Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

unter den wildesten Völkern unterscheidet sich das Weib vom
Mann durch eine zärtere Gefälligkeit, durch Liebe zum Schmuck
und zur Schönheit; auch da noch sind diese Eigenschaften
kennbar, wo die Nation mit dem Klima und dem schnödesten
Mangel kämpfet. Ueberall schmückt sich das Weib, wie we-
nigen Putz es auch hie und da sich zu schmücken habe: so
bringet im ersten Frühling die Lebenreiche Erde wenigstens
einige Geruchlose Blümchen hervor, Vorboten, was sie in an-
dern Jahrszeiten zu thun vermöchte. -- -- Reinlichkeit ist
eine andre Weibertugend, dazu sie ihre Natur zwingt und der
Trieb zu gefallen reizet. Die Anstalten, ja die oft übertrieb-
nen Gesetze und Gebräuche, wodurch alle gesunde Nationen
die Krankheiten der Weiber absonderten und unschädlich mach-
ten, beschämen manche cultivirte Völker. Sie wußten und
wissen also auch nichts von einem großen Theil der Schwach-
heiten, die bei uns sowohl eine Folge als eine neue Ursache
jener tiefer Versunkenheit sind, die eine üppige, kranke Weib-
lichkeit auf eine elende Nachkommenschaft fortbreitet. -- Noch
eines größern Ruhmes ist die sanfte Duldung, die unver-
drossene Geschäftigkeit werth, in der sich ohne den Mißbrauch
der Cultur, das zarte Geschlecht überall auf der Erde auszeich-
net. Mit Gelaßenheit trägt es das Joch, das ihm die rohe
Uebermacht der Männer, ihre Liebe zum Müßiggange und zur
Trägheit, endlich auch die Ausschweifungen seiner Vorfahren

selbst

unter den wildeſten Voͤlkern unterſcheidet ſich das Weib vom
Mann durch eine zaͤrtere Gefaͤlligkeit, durch Liebe zum Schmuck
und zur Schoͤnheit; auch da noch ſind dieſe Eigenſchaften
kennbar, wo die Nation mit dem Klima und dem ſchnoͤdeſten
Mangel kaͤmpfet. Ueberall ſchmuͤckt ſich das Weib, wie we-
nigen Putz es auch hie und da ſich zu ſchmuͤcken habe: ſo
bringet im erſten Fruͤhling die Lebenreiche Erde wenigſtens
einige Geruchloſe Bluͤmchen hervor, Vorboten, was ſie in an-
dern Jahrszeiten zu thun vermoͤchte. — — Reinlichkeit iſt
eine andre Weibertugend, dazu ſie ihre Natur zwingt und der
Trieb zu gefallen reizet. Die Anſtalten, ja die oft uͤbertrieb-
nen Geſetze und Gebraͤuche, wodurch alle geſunde Nationen
die Krankheiten der Weiber abſonderten und unſchaͤdlich mach-
ten, beſchaͤmen manche cultivirte Voͤlker. Sie wußten und
wiſſen alſo auch nichts von einem großen Theil der Schwach-
heiten, die bei uns ſowohl eine Folge als eine neue Urſache
jener tiefer Verſunkenheit ſind, die eine uͤppige, kranke Weib-
lichkeit auf eine elende Nachkommenſchaft fortbreitet. — Noch
eines groͤßern Ruhmes iſt die ſanfte Duldung, die unver-
droſſene Geſchaͤftigkeit werth, in der ſich ohne den Mißbrauch
der Cultur, das zarte Geſchlecht uͤberall auf der Erde auszeich-
net. Mit Gelaßenheit traͤgt es das Joch, das ihm die rohe
Uebermacht der Maͤnner, ihre Liebe zum Muͤßiggange und zur
Traͤgheit, endlich auch die Ausſchweifungen ſeiner Vorfahren

ſelbſt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0196" n="184"/>
unter den wilde&#x017F;ten Vo&#x0364;lkern unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich das Weib vom<lb/>
Mann durch eine za&#x0364;rtere Gefa&#x0364;lligkeit, durch Liebe zum Schmuck<lb/>
und zur Scho&#x0364;nheit; auch da noch &#x017F;ind die&#x017F;e Eigen&#x017F;chaften<lb/>
kennbar, wo die Nation mit dem Klima und dem &#x017F;chno&#x0364;de&#x017F;ten<lb/>
Mangel ka&#x0364;mpfet. Ueberall &#x017F;chmu&#x0364;ckt &#x017F;ich das Weib, wie we-<lb/>
nigen Putz es auch hie und da &#x017F;ich zu &#x017F;chmu&#x0364;cken habe: &#x017F;o<lb/>
bringet im er&#x017F;ten Fru&#x0364;hling die Lebenreiche Erde wenig&#x017F;tens<lb/>
einige Geruchlo&#x017F;e Blu&#x0364;mchen hervor, Vorboten, was &#x017F;ie in an-<lb/>
dern Jahrszeiten zu thun vermo&#x0364;chte. &#x2014; &#x2014; Reinlichkeit i&#x017F;t<lb/>
eine andre Weibertugend, dazu &#x017F;ie ihre Natur zwingt und der<lb/>
Trieb zu gefallen reizet. Die An&#x017F;talten, ja die oft u&#x0364;bertrieb-<lb/>
nen Ge&#x017F;etze und Gebra&#x0364;uche, wodurch alle ge&#x017F;unde Nationen<lb/>
die Krankheiten der Weiber ab&#x017F;onderten und un&#x017F;cha&#x0364;dlich mach-<lb/>
ten, be&#x017F;cha&#x0364;men manche cultivirte Vo&#x0364;lker. Sie wußten und<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en al&#x017F;o auch nichts von einem großen Theil der Schwach-<lb/>
heiten, die bei uns &#x017F;owohl eine Folge als eine neue Ur&#x017F;ache<lb/>
jener tiefer Ver&#x017F;unkenheit &#x017F;ind, die eine u&#x0364;ppige, kranke Weib-<lb/>
lichkeit auf eine elende Nachkommen&#x017F;chaft fortbreitet. &#x2014; Noch<lb/>
eines gro&#x0364;ßern Ruhmes i&#x017F;t die &#x017F;anfte Duldung, die unver-<lb/>
dro&#x017F;&#x017F;ene Ge&#x017F;cha&#x0364;ftigkeit werth, in der &#x017F;ich ohne den Mißbrauch<lb/>
der Cultur, das zarte Ge&#x017F;chlecht u&#x0364;berall auf der Erde auszeich-<lb/>
net. Mit Gelaßenheit tra&#x0364;gt es das Joch, das ihm die rohe<lb/>
Uebermacht der Ma&#x0364;nner, ihre Liebe zum Mu&#x0364;ßiggange und zur<lb/>
Tra&#x0364;gheit, endlich auch die Aus&#x017F;chweifungen &#x017F;einer Vorfahren<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;elb&#x017F;t</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0196] unter den wildeſten Voͤlkern unterſcheidet ſich das Weib vom Mann durch eine zaͤrtere Gefaͤlligkeit, durch Liebe zum Schmuck und zur Schoͤnheit; auch da noch ſind dieſe Eigenſchaften kennbar, wo die Nation mit dem Klima und dem ſchnoͤdeſten Mangel kaͤmpfet. Ueberall ſchmuͤckt ſich das Weib, wie we- nigen Putz es auch hie und da ſich zu ſchmuͤcken habe: ſo bringet im erſten Fruͤhling die Lebenreiche Erde wenigſtens einige Geruchloſe Bluͤmchen hervor, Vorboten, was ſie in an- dern Jahrszeiten zu thun vermoͤchte. — — Reinlichkeit iſt eine andre Weibertugend, dazu ſie ihre Natur zwingt und der Trieb zu gefallen reizet. Die Anſtalten, ja die oft uͤbertrieb- nen Geſetze und Gebraͤuche, wodurch alle geſunde Nationen die Krankheiten der Weiber abſonderten und unſchaͤdlich mach- ten, beſchaͤmen manche cultivirte Voͤlker. Sie wußten und wiſſen alſo auch nichts von einem großen Theil der Schwach- heiten, die bei uns ſowohl eine Folge als eine neue Urſache jener tiefer Verſunkenheit ſind, die eine uͤppige, kranke Weib- lichkeit auf eine elende Nachkommenſchaft fortbreitet. — Noch eines groͤßern Ruhmes iſt die ſanfte Duldung, die unver- droſſene Geſchaͤftigkeit werth, in der ſich ohne den Mißbrauch der Cultur, das zarte Geſchlecht uͤberall auf der Erde auszeich- net. Mit Gelaßenheit traͤgt es das Joch, das ihm die rohe Uebermacht der Maͤnner, ihre Liebe zum Muͤßiggange und zur Traͤgheit, endlich auch die Ausſchweifungen ſeiner Vorfahren ſelbſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/196
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/196>, abgerufen am 22.12.2024.