len wollte. Fürs Menschengeschlecht war dieser Schritt von großer Folge. Nicht nur, daß die Eifersucht des Mannes seine mehreren Weiber in einen Harem schloß, wo ihre Aus- bildung mit dem männlichen Geschlecht unmöglich gleich fort- gehen konnte; sondern da die Erziehung des Weibes von Kind- heit auf für den Harem und die Gesellschaft mehrerer Weiber eingerichtet, ja das junge Kind oft schon im zweiten Jahr ver- kauft oder vermählt ward: wie anders, als daß der ganze Um- gang des Mannes, die Einrichtung des Hauses, die Erzie- hung der Kinder, endlich auch die Fruchtbarkeit selbst mit der Zeit an diesem Misverhältniß theilnehmen mußte? Es ist nämlich gnugsam erwiesen, daß eine zu frühe Heirath des Weibes und ein zu starker Reiz des Mannes weder der Tüch- tigkeit der Gestalten noch der Fruchtbarkeit des Geschlechts förderlich sei; ja die Nachrichten mehrerer Reisenden machen es wahrscheinlich, daß in manchen dieser Gegenden wirklich meh- rere Töchter als Söhne gebohren werden: welches, wenn die Sache gegründet ist, sowohl eine Folge der Polygamie seyn kann, als es wiederum eine fortwirkende Ursache derselben wur- de. Und gewiß ist dies nicht der einzige Fall, da die Kunst und die gereizte Ueppigkeit der Menschen die Natur aus ihrem Wege geleitet hätte: denn diese hält sonst ein ziemliches Gleich- maas in den Geburten beider Geschlechter. Wie aber das Weib die zarteste Sproße unsrer Erde und die Liebe das mächtigste Mo-
bil
Z 2
len wollte. Fuͤrs Menſchengeſchlecht war dieſer Schritt von großer Folge. Nicht nur, daß die Eiferſucht des Mannes ſeine mehreren Weiber in einen Harem ſchloß, wo ihre Aus- bildung mit dem maͤnnlichen Geſchlecht unmoͤglich gleich fort- gehen konnte; ſondern da die Erziehung des Weibes von Kind- heit auf fuͤr den Harem und die Geſellſchaft mehrerer Weiber eingerichtet, ja das junge Kind oft ſchon im zweiten Jahr ver- kauft oder vermaͤhlt ward: wie anders, als daß der ganze Um- gang des Mannes, die Einrichtung des Hauſes, die Erzie- hung der Kinder, endlich auch die Fruchtbarkeit ſelbſt mit der Zeit an dieſem Misverhaͤltniß theilnehmen mußte? Es iſt naͤmlich gnugſam erwieſen, daß eine zu fruͤhe Heirath des Weibes und ein zu ſtarker Reiz des Mannes weder der Tuͤch- tigkeit der Geſtalten noch der Fruchtbarkeit des Geſchlechts foͤrderlich ſei; ja die Nachrichten mehrerer Reiſenden machen es wahrſcheinlich, daß in manchen dieſer Gegenden wirklich meh- rere Toͤchter als Soͤhne gebohren werden: welches, wenn die Sache gegruͤndet iſt, ſowohl eine Folge der Polygamie ſeyn kann, als es wiederum eine fortwirkende Urſache derſelben wur- de. Und gewiß iſt dies nicht der einzige Fall, da die Kunſt und die gereizte Ueppigkeit der Menſchen die Natur aus ihrem Wege geleitet haͤtte: denn dieſe haͤlt ſonſt ein ziemliches Gleich- maas in den Geburten beider Geſchlechter. Wie aber das Weib die zarteſte Sproße unſrer Erde und die Liebe das maͤchtigſte Mo-
bil
Z 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0191"n="179"/><lb/>
len wollte. Fuͤrs Menſchengeſchlecht war dieſer Schritt von<lb/>
großer Folge. Nicht nur, daß die Eiferſucht des Mannes<lb/>ſeine mehreren Weiber in einen Harem ſchloß, wo ihre Aus-<lb/>
bildung mit dem maͤnnlichen Geſchlecht unmoͤglich gleich fort-<lb/>
gehen konnte; ſondern da die Erziehung des Weibes von Kind-<lb/>
heit auf fuͤr den Harem und die Geſellſchaft mehrerer Weiber<lb/>
eingerichtet, ja das junge Kind oft ſchon im zweiten Jahr ver-<lb/>
kauft oder vermaͤhlt ward: wie anders, als daß der ganze Um-<lb/>
gang des Mannes, die Einrichtung des Hauſes, die Erzie-<lb/>
hung der Kinder, endlich auch die Fruchtbarkeit ſelbſt mit der<lb/>
Zeit an dieſem Misverhaͤltniß theilnehmen mußte? Es iſt<lb/>
naͤmlich gnugſam erwieſen, daß eine zu fruͤhe Heirath des<lb/>
Weibes und ein zu ſtarker Reiz des Mannes weder der Tuͤch-<lb/>
tigkeit der Geſtalten noch der Fruchtbarkeit des Geſchlechts<lb/>
foͤrderlich ſei; ja die Nachrichten mehrerer Reiſenden machen<lb/>
es wahrſcheinlich, daß in manchen dieſer Gegenden wirklich meh-<lb/>
rere Toͤchter als Soͤhne gebohren werden: welches, wenn die<lb/>
Sache gegruͤndet iſt, ſowohl eine Folge der Polygamie ſeyn<lb/>
kann, als es wiederum eine fortwirkende Urſache derſelben wur-<lb/>
de. Und gewiß iſt dies nicht der einzige Fall, da die Kunſt<lb/>
und die gereizte Ueppigkeit der Menſchen die Natur aus ihrem<lb/>
Wege geleitet haͤtte: denn dieſe haͤlt ſonſt ein ziemliches Gleich-<lb/>
maas in den Geburten beider Geſchlechter. Wie aber das Weib<lb/>
die zarteſte Sproße unſrer Erde und die Liebe das maͤchtigſte Mo-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Z 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">bil</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[179/0191]
len wollte. Fuͤrs Menſchengeſchlecht war dieſer Schritt von
großer Folge. Nicht nur, daß die Eiferſucht des Mannes
ſeine mehreren Weiber in einen Harem ſchloß, wo ihre Aus-
bildung mit dem maͤnnlichen Geſchlecht unmoͤglich gleich fort-
gehen konnte; ſondern da die Erziehung des Weibes von Kind-
heit auf fuͤr den Harem und die Geſellſchaft mehrerer Weiber
eingerichtet, ja das junge Kind oft ſchon im zweiten Jahr ver-
kauft oder vermaͤhlt ward: wie anders, als daß der ganze Um-
gang des Mannes, die Einrichtung des Hauſes, die Erzie-
hung der Kinder, endlich auch die Fruchtbarkeit ſelbſt mit der
Zeit an dieſem Misverhaͤltniß theilnehmen mußte? Es iſt
naͤmlich gnugſam erwieſen, daß eine zu fruͤhe Heirath des
Weibes und ein zu ſtarker Reiz des Mannes weder der Tuͤch-
tigkeit der Geſtalten noch der Fruchtbarkeit des Geſchlechts
foͤrderlich ſei; ja die Nachrichten mehrerer Reiſenden machen
es wahrſcheinlich, daß in manchen dieſer Gegenden wirklich meh-
rere Toͤchter als Soͤhne gebohren werden: welches, wenn die
Sache gegruͤndet iſt, ſowohl eine Folge der Polygamie ſeyn
kann, als es wiederum eine fortwirkende Urſache derſelben wur-
de. Und gewiß iſt dies nicht der einzige Fall, da die Kunſt
und die gereizte Ueppigkeit der Menſchen die Natur aus ihrem
Wege geleitet haͤtte: denn dieſe haͤlt ſonſt ein ziemliches Gleich-
maas in den Geburten beider Geſchlechter. Wie aber das Weib
die zarteſte Sproße unſrer Erde und die Liebe das maͤchtigſte Mo-
bil
Z 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/191>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.