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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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Glücklich für uns, daß Europa diesem Mittelpunkt schöner
Formen nicht so gar fern lag und daß manche Völker, die
diesen Welttheil bewohnen, die Gegenden zwischen dem
schwarzen und kaspischen Meer auch entweder inne gehabt
oder langsam durchzogen haben. Wenigstens sind wir also
keine Antipoden des Landes der Schönheit.

Alle Völker, die sich auf diesen Erdstrich schöner Men-
schenbildung drängten und auf ihm verweilten, haben ihre
Züge gemildert. Die Türken, ursprünglich ein häßliches
Volk, veredelten sich zu einer ansehnlichern Gestalt, da ih-
nen als Ueberwindern weiter Gegenden jede Nachbarschaft
schöner Geschlechter zu Dienst stand; auch die Gebote des
Korans, der ihnen das Waschen, die Reinigkeit, die Mäs-
sigung anbefahl und dagegen wohllüstige Ruhe und Liebe er-
laubte, haben wahrscheinlich dazu beigetragen. Die Ebräer,
deren Väter ebenfalls aus der Höhe Asiens kamen und die
lange Zeit, bald ins dürre Aegypten, bald in die Arabische
Wüste verschlagen, nomadisch umherzogen; ob sie gleich
auch in ihrem engen Lande, unter dem drückenden Joch des
Gesetzes sich nie zu einem Jdeal erheben konnten, das freiere
Thätigkeit und mehrere Wohllust des Lebens fodert: so tra-
gen sie dennoch, auch jetzt in ihrer weiten Zerstreuung und
langen, tiefen Verworfenheit das Gepräge der Asiatischen

Bildung
D 3


Gluͤcklich fuͤr uns, daß Europa dieſem Mittelpunkt ſchoͤner
Formen nicht ſo gar fern lag und daß manche Voͤlker, die
dieſen Welttheil bewohnen, die Gegenden zwiſchen dem
ſchwarzen und kaſpiſchen Meer auch entweder inne gehabt
oder langſam durchzogen haben. Wenigſtens ſind wir alſo
keine Antipoden des Landes der Schoͤnheit.

Alle Voͤlker, die ſich auf dieſen Erdſtrich ſchoͤner Men-
ſchenbildung draͤngten und auf ihm verweilten, haben ihre
Zuͤge gemildert. Die Tuͤrken, urſpruͤnglich ein haͤßliches
Volk, veredelten ſich zu einer anſehnlichern Geſtalt, da ih-
nen als Ueberwindern weiter Gegenden jede Nachbarſchaft
ſchoͤner Geſchlechter zu Dienſt ſtand; auch die Gebote des
Korans, der ihnen das Waſchen, die Reinigkeit, die Maͤſ-
ſigung anbefahl und dagegen wohlluͤſtige Ruhe und Liebe er-
laubte, haben wahrſcheinlich dazu beigetragen. Die Ebraͤer,
deren Vaͤter ebenfalls aus der Hoͤhe Aſiens kamen und die
lange Zeit, bald ins duͤrre Aegypten, bald in die Arabiſche
Wuͤſte verſchlagen, nomadiſch umherzogen; ob ſie gleich
auch in ihrem engen Lande, unter dem druͤckenden Joch des
Geſetzes ſich nie zu einem Jdeal erheben konnten, das freiere
Thaͤtigkeit und mehrere Wohlluſt des Lebens fodert: ſo tra-
gen ſie dennoch, auch jetzt in ihrer weiten Zerſtreuung und
langen, tiefen Verworfenheit das Gepraͤge der Aſiatiſchen

Bildung
D 3
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[29/0041] Gluͤcklich fuͤr uns, daß Europa dieſem Mittelpunkt ſchoͤner Formen nicht ſo gar fern lag und daß manche Voͤlker, die dieſen Welttheil bewohnen, die Gegenden zwiſchen dem ſchwarzen und kaſpiſchen Meer auch entweder inne gehabt oder langſam durchzogen haben. Wenigſtens ſind wir alſo keine Antipoden des Landes der Schoͤnheit. Alle Voͤlker, die ſich auf dieſen Erdſtrich ſchoͤner Men- ſchenbildung draͤngten und auf ihm verweilten, haben ihre Zuͤge gemildert. Die Tuͤrken, urſpruͤnglich ein haͤßliches Volk, veredelten ſich zu einer anſehnlichern Geſtalt, da ih- nen als Ueberwindern weiter Gegenden jede Nachbarſchaft ſchoͤner Geſchlechter zu Dienſt ſtand; auch die Gebote des Korans, der ihnen das Waſchen, die Reinigkeit, die Maͤſ- ſigung anbefahl und dagegen wohlluͤſtige Ruhe und Liebe er- laubte, haben wahrſcheinlich dazu beigetragen. Die Ebraͤer, deren Vaͤter ebenfalls aus der Hoͤhe Aſiens kamen und die lange Zeit, bald ins duͤrre Aegypten, bald in die Arabiſche Wuͤſte verſchlagen, nomadiſch umherzogen; ob ſie gleich auch in ihrem engen Lande, unter dem druͤckenden Joch des Geſetzes ſich nie zu einem Jdeal erheben konnten, das freiere Thaͤtigkeit und mehrere Wohlluſt des Lebens fodert: ſo tra- gen ſie dennoch, auch jetzt in ihrer weiten Zerſtreuung und langen, tiefen Verworfenheit das Gepraͤge der Aſiatiſchen Bildung D 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/41>, abgerufen am 22.12.2024.