fähig sei, ja wo irgend der Maasstab zu ihr liege? dies lasset uns jetzo erwägen.
V. Die Glückseligkeit der Menschen ist allenthalben ein individuelles Gut; folglich allenthalben klimatisch und organisch, ein Kind der Ue- bung, der Tradition und Gewohnheit.
Schon der Name Glückseligkeit deutet an, daß der Mensch keiner reinen Seligkeit fähig sei, noch sich dieselbe erschaffen möge; er selbst ist ein Sohn des Glücks, das ihn hie oder da- hin setzte und nach dem Lande, der Zeit, der Organisation, den Umständen, in welchen er lebt, auch die Fähigkeit seines Ge- nußes, die Art und das Maas seiner Freuden und Leiden be- stimmt hat. Unsinnig-stolz wäre die Anmaaßung, daß die Bewohner aller Welttheile Europäer seyn müßten, um glück- lich zu leben: denn wären wir selbst, was wir sind, außer Eu- ropa worden? Der nun uns hieher setzte, setzte jene dorthin und gab ihnen dasselbe Recht zum Genuß des irrdischen Le- bens. Da Glückseligkeit ein innerer Zustand ist: so liegt das Maas und die Bestimmung derselben nicht außer, sondern
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faͤhig ſei, ja wo irgend der Maasſtab zu ihr liege? dies laſſet uns jetzo erwaͤgen.
V. Die Gluͤckſeligkeit der Menſchen iſt allenthalben ein individuelles Gut; folglich allenthalben klimatiſch und organiſch, ein Kind der Ue- bung, der Tradition und Gewohnheit.
Schon der Name Gluͤckſeligkeit deutet an, daß der Menſch keiner reinen Seligkeit faͤhig ſei, noch ſich dieſelbe erſchaffen moͤge; er ſelbſt iſt ein Sohn des Gluͤcks, das ihn hie oder da- hin ſetzte und nach dem Lande, der Zeit, der Organiſation, den Umſtaͤnden, in welchen er lebt, auch die Faͤhigkeit ſeines Ge- nußes, die Art und das Maas ſeiner Freuden und Leiden be- ſtimmt hat. Unſinnig-ſtolz waͤre die Anmaaßung, daß die Bewohner aller Welttheile Europaͤer ſeyn muͤßten, um gluͤck- lich zu leben: denn waͤren wir ſelbſt, was wir ſind, außer Eu- ropa worden? Der nun uns hieher ſetzte, ſetzte jene dorthin und gab ihnen daſſelbe Recht zum Genuß des irrdiſchen Le- bens. Da Gluͤckſeligkeit ein innerer Zuſtand iſt: ſo liegt das Maas und die Beſtimmung derſelben nicht außer, ſondern
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faͤhig ſei, ja wo irgend der Maasſtab zu ihr liege? dies laſſet
uns jetzo erwaͤgen.
V.
Die Gluͤckſeligkeit der Menſchen iſt allenthalben
ein individuelles Gut; folglich allenthalben
klimatiſch und organiſch, ein Kind der Ue-
bung, der Tradition und Gewohnheit.
Schon der Name Gluͤckſeligkeit deutet an, daß der Menſch
keiner reinen Seligkeit faͤhig ſei, noch ſich dieſelbe erſchaffen
moͤge; er ſelbſt iſt ein Sohn des Gluͤcks, das ihn hie oder da-
hin ſetzte und nach dem Lande, der Zeit, der Organiſation, den
Umſtaͤnden, in welchen er lebt, auch die Faͤhigkeit ſeines Ge-
nußes, die Art und das Maas ſeiner Freuden und Leiden be-
ſtimmt hat. Unſinnig-ſtolz waͤre die Anmaaßung, daß die
Bewohner aller Welttheile Europaͤer ſeyn muͤßten, um gluͤck-
lich zu leben: denn waͤren wir ſelbſt, was wir ſind, außer Eu-
ropa worden? Der nun uns hieher ſetzte, ſetzte jene dorthin
und gab ihnen daſſelbe Recht zum Genuß des irrdiſchen Le-
bens. Da Gluͤckſeligkeit ein innerer Zuſtand iſt: ſo liegt
das Maas und die Beſtimmung derſelben nicht außer, ſondern
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/206>, abgerufen am 16.07.2024.
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