scha und Siam sprechen lauter unbiegsam-einsylbige Worte. Wahrscheinlich hat die frühe Regel ihrer Sprach-Cultur und Schrift sie dabei erhalten: denn in dieser Ecke Asiens sind die ältesten Einrichtungen beinah in allem unverändert geblieben. Wollet ihr Sprachen, deren großer fast überfließender Reich- thum auf sehr wenige Wurzeln zusammengeht, so daß sie mit einer sonderbaren Regelmäßigkeit und dem fast kindischen Kunst- werk, durch eine kleine Veränderung des Stammworts einen neuen Begrif zu sagen, Mannichfaltigkeit und Armuth ver- binden: so sehet den Umfang Südasiens von Jndien bis nach Syrien, Arabien und Aethiopien hin. Die Bengalische Sprache hat 700. Wurzeln, gleichsam die Elemente der Ver- nunft, aus denen sie Zeitwörter, Nennwörter und alle andre Redetheile bildet. Die Ebräische und die ihr verwandten Sprachen, so ganz andrer Art sie sind, erregen Erstaunen, wenn man ihren Bau selbst noch in den ältesten Schriften betrachtet. Alle ihre Worte gehen an Wurzeln von drei Buchstaben zu- sammen, die Anfangs vielleicht auch einsylbig waren, nach- her aber, wahrscheinlich durch das ihnen eigne Buchstabenal- phabet frühzeitig in diese Form gebracht wurden und in ihr vermittelst sehr einfacher Zusätze und Biegungen die ganze Sprache bauten. Ein unermeßlicher Reichthum von Begrif- fen geht z. B. in der fortgebildeten Arabischen Sprache an wenige Wurzeln zusammen, so daß das Flickwerk der meisten
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ſcha und Siam ſprechen lauter unbiegſam-einſylbige Worte. Wahrſcheinlich hat die fruͤhe Regel ihrer Sprach-Cultur und Schrift ſie dabei erhalten: denn in dieſer Ecke Aſiens ſind die aͤlteſten Einrichtungen beinah in allem unveraͤndert geblieben. Wollet ihr Sprachen, deren großer faſt uͤberfließender Reich- thum auf ſehr wenige Wurzeln zuſammengeht, ſo daß ſie mit einer ſonderbaren Regelmaͤßigkeit und dem faſt kindiſchen Kunſt- werk, durch eine kleine Veraͤnderung des Stammworts einen neuen Begrif zu ſagen, Mannichfaltigkeit und Armuth ver- binden: ſo ſehet den Umfang Suͤdaſiens von Jndien bis nach Syrien, Arabien und Aethiopien hin. Die Bengaliſche Sprache hat 700. Wurzeln, gleichſam die Elemente der Ver- nunft, aus denen ſie Zeitwoͤrter, Nennwoͤrter und alle andre Redetheile bildet. Die Ebraͤiſche und die ihr verwandten Sprachen, ſo ganz andrer Art ſie ſind, erregen Erſtaunen, wenn man ihren Bau ſelbſt noch in den aͤlteſten Schriften betrachtet. Alle ihre Worte gehen an Wurzeln von drei Buchſtaben zu- ſammen, die Anfangs vielleicht auch einſylbig waren, nach- her aber, wahrſcheinlich durch das ihnen eigne Buchſtabenal- phabet fruͤhzeitig in dieſe Form gebracht wurden und in ihr vermittelſt ſehr einfacher Zuſaͤtze und Biegungen die ganze Sprache bauten. Ein unermeßlicher Reichthum von Begrif- fen geht z. B. in der fortgebildeten Arabiſchen Sprache an wenige Wurzeln zuſammen, ſo daß das Flickwerk der meiſten
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ſcha und Siam ſprechen lauter unbiegſam-einſylbige Worte.
Wahrſcheinlich hat die fruͤhe Regel ihrer Sprach-Cultur und
Schrift ſie dabei erhalten: denn in dieſer Ecke Aſiens ſind die
aͤlteſten Einrichtungen beinah in allem unveraͤndert geblieben.
Wollet ihr Sprachen, deren großer faſt uͤberfließender Reich-
thum auf ſehr wenige Wurzeln zuſammengeht, ſo daß ſie mit
einer ſonderbaren Regelmaͤßigkeit und dem faſt kindiſchen Kunſt-
werk, durch eine kleine Veraͤnderung des Stammworts einen
neuen Begrif zu ſagen, Mannichfaltigkeit und Armuth ver-
binden: ſo ſehet den Umfang Suͤdaſiens von Jndien bis nach
Syrien, Arabien und Aethiopien hin. Die Bengaliſche
Sprache hat 700. Wurzeln, gleichſam die Elemente der Ver-
nunft, aus denen ſie Zeitwoͤrter, Nennwoͤrter und alle andre
Redetheile bildet. Die Ebraͤiſche und die ihr verwandten
Sprachen, ſo ganz andrer Art ſie ſind, erregen Erſtaunen, wenn
man ihren Bau ſelbſt noch in den aͤlteſten Schriften betrachtet.
Alle ihre Worte gehen an Wurzeln von drei Buchſtaben zu-
ſammen, die Anfangs vielleicht auch einſylbig waren, nach-
her aber, wahrſcheinlich durch das ihnen eigne Buchſtabenal-
phabet fruͤhzeitig in dieſe Form gebracht wurden und in ihr
vermittelſt ſehr einfacher Zuſaͤtze und Biegungen die ganze
Sprache bauten. Ein unermeßlicher Reichthum von Begrif-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/308>, abgerufen am 22.12.2024.
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