sprechen oder auch seiner Bildung, seinem Charakter und Ver- hältniß zu den andern Lebendigen der Erde bestehen möge.
Zuerst ists offenbar der Natur entgegen, daß sie alles Le- bendige in gleicher Anzahl oder auf einmal belebt habe: der Bau der Erde und die innere Beschaffenheit der Geschöpfe selbst macht dies unmöglich. Elephanten und Würmer, Lö- wen und Jnfusionsthiere sind nicht in gleicher Zahl da: sie konnten auch uranfangs ihrem Wesen nach weder in gleichem Verhältniß, noch auf Einmal erschaffen werden. Millionen Muschelgeschöpfe mußten untergehen, ehe auf unserm Erden- fels Gartenbeete zu feinerm Leben wurden: eine Welt von Pflanzen geht jährlich unter, damit sie höheren Wesen das Le- ben nähre. Wenn man also auch von den Endursachen der Schöpfung ganz abstrahiret: so lag es schon im Stoff der Na- tur selbst, daß sie aus Vielem ein Eins machen und durch das kreisende Rad der Schöpfung Zahlloses zerstören mußte, damit sie ein Minderes aber Edleres belebte. So fuhr sie von unten hinauf und indem sie allenthalben gnug des Samens nachließ, Geschlechter die sie dauren lassen wollte, zu erhalten, bahnte sie sich den Weg, zu auserlesneren feinern, höheren Geschlechtern. Sollte der Mensch die Krone der Schöpfung seyn: so konnte er mit dem Fisch oder dem Meerschleim nicht Eine Masse, Einen Tag der Geburt, Einen Ort und Aufenthalt haben. Sein Blut sollte kein
Wasser
ſprechen oder auch ſeiner Bildung, ſeinem Charakter und Ver- haͤltniß zu den andern Lebendigen der Erde beſtehen moͤge.
Zuerſt iſts offenbar der Natur entgegen, daß ſie alles Le- bendige in gleicher Anzahl oder auf einmal belebt habe: der Bau der Erde und die innere Beſchaffenheit der Geſchoͤpfe ſelbſt macht dies unmoͤglich. Elephanten und Wuͤrmer, Loͤ- wen und Jnfuſionsthiere ſind nicht in gleicher Zahl da: ſie konnten auch uranfangs ihrem Weſen nach weder in gleichem Verhaͤltniß, noch auf Einmal erſchaffen werden. Millionen Muſchelgeſchoͤpfe mußten untergehen, ehe auf unſerm Erden- fels Gartenbeete zu feinerm Leben wurden: eine Welt von Pflanzen geht jaͤhrlich unter, damit ſie hoͤheren Weſen das Le- ben naͤhre. Wenn man alſo auch von den Endurſachen der Schoͤpfung ganz abſtrahiret: ſo lag es ſchon im Stoff der Na- tur ſelbſt, daß ſie aus Vielem ein Eins machen und durch das kreiſende Rad der Schoͤpfung Zahlloſes zerſtoͤren mußte, damit ſie ein Minderes aber Edleres belebte. So fuhr ſie von unten hinauf und indem ſie allenthalben gnug des Samens nachließ, Geſchlechter die ſie dauren laſſen wollte, zu erhalten, bahnte ſie ſich den Weg, zu auserleſneren feinern, hoͤheren Geſchlechtern. Sollte der Menſch die Krone der Schoͤpfung ſeyn: ſo konnte er mit dem Fiſch oder dem Meerſchleim nicht Eine Maſſe, Einen Tag der Geburt, Einen Ort und Aufenthalt haben. Sein Blut ſollte kein
Waſſer
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ſprechen oder auch ſeiner Bildung, ſeinem Charakter und Ver-
haͤltniß zu den andern Lebendigen der Erde beſtehen moͤge.
Zuerſt iſts offenbar der Natur entgegen, daß ſie alles Le-
bendige in gleicher Anzahl oder auf einmal belebt habe: der
Bau der Erde und die innere Beſchaffenheit der Geſchoͤpfe
ſelbſt macht dies unmoͤglich. Elephanten und Wuͤrmer, Loͤ-
wen und Jnfuſionsthiere ſind nicht in gleicher Zahl da: ſie
konnten auch uranfangs ihrem Weſen nach weder in gleichem
Verhaͤltniß, noch auf Einmal erſchaffen werden. Millionen
Muſchelgeſchoͤpfe mußten untergehen, ehe auf unſerm Erden-
fels Gartenbeete zu feinerm Leben wurden: eine Welt von
Pflanzen geht jaͤhrlich unter, damit ſie hoͤheren Weſen das Le-
ben naͤhre. Wenn man alſo auch von den Endurſachen der
Schoͤpfung ganz abſtrahiret: ſo lag es ſchon im Stoff der Na-
tur ſelbſt, daß ſie aus Vielem ein Eins machen und durch das
kreiſende Rad der Schoͤpfung Zahlloſes zerſtoͤren mußte, damit
ſie ein Minderes aber Edleres belebte. So fuhr ſie von unten
hinauf und indem ſie allenthalben gnug des Samens nachließ,
Geſchlechter die ſie dauren laſſen wollte, zu erhalten, bahnte ſie ſich
den Weg, zu auserleſneren feinern, hoͤheren Geſchlechtern. Sollte
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/298>, abgerufen am 22.12.2024.
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