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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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mählde verwandeln und dem Menschen von seinen Mitbrü-
dern auf der Erde eine Gallerie gezeichneter Formen und Ge-
stalten geben könnte. Aber wie weit sind wir noch von der
Erfüllung dieses anthropologischen Wunsches! Jahrhunderte
lang hat man die Erde mit Schwert und Kreuz, mit Koral-
len und Brantweinfässern durchzogen; an die friedliche
Reißfeder dachte man nicht und auch dem großen Heer der
Reisenden ists kaum eingefallen, daß man mit Worten keine
Gestalt mahle, am wenigsten die feinste, verschiedenste, im-
mer abweichende aller Gestalten. Lange gieng man aufs
Wunderbare hinaus und dichtete; nachher wollte man hie
und da, selbst wo man Zeichnungen gab, verschönern, ohne
zu bedenken, daß kein wahrer Zoolog verschönere, wenn er
fremde Thiergestalten mahlet. Und verdiente etwa die mensch-
liche Natur allein jene genaue Aufmerksamkeit nicht, mit
der man Thiere und Pflanzen zeichnet? Jndeß da in den
neuesten Zeiten der edle Bemerkungsgeist auch für unser Ge-
schlecht wirklich schon erwacht ist und man von einigen, wie
wohl nur von wenigen Nationen Abbildungen hat, gegen
die in ältern Zeiten de Bry, Bruyn, geschweige die Mis-
sionare nicht bestehena): so wäre es ein schönes Geschenk,

wenn
a) Nicht als ob ich die Bemühungen dieser Männer nicht schätzte;
indessen dünken mich Bruyn's (le Brun) Abbildungen sehr
franzö-
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maͤhlde verwandeln und dem Menſchen von ſeinen Mitbruͤ-
dern auf der Erde eine Gallerie gezeichneter Formen und Ge-
ſtalten geben koͤnnte. Aber wie weit ſind wir noch von der
Erfuͤllung dieſes anthropologiſchen Wunſches! Jahrhunderte
lang hat man die Erde mit Schwert und Kreuz, mit Koral-
len und Brantweinfaͤſſern durchzogen; an die friedliche
Reißfeder dachte man nicht und auch dem großen Heer der
Reiſenden iſts kaum eingefallen, daß man mit Worten keine
Geſtalt mahle, am wenigſten die feinſte, verſchiedenſte, im-
mer abweichende aller Geſtalten. Lange gieng man aufs
Wunderbare hinaus und dichtete; nachher wollte man hie
und da, ſelbſt wo man Zeichnungen gab, verſchoͤnern, ohne
zu bedenken, daß kein wahrer Zoolog verſchoͤnere, wenn er
fremde Thiergeſtalten mahlet. Und verdiente etwa die menſch-
liche Natur allein jene genaue Aufmerkſamkeit nicht, mit
der man Thiere und Pflanzen zeichnet? Jndeß da in den
neueſten Zeiten der edle Bemerkungsgeiſt auch fuͤr unſer Ge-
ſchlecht wirklich ſchon erwacht iſt und man von einigen, wie
wohl nur von wenigen Nationen Abbildungen hat, gegen
die in aͤltern Zeiten de Bry, Bruyn, geſchweige die Miſ-
ſionare nicht beſtehena): ſo waͤre es ein ſchoͤnes Geſchenk,

wenn
a) Nicht als ob ich die Bemuͤhungen dieſer Maͤnner nicht ſchaͤtzte;
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franzoͤ-
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[69/0081] maͤhlde verwandeln und dem Menſchen von ſeinen Mitbruͤ- dern auf der Erde eine Gallerie gezeichneter Formen und Ge- ſtalten geben koͤnnte. Aber wie weit ſind wir noch von der Erfuͤllung dieſes anthropologiſchen Wunſches! Jahrhunderte lang hat man die Erde mit Schwert und Kreuz, mit Koral- len und Brantweinfaͤſſern durchzogen; an die friedliche Reißfeder dachte man nicht und auch dem großen Heer der Reiſenden iſts kaum eingefallen, daß man mit Worten keine Geſtalt mahle, am wenigſten die feinſte, verſchiedenſte, im- mer abweichende aller Geſtalten. Lange gieng man aufs Wunderbare hinaus und dichtete; nachher wollte man hie und da, ſelbſt wo man Zeichnungen gab, verſchoͤnern, ohne zu bedenken, daß kein wahrer Zoolog verſchoͤnere, wenn er fremde Thiergeſtalten mahlet. Und verdiente etwa die menſch- liche Natur allein jene genaue Aufmerkſamkeit nicht, mit der man Thiere und Pflanzen zeichnet? Jndeß da in den neueſten Zeiten der edle Bemerkungsgeiſt auch fuͤr unſer Ge- ſchlecht wirklich ſchon erwacht iſt und man von einigen, wie wohl nur von wenigen Nationen Abbildungen hat, gegen die in aͤltern Zeiten de Bry, Bruyn, geſchweige die Miſ- ſionare nicht beſtehen a): ſo waͤre es ein ſchoͤnes Geſchenk, wenn a) Nicht als ob ich die Bemuͤhungen dieſer Maͤnner nicht ſchaͤtzte; indeſſen duͤnken mich Bruyn's (le Brun) Abbildungen ſehr franzoͤ- J 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/81>, abgerufen am 22.12.2024.