tigsten auf andre Nationen gewirkt hat. Wenn die Gott- heit nicht unsre ganze Erde zum Sitz der Schönheit machen konnte: so ließ sie wenigstens durch die Pforte der Schönheit das Menschengeschlecht hinauftreten und mit lang' eingepräg- ten Zügen derselben die Völker nur erst allmälich andre Ge- genden suchen. Auch war es Ein und dasselbe Principium der Natur, das eben die wohlgebildeten Nationen zugleich zu den wohlthätigsten Wirkerinnen auf andre machte; sie gab ihnen nemlich die Munterkeit, die Elasticität des Geistes, die sowohl zu ihrer Leibesgestalt, als zu dieser wohlthätigen Wir- kung auf andre Nationen gehörte. Die Tungusen und Es- kimohs sitzen ewig in ihren Hölen und haben sich weder in Liebe noch Leid um entfernte Völker bekümmert. Der Neger hat für die Europäer nichts erfunden; er hat sich nie in den Sinn kommen lassen, Europa weder zu beglücken, noch zu bekriegen. Aus den Gegenden schöngebildeter Völker haben wir unsre Religion, Kunst, Wissenschaft, die ganze Gestalt unsrer Cultur und Humanität, so viel oder wenig wir deren an uns haben. Jn diesem Erdstrich ist alles erfunden, alles durchdacht und wenigstens in Kinderproben ausgeführt, was die Mensch- heit verschönern und bilden konnte. Die Geschichte der Cultur wird dieses unwidersprechlich darthun und mich dünkt, es beweisets unsre eigne Erfahrung. Wir nordischen Eu- ropäer wären noch Barbaren, wenn nicht ein gütiger Hauch
des
Jdeen,II.Th. E
tigſten auf andre Nationen gewirkt hat. Wenn die Gott- heit nicht unſre ganze Erde zum Sitz der Schoͤnheit machen konnte: ſo ließ ſie wenigſtens durch die Pforte der Schoͤnheit das Menſchengeſchlecht hinauftreten und mit lang' eingepraͤg- ten Zuͤgen derſelben die Voͤlker nur erſt allmaͤlich andre Ge- genden ſuchen. Auch war es Ein und daſſelbe Principium der Natur, das eben die wohlgebildeten Nationen zugleich zu den wohlthaͤtigſten Wirkerinnen auf andre machte; ſie gab ihnen nemlich die Munterkeit, die Elaſticitaͤt des Geiſtes, die ſowohl zu ihrer Leibesgeſtalt, als zu dieſer wohlthaͤtigen Wir- kung auf andre Nationen gehoͤrte. Die Tunguſen und Es- kimohs ſitzen ewig in ihren Hoͤlen und haben ſich weder in Liebe noch Leid um entfernte Voͤlker bekuͤmmert. Der Neger hat fuͤr die Europaͤer nichts erfunden; er hat ſich nie in den Sinn kommen laſſen, Europa weder zu begluͤcken, noch zu bekriegen. Aus den Gegenden ſchoͤngebildeter Voͤlker haben wir unſre Religion, Kunſt, Wiſſenſchaft, die ganze Geſtalt unſrer Cultur und Humanitaͤt, ſo viel oder wenig wir deren an uns haben. Jn dieſem Erdſtrich iſt alles erfunden, alles durchdacht und wenigſtens in Kinderproben ausgefuͤhrt, was die Menſch- heit verſchoͤnern und bilden konnte. Die Geſchichte der Cultur wird dieſes unwiderſprechlich darthun und mich duͤnkt, es beweiſets unſre eigne Erfahrung. Wir nordiſchen Eu- ropaͤer waͤren noch Barbaren, wenn nicht ein guͤtiger Hauch
des
Jdeen,II.Th. E
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0045"n="33"/>
tigſten auf andre Nationen gewirkt hat. Wenn die Gott-<lb/>
heit nicht unſre ganze Erde zum Sitz der Schoͤnheit machen<lb/>
konnte: ſo ließ ſie wenigſtens durch die Pforte der Schoͤnheit<lb/>
das Menſchengeſchlecht hinauftreten und mit lang' eingepraͤg-<lb/>
ten Zuͤgen derſelben die Voͤlker nur erſt allmaͤlich andre Ge-<lb/>
genden ſuchen. Auch war es Ein und daſſelbe Principium<lb/>
der Natur, das eben die wohlgebildeten Nationen zugleich zu<lb/>
den wohlthaͤtigſten Wirkerinnen auf andre machte; ſie gab<lb/>
ihnen nemlich die Munterkeit, die Elaſticitaͤt des Geiſtes, die<lb/>ſowohl zu ihrer Leibesgeſtalt, als zu dieſer wohlthaͤtigen Wir-<lb/>
kung auf andre Nationen gehoͤrte. Die Tunguſen und Es-<lb/>
kimohs ſitzen ewig in ihren Hoͤlen und haben ſich weder in Liebe<lb/>
noch Leid um entfernte Voͤlker bekuͤmmert. Der Neger hat<lb/>
fuͤr die Europaͤer nichts erfunden; er hat ſich nie in den Sinn<lb/>
kommen laſſen, Europa weder zu begluͤcken, noch zu bekriegen.<lb/>
Aus den Gegenden ſchoͤngebildeter Voͤlker haben wir unſre<lb/>
Religion, Kunſt, Wiſſenſchaft, die ganze Geſtalt unſrer Cultur<lb/>
und Humanitaͤt, ſo viel oder wenig wir deren an uns haben.<lb/>
Jn dieſem Erdſtrich iſt alles erfunden, alles durchdacht und<lb/>
wenigſtens in Kinderproben ausgefuͤhrt, was die Menſch-<lb/>
heit verſchoͤnern und bilden konnte. Die Geſchichte der<lb/>
Cultur wird dieſes unwiderſprechlich darthun und mich duͤnkt,<lb/>
es beweiſets unſre eigne Erfahrung. Wir nordiſchen Eu-<lb/>
ropaͤer waͤren noch Barbaren, wenn nicht ein guͤtiger Hauch<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Jdeen,</hi><hirendition="#aq">II.</hi><hirendition="#fr">Th.</hi> E</fw><fwplace="bottom"type="catch">des</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[33/0045]
tigſten auf andre Nationen gewirkt hat. Wenn die Gott-
heit nicht unſre ganze Erde zum Sitz der Schoͤnheit machen
konnte: ſo ließ ſie wenigſtens durch die Pforte der Schoͤnheit
das Menſchengeſchlecht hinauftreten und mit lang' eingepraͤg-
ten Zuͤgen derſelben die Voͤlker nur erſt allmaͤlich andre Ge-
genden ſuchen. Auch war es Ein und daſſelbe Principium
der Natur, das eben die wohlgebildeten Nationen zugleich zu
den wohlthaͤtigſten Wirkerinnen auf andre machte; ſie gab
ihnen nemlich die Munterkeit, die Elaſticitaͤt des Geiſtes, die
ſowohl zu ihrer Leibesgeſtalt, als zu dieſer wohlthaͤtigen Wir-
kung auf andre Nationen gehoͤrte. Die Tunguſen und Es-
kimohs ſitzen ewig in ihren Hoͤlen und haben ſich weder in Liebe
noch Leid um entfernte Voͤlker bekuͤmmert. Der Neger hat
fuͤr die Europaͤer nichts erfunden; er hat ſich nie in den Sinn
kommen laſſen, Europa weder zu begluͤcken, noch zu bekriegen.
Aus den Gegenden ſchoͤngebildeter Voͤlker haben wir unſre
Religion, Kunſt, Wiſſenſchaft, die ganze Geſtalt unſrer Cultur
und Humanitaͤt, ſo viel oder wenig wir deren an uns haben.
Jn dieſem Erdſtrich iſt alles erfunden, alles durchdacht und
wenigſtens in Kinderproben ausgefuͤhrt, was die Menſch-
heit verſchoͤnern und bilden konnte. Die Geſchichte der
Cultur wird dieſes unwiderſprechlich darthun und mich duͤnkt,
es beweiſets unſre eigne Erfahrung. Wir nordiſchen Eu-
ropaͤer waͤren noch Barbaren, wenn nicht ein guͤtiger Hauch
des
Jdeen, II. Th. E
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/45>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.