den Menschen zu charakterisiren scheinet. Woher nun diese Bildung? Die gebognen Kniee und Beine finden am ersten ihren Grund, in der Lebensweise des Volkes. Von Kind- heit auf rutschen sie auf ihren Beinen oder hangen auf dem Pferde; in Sitzen oder Reiten theilt sich ihr Leben und die einzige Stellung, die dem menschlichen Fuß seine gerade schö- ne Gestalt giebt, der Gang, ist ihnen, bis auf wenige Schrit- te sogar fremde. Sollte nun nicht auch mehreres von ihrer Lebensart in ihre Bildung übergegangen seyn? Das abste- hende thierische Ohr, das gleichsam immer lauscht und hor- chet, das kleine scharfe Auge, das in der weitesten Ferne den kleinsten Rauch oder Staub gewahr wird, der weiße hervorbläckende, Knochen-benagende Zahn, der dicke Hals und die zurückgebogne Stellung ihres Kopfs auf demselben; sind diese Züge nicht gleichsam zur Bestandheit gediehene Ge- behrden und Charaktere ihrer Lebensweise? Setzen wir nun noch hinzu, daß wie Pallas sagt, ihre Kinder oft bis ins zehnte Jahr im Gesicht unförmlich, aufgedunsen und von einem kakochymischen Ansehen sind, bis sie durch das Aus- wachsen wohlgebildeter werden: bemerken wir, daß große Strecken von ihren Gegenden keinen Regen, wenig oder wenigstens kein reines Wasser haben, und daß ihnen von Kindheit auf das Baden beinah eine ganz fremde Sache werde: denken wir uns die Salzseen, den Salzboden, die
Salz-
den Menſchen zu charakteriſiren ſcheinet. Woher nun dieſe Bildung? Die gebognen Kniee und Beine finden am erſten ihren Grund, in der Lebensweiſe des Volkes. Von Kind- heit auf rutſchen ſie auf ihren Beinen oder hangen auf dem Pferde; in Sitzen oder Reiten theilt ſich ihr Leben und die einzige Stellung, die dem menſchlichen Fuß ſeine gerade ſchoͤ- ne Geſtalt giebt, der Gang, iſt ihnen, bis auf wenige Schrit- te ſogar fremde. Sollte nun nicht auch mehreres von ihrer Lebensart in ihre Bildung uͤbergegangen ſeyn? Das abſte- hende thieriſche Ohr, das gleichſam immer lauſcht und hor- chet, das kleine ſcharfe Auge, das in der weiteſten Ferne den kleinſten Rauch oder Staub gewahr wird, der weiße hervorblaͤckende, Knochen-benagende Zahn, der dicke Hals und die zuruͤckgebogne Stellung ihres Kopfs auf demſelben; ſind dieſe Zuͤge nicht gleichſam zur Beſtandheit gediehene Ge- behrden und Charaktere ihrer Lebensweiſe? Setzen wir nun noch hinzu, daß wie Pallas ſagt, ihre Kinder oft bis ins zehnte Jahr im Geſicht unfoͤrmlich, aufgedunſen und von einem kakochymiſchen Anſehen ſind, bis ſie durch das Aus- wachſen wohlgebildeter werden: bemerken wir, daß große Strecken von ihren Gegenden keinen Regen, wenig oder wenigſtens kein reines Waſſer haben, und daß ihnen von Kindheit auf das Baden beinah eine ganz fremde Sache werde: denken wir uns die Salzſeen, den Salzboden, die
Salz-
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den Menſchen zu charakteriſiren ſcheinet. Woher nun dieſe
Bildung? Die gebognen Kniee und Beine finden am erſten
ihren Grund, in der Lebensweiſe des Volkes. Von Kind-
heit auf rutſchen ſie auf ihren Beinen oder hangen auf dem
Pferde; in Sitzen oder Reiten theilt ſich ihr Leben und die
einzige Stellung, die dem menſchlichen Fuß ſeine gerade ſchoͤ-
ne Geſtalt giebt, der Gang, iſt ihnen, bis auf wenige Schrit-
te ſogar fremde. Sollte nun nicht auch mehreres von ihrer
Lebensart in ihre Bildung uͤbergegangen ſeyn? Das abſte-
hende thieriſche Ohr, das gleichſam immer lauſcht und hor-
chet, das kleine ſcharfe Auge, das in der weiteſten Ferne
den kleinſten Rauch oder Staub gewahr wird, der weiße
hervorblaͤckende, Knochen-benagende Zahn, der dicke Hals
und die zuruͤckgebogne Stellung ihres Kopfs auf demſelben;
ſind dieſe Zuͤge nicht gleichſam zur Beſtandheit gediehene Ge-
behrden und Charaktere ihrer Lebensweiſe? Setzen wir nun
noch hinzu, daß wie Pallas ſagt, ihre Kinder oft bis ins
zehnte Jahr im Geſicht unfoͤrmlich, aufgedunſen und von
einem kakochymiſchen Anſehen ſind, bis ſie durch das Aus-
wachſen wohlgebildeter werden: bemerken wir, daß große
Strecken von ihren Gegenden keinen Regen, wenig oder
wenigſtens kein reines Waſſer haben, und daß ihnen von
Kindheit auf das Baden beinah eine ganz fremde Sache
werde: denken wir uns die Salzſeen, den Salzboden, die
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/28>, abgerufen am 22.12.2024.
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