer, in andern Welttheilen nur aufzu- finden, was die Eingebohrnen taͤglich nuͤtzten; nach langen Verſuchen mußten ſie doch von Jenen das Geheimniß erſt er- zwingen oder erbetteln.
Ungleich weiter aber kam der Menſch dadurch, daß er Thiere zu ſich lockte und ſie endlich unterjochte; der ungeheure
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zu Spies und Pfeilen; wie die Geſtalt des Fiſches zu ſeinem
kuͤnſtlich ſchwimmenden Boot. Von der Schlange lernte er
die ſchaͤdliche Kunſt, ſeine Waffen zu vergiften; und die ſon-
derbar-weit verbreitete Gewohnheit, den Koͤrper zu mahlen,
war ebenfalls nach dem Vorbilde der Thiere und Voͤgel. Wie?
dachte er, dieſe ſollten ſo ſchoͤn geziert, ſo unterſchieden geſchmuͤckt
ſeyn: und ich muͤßte mit einfoͤrmiger, blaſſer Farbe umher-
gehn, da mein Himmel und meine Traͤgheit keine Decken lei-
det? Und ſo fing er an, ſich ſymmetriſch zu ſticken und zu
mahlen: ſelbſt bekleidete Nationen wollten dem Ochſen ſein
Horn, dem Vogel den Kamm, dem Baͤren den Schwanz nicht
goͤnnen und ahmten ſie nach. Dankbar ruͤhmen es die Nord-
Amerikaner, daß ein Vogel ihnen den Maiz gebracht; und
die meiſten klimatiſchen Arzneien ſind offenbar den Thieren ab-
gelernet. Allerdings gehoͤrte zu dieſem Allen der ſinnliche
Geiſt freier Naturmenſchen, die mit dieſen Geſchoͤpfen lebend,
ſich noch nicht ſo unendlich-erhaben uͤber ſie glaubten. Den
Europaͤern ward es ſchwer, in andern Welttheilen nur aufzu-
finden, was die Eingebohrnen taͤglich nuͤtzten; nach langen
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/176>, abgerufen am 22.12.2024.
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