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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793.

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Doch sofern beantworte ich mir die Frage
selbst, auf die ohnedem andre bereits ge-
antwortet haben. Wie kommts aber, daß
auch seitdem die Dichterei gedruckte Kunst
ist, ihr Antheil an der gemeinen Sache zu
verschiedenen Zeiten so ungleich gewesen,
und jetzt sogar gering zu seyn scheinet?
Mehrere tapfere Gedichte auch aus unserm
Vaterlande von Luther, Opitz, Logau,
und nach einem großen Sprunge der Zeiten
von Kleist, Gleim, Uz, Klopstock,
Stolberg, Bürger u. a. sind uns in
Herz und Seele geschrieben; ist diese Muse
anjetzt entschlafen? Oder hat sie, wie Baal,
etwas Anderes zu schaffen, daß sie vom
Geiste der Zeit nicht erweckt, das Geräusch
um sich her nicht höret?

Mich dünkt, so ist es; sie hat etwas
Anderes zu schaffen: schlagen Sie darüber
die neueren Dichter nach. Und doch er-

L

Doch ſofern beantworte ich mir die Frage
ſelbſt, auf die ohnedem andre bereits ge-
antwortet haben. Wie kommts aber, daß
auch ſeitdem die Dichterei gedruckte Kunſt
iſt, ihr Antheil an der gemeinen Sache zu
verſchiedenen Zeiten ſo ungleich geweſen,
und jetzt ſogar gering zu ſeyn ſcheinet?
Mehrere tapfere Gedichte auch aus unſerm
Vaterlande von Luther, Opitz, Logau,
und nach einem großen Sprunge der Zeiten
von Kleiſt, Gleim, Uz, Klopſtock,
Stolberg, Buͤrger u. a. ſind uns in
Herz und Seele geſchrieben; iſt dieſe Muſe
anjetzt entſchlafen? Oder hat ſie, wie Baal,
etwas Anderes zu ſchaffen, daß ſie vom
Geiſte der Zeit nicht erweckt, das Geraͤuſch
um ſich her nicht hoͤret?

Mich duͤnkt, ſo iſt es; ſie hat etwas
Anderes zu ſchaffen: ſchlagen Sie daruͤber
die neueren Dichter nach. Und doch er-

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[161/0168] Doch ſofern beantworte ich mir die Frage ſelbſt, auf die ohnedem andre bereits ge- antwortet haben. Wie kommts aber, daß auch ſeitdem die Dichterei gedruckte Kunſt iſt, ihr Antheil an der gemeinen Sache zu verſchiedenen Zeiten ſo ungleich geweſen, und jetzt ſogar gering zu ſeyn ſcheinet? Mehrere tapfere Gedichte auch aus unſerm Vaterlande von Luther, Opitz, Logau, und nach einem großen Sprunge der Zeiten von Kleiſt, Gleim, Uz, Klopſtock, Stolberg, Buͤrger u. a. ſind uns in Herz und Seele geſchrieben; iſt dieſe Muſe anjetzt entſchlafen? Oder hat ſie, wie Baal, etwas Anderes zu ſchaffen, daß ſie vom Geiſte der Zeit nicht erweckt, das Geraͤuſch um ſich her nicht hoͤret? Mich duͤnkt, ſo iſt es; ſie hat etwas Anderes zu ſchaffen: ſchlagen Sie daruͤber die neueren Dichter nach. Und doch er- L

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet01_1793/168>, abgerufen am 21.11.2024.