Tiefer hinab ins schwarze Aegypten wollen wir uns um Traditionen der Urwelt nicht bemühen. Jn den Namen ih- rer ältesten Götter sind unläugbare Reste einer schwesterlichen Tradition mit den Phöniciern: denn die alte Nacht, der Geist, der Weltschöpfer, der Schlamm, worinn die Samen der Dinge lagen, kommen hier wieder. Da aber alles was wir von der ältesten Mythologie Aegyptens wissen, spät, ungewiß und dun- kel, überdem jede mythologische Vorstellungsart dieses Landes ganz klimatisirt ist: so gehöret es nicht zu unserm Zweck, unter diesen Götzengestalten oder weiterhin in den Negermährchen nach Sagen der Urwelt zu graben, die zu einer Philosophie der ältesten Menschengeschichte den Grund gäben.
Auch historisch also bleibt uns auf der weiten Erde nichts als die schriftliche Tradition übrig, die wir die Mosaische zu nennen pflegen. Ohn' alles Vorurtheil, also auch ohne die mindeste Meinung darüber, welches Ursprunges sie sei? wissen wir, daß sie über 3000. Jahr alt und überhaupt das älteste Buch sei, das unser junges Menschengeschlecht aufwei- set. Jhr Anblick soll es uns sagen, was diese kurzen, einfäl- tigen Blätter seyn wollen und können, indem wir sie nicht als Geschichte sondern als Tradition oder als eine alte Philoso- phie der Menschengeschichte ansehn, die ich deswegen auch so- gleich von ihrem morgenländischen poetischen Schmuck entkleide.
V.
Jdeen,II.Th. R r
Tiefer hinab ins ſchwarze Aegypten wollen wir uns um Traditionen der Urwelt nicht bemuͤhen. Jn den Namen ih- rer aͤlteſten Goͤtter ſind unlaͤugbare Reſte einer ſchweſterlichen Tradition mit den Phoͤniciern: denn die alte Nacht, der Geiſt, der Weltſchoͤpfer, der Schlamm, worinn die Samen der Dinge lagen, kommen hier wieder. Da aber alles was wir von der aͤlteſten Mythologie Aegyptens wiſſen, ſpaͤt, ungewiß und dun- kel, uͤberdem jede mythologiſche Vorſtellungsart dieſes Landes ganz klimatiſirt iſt: ſo gehoͤret es nicht zu unſerm Zweck, unter dieſen Goͤtzengeſtalten oder weiterhin in den Negermaͤhrchen nach Sagen der Urwelt zu graben, die zu einer Philoſophie der aͤlteſten Menſchengeſchichte den Grund gaͤben.
Auch hiſtoriſch alſo bleibt uns auf der weiten Erde nichts als die ſchriftliche Tradition uͤbrig, die wir die Moſaiſche zu nennen pflegen. Ohn' alles Vorurtheil, alſo auch ohne die mindeſte Meinung daruͤber, welches Urſprunges ſie ſei? wiſſen wir, daß ſie uͤber 3000. Jahr alt und uͤberhaupt das aͤlteſte Buch ſei, das unſer junges Menſchengeſchlecht aufwei- ſet. Jhr Anblick ſoll es uns ſagen, was dieſe kurzen, einfaͤl- tigen Blaͤtter ſeyn wollen und koͤnnen, indem wir ſie nicht als Geſchichte ſondern als Tradition oder als eine alte Philoſo- phie der Menſchengeſchichte anſehn, die ich deswegen auch ſo- gleich von ihrem morgenlaͤndiſchen poetiſchen Schmuck entkleide.
V.
Jdeen,II.Th. R r
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Tiefer hinab ins ſchwarze Aegypten wollen wir uns um
Traditionen der Urwelt nicht bemuͤhen. Jn den Namen ih-
rer aͤlteſten Goͤtter ſind unlaͤugbare Reſte einer ſchweſterlichen
Tradition mit den Phoͤniciern: denn die alte Nacht, der Geiſt,
der Weltſchoͤpfer, der Schlamm, worinn die Samen der Dinge
lagen, kommen hier wieder. Da aber alles was wir von der
aͤlteſten Mythologie Aegyptens wiſſen, ſpaͤt, ungewiß und dun-
kel, uͤberdem jede mythologiſche Vorſtellungsart dieſes Landes
ganz klimatiſirt iſt: ſo gehoͤret es nicht zu unſerm Zweck, unter
dieſen Goͤtzengeſtalten oder weiterhin in den Negermaͤhrchen
nach Sagen der Urwelt zu graben, die zu einer Philoſophie
der aͤlteſten Menſchengeſchichte den Grund gaͤben.
Auch hiſtoriſch alſo bleibt uns auf der weiten Erde nichts
als die ſchriftliche Tradition uͤbrig, die wir die Moſaiſche
zu nennen pflegen. Ohn' alles Vorurtheil, alſo auch ohne
die mindeſte Meinung daruͤber, welches Urſprunges ſie ſei?
wiſſen wir, daß ſie uͤber 3000. Jahr alt und uͤberhaupt das
aͤlteſte Buch ſei, das unſer junges Menſchengeſchlecht aufwei-
ſet. Jhr Anblick ſoll es uns ſagen, was dieſe kurzen, einfaͤl-
tigen Blaͤtter ſeyn wollen und koͤnnen, indem wir ſie nicht als
Geſchichte ſondern als Tradition oder als eine alte Philoſo-
phie der Menſchengeſchichte anſehn, die ich deswegen auch ſo-
gleich von ihrem morgenlaͤndiſchen poetiſchen Schmuck entkleide.
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/325>, abgerufen am 22.12.2024.
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