weder Kräuter noch Bäume waren, konnte der Mensch, den die Natur zum Bau derselben bestimmt hatte, noch nicht le- ben: noch stieg kein Regen nieder, aber Nebel stiegen auf und aus einer solchen mit Thau befeuchteten Erde ward er gebildet, und mit dem Athem der Lebenskraft zum lebendigen Wesen belebet." Mich dünkt, die einfache Erzählung sagt alles, was auch nach allen Erforschungen der Physiologie Menschen von ihrer Organisation zu wissen vermögen. Jm Tode wird unser künstliches Gebäu in Erde, Wasser und Luft aufgelöset, die in ihm jetzt organisch gebunden sind; die innere Oekono- mie des animalischen Lebens aber hangt von dem verborgnen Reiz oder Balsam im Element der Luft ab, der den vollkom- menern Lauf des Bluts, ja den ganzen innern Zwist der Le- benskräfte unsrer Maschine in Bewegung setzt; und so wird wirklich der Mensch durch den lebendigen Othem zur regsamen Seele. Durch ihn erhält und äußert er die Kraft, Lebenswär- me zu verarbeiten und als ein sich bewegendes, empfindendes, denkendes Geschöpf zu handeln. Die älteste Philosophie ist mit den neuesten Erfahrungen hierüber einig.
Ein Garten war der erste Wohnsitz des Men- schen und auch dieser Zug der Tradition ist, wie ihn immer nur die Philosophie ersinnen könnte. Das Gartenleben ist das leichteste für die neugebohrne Menschheit: denn jedes an-
dre,
T t 2
weder Kraͤuter noch Baͤume waren, konnte der Menſch, den die Natur zum Bau derſelben beſtimmt hatte, noch nicht le- ben: noch ſtieg kein Regen nieder, aber Nebel ſtiegen auf und aus einer ſolchen mit Thau befeuchteten Erde ward er gebildet, und mit dem Athem der Lebenskraft zum lebendigen Weſen belebet.“ Mich duͤnkt, die einfache Erzaͤhlung ſagt alles, was auch nach allen Erforſchungen der Phyſiologie Menſchen von ihrer Organiſation zu wiſſen vermoͤgen. Jm Tode wird unſer kuͤnſtliches Gebaͤu in Erde, Waſſer und Luft aufgeloͤſet, die in ihm jetzt organiſch gebunden ſind; die innere Oekono- mie des animaliſchen Lebens aber hangt von dem verborgnen Reiz oder Balſam im Element der Luft ab, der den vollkom- menern Lauf des Bluts, ja den ganzen innern Zwiſt der Le- benskraͤfte unſrer Maſchine in Bewegung ſetzt; und ſo wird wirklich der Menſch durch den lebendigen Othem zur regſamen Seele. Durch ihn erhaͤlt und aͤußert er die Kraft, Lebenswaͤr- me zu verarbeiten und als ein ſich bewegendes, empfindendes, denkendes Geſchoͤpf zu handeln. Die aͤlteſte Philoſophie iſt mit den neueſten Erfahrungen hieruͤber einig.
Ein Garten war der erſte Wohnſitz des Men- ſchen und auch dieſer Zug der Tradition iſt, wie ihn immer nur die Philoſophie erſinnen koͤnnte. Das Gartenleben iſt das leichteſte fuͤr die neugebohrne Menſchheit: denn jedes an-
dre,
T t 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0343"n="331"/>
weder Kraͤuter noch Baͤume waren, konnte der Menſch, den<lb/>
die Natur zum Bau derſelben beſtimmt hatte, noch nicht le-<lb/>
ben: noch ſtieg kein Regen nieder, aber Nebel ſtiegen auf und<lb/>
aus einer ſolchen mit Thau befeuchteten Erde ward er gebildet,<lb/>
und mit dem Athem der Lebenskraft zum lebendigen Weſen<lb/>
belebet.“ Mich duͤnkt, die einfache Erzaͤhlung ſagt alles,<lb/>
was auch nach allen Erforſchungen der Phyſiologie Menſchen<lb/>
von ihrer Organiſation zu wiſſen vermoͤgen. Jm Tode wird<lb/>
unſer kuͤnſtliches Gebaͤu in Erde, Waſſer und Luft aufgeloͤſet,<lb/>
die in ihm jetzt organiſch gebunden ſind; die innere Oekono-<lb/>
mie des animaliſchen Lebens aber hangt von dem verborgnen<lb/>
Reiz oder Balſam im Element der Luft ab, der den vollkom-<lb/>
menern Lauf des Bluts, ja den ganzen innern Zwiſt der Le-<lb/>
benskraͤfte unſrer Maſchine in Bewegung ſetzt; und ſo wird<lb/>
wirklich der Menſch durch den lebendigen Othem zur regſamen<lb/>
Seele. Durch ihn erhaͤlt und aͤußert er die Kraft, Lebenswaͤr-<lb/>
me zu verarbeiten und als ein ſich bewegendes, empfindendes,<lb/>
denkendes Geſchoͤpf zu handeln. Die aͤlteſte Philoſophie iſt<lb/>
mit den neueſten Erfahrungen hieruͤber einig.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Ein Garten war der erſte Wohnſitz des Men-<lb/>ſchen</hi> und auch dieſer Zug der Tradition iſt, wie ihn immer<lb/>
nur die Philoſophie erſinnen koͤnnte. Das Gartenleben iſt<lb/>
das leichteſte fuͤr die neugebohrne Menſchheit: denn jedes an-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">T t 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">dre,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[331/0343]
weder Kraͤuter noch Baͤume waren, konnte der Menſch, den
die Natur zum Bau derſelben beſtimmt hatte, noch nicht le-
ben: noch ſtieg kein Regen nieder, aber Nebel ſtiegen auf und
aus einer ſolchen mit Thau befeuchteten Erde ward er gebildet,
und mit dem Athem der Lebenskraft zum lebendigen Weſen
belebet.“ Mich duͤnkt, die einfache Erzaͤhlung ſagt alles,
was auch nach allen Erforſchungen der Phyſiologie Menſchen
von ihrer Organiſation zu wiſſen vermoͤgen. Jm Tode wird
unſer kuͤnſtliches Gebaͤu in Erde, Waſſer und Luft aufgeloͤſet,
die in ihm jetzt organiſch gebunden ſind; die innere Oekono-
mie des animaliſchen Lebens aber hangt von dem verborgnen
Reiz oder Balſam im Element der Luft ab, der den vollkom-
menern Lauf des Bluts, ja den ganzen innern Zwiſt der Le-
benskraͤfte unſrer Maſchine in Bewegung ſetzt; und ſo wird
wirklich der Menſch durch den lebendigen Othem zur regſamen
Seele. Durch ihn erhaͤlt und aͤußert er die Kraft, Lebenswaͤr-
me zu verarbeiten und als ein ſich bewegendes, empfindendes,
denkendes Geſchoͤpf zu handeln. Die aͤlteſte Philoſophie iſt
mit den neueſten Erfahrungen hieruͤber einig.
Ein Garten war der erſte Wohnſitz des Men-
ſchen und auch dieſer Zug der Tradition iſt, wie ihn immer
nur die Philoſophie erſinnen koͤnnte. Das Gartenleben iſt
das leichteſte fuͤr die neugebohrne Menſchheit: denn jedes an-
dre,
T t 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/343>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.